Die feine Lebensart bei Abstattung der Visiten.

[65] Wenn man eine Visite abzustatten hat, so suche man Neuigkeiten von Bedeutung mitzutheilen und nicht alltägliche und langweilige Sachen. Das Gespräch darf nicht allein den Herrn interessiren, sondern auch die Frau des Hauses, damit man auch ihre Gunst erringt.

Ist der Mann, zu dem ich gebeten werde, mehr als ich, so kann er mir durch einen Dienstboten eine Einladungskarte schicken, ist er aber weniger, so muß er mich persönlich einladen.

Bei einen Trauerbesuche kleide man sich schwarz, und die Stimme sei traurig und leise. Gegen Damen suche man Gefühle ganz auszudrücken, [66] als wie selbst. Man lasse, wo möglich einige Thränen fallen, lobe die Eigenschaften des Verstorbenen (der Verstorbenen) auf jede Art und tröste mit der Religion und daß Gott alles wohl mache, denn man könnte nicht wissen, welches Unglück und welche Leiden ihn hienieden noch erwartet hätten.

Pelze, Mäntel und Regenschirme muß man in der Hausflur oder im Vorzimmer lassen, denn es würde wahrlich wenig Bildung verrathen, wenn man diese Sachen mit in das Visiten-Zimmer nehmen wollte.

Auch ergreife man nicht sogleich Bücher, Musikalien, Briefe u. dgl. oder begaffe die Gemälde, welche umherhängen.

Doch als Hauptsache empfehle ich nochmals: Man suche sich bei Jedermann beliebt zu machen, selbst die Kinder nicht ausgeschlossen. Wer diese liebt und mit ihnen tändelt, erwirbt sich leicht die Achtung und Liebe der Eltern.

[67] Wenn der Bekannte, bei dem ich bin, mehr ist als ich, und mir eine Flasche Wein vorsetzt, so darf ich es ihm nicht anbieten, mit mir anzustoßen, sondern er muß dieß thun; ist er weniger als ich, so muß ich dieß ihm anbieten. Bei dem Einschenken des Weins muß sich der Wirth den sechsten Theil des Glases zuerst vollschenken, dann mir das ganze Glas voll und dann sich, bis sein Glas voll ist. Trinkt der Wirth keinen Wein mit, so darf ich nicht mehr als zwei, höchstens drei Gläser trinken; trinke ich mehr, so verletze ich den guten Ton.

Hat man die Bekanntschaft eines Mannes gemacht, der eben auch eine Visite abgestattet hat, und ich will mich früher entfernen, so kann ich zu ihm sagen: »Mein Herr! Es war mir sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen und bitte um die Ehre Ihres Besuches.« Worauf entgegnet wird: »Auch mir war es äußerst angenehm, daß ich das Glück hatte, Sie kennen zu lernen. Wenn Sie es gütigst erlauben, [68] so werde ich nächstens so frei sein und Sie besuchen.«

Da das Tabacksrauchen bei dem männlichen Geschlecht fast ohne Ausnahme zur Leidenschaft geworden ist, um so unangenehmer muß es für denjenigen sein, der gern raucht und mit Damen zusammen ist. Wenn der Herr des Hauses ein Pfeifchen Taback anbietet, so muß man sich sogleich zu den Damen wenden und um Erlaubniß bitten, die dann gewiß auch erfolgt.

Quelle:
[Anonym]: Der galante Stutzer. Nordhausen 21829, S. 65-69.
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