Fata morgana

[79] Fata morgana, In unserm an Wunder armen Norden blickt so manches von Hoffnung und Sehnsucht erfüllte Gemüth nach den dahin ziehenden Wolkenbildern empor, bemüht, ihre Gestalten zu deuten und im Spiegel der Zukunft zu lesen, und schon Ossian träumte, in den vom Sturm gepeitschten Wolken- und Nebelmassen die dahin jagenden Schatten seiner Vorfahren zu erkennen. Im heitern Süden aber wallt zuweilen die Menge fröhlich hinaus nach dem Meergestade und drängt sich am Molo und schaut hinauf, wo an dem tiefblauen italienischen Himmel, bei stiller warmer Luft, wie von Geisterhänden getragen, riesenhafte Kastelle mit Thürmen und Mauerzinnen erscheinen, griechische Tempel von Cypressen und Palmen beschattet, Säulengänge, Paläste, hochbemastete Schiffe etc. Dann schwinden wieder die bestimmten Formen, die Massen kräuseln durch einander, und es wallt eine Prozession mit hochgehobenem Kreuze und flatternden Fahnen an dem klaren Horizonte, ja der Furchtsame glaubt wohl gar einen Leichenzug zu sehen. Alt und Jung aber freut sich, daß die Fata (Fee) Morgana ihre Lusthaine und Wunderbauten zaubert. Wirklich maß ehedem das Volk Calabriens und Siciliens, an dessen Küsten sie sich vorzugsweise zeigt, diese seltsame Erscheinung, die wir Luftspiegelung[79] nennen, dem Spiele einer Fee bei, und noch heute finden leichtgläubige Schwärmer Prophezeihungen in ihr. Aehnlich dieser, der See nur über dem Faro di Messina in so hohem Grade eignen, optischen Täuschung bildet sich das, was das französische Wort mirage bezeichnet in den Wüsten des Orients, den Steppen des saratowschen und astraehäuschen Gouvernements, den dürren Einöden Amerika's und dem südlichen Frankreich; doch immer am auffallendsten da, wo der Boden mit Salztheilen bedeckt ist. Das Phänomen selbst besteht darin, daß wenn man Mittags bei starker Sonnenhitze auf die Wüste sieht, alle Gegenstände bald in flimmernder Bewegung zittern, bald sich die Fläche als ein großer See gestaltet, in welchem sich Bäume, Häuser u. dergl. wie auf wirklichem Wasser abspiegeln. Unerfahrne Reisende, die sich nach dem verführerischen Bilde hintreiben lassen, finden oft ihren Untergang in dem gefährlichen Sandmeer, und selbst Kundige haben Mühe, sich nicht täuschen zu lassen. Das Gard und Bouches im Rhonedepartement bietet im Sommer häufig diese Erscheinung, und in der Provence kennen sie die Landbewohner ebenfalls. Das schon oben bemerkte Flimmern des Tageslichts geht gemeiniglich dem eigentlichen mirage vorher, aber am wunderbarsten ist es, daß man von einem hohen Standpunkte herab gar nichts davon sieht und demnach das merkwürdige Schauspiel nur in der untern Luftregion Statt findet.

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Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 79-80.
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