Verwahrungsarten der Wilden gegen die Krankheits-Teufel.

[342] Einige heidnische Völker in Sibirien stellen sich jede Krankheit als einen bösen Geist vor, der im Lande herumziehe, um die Menschen zu quälen, oder gar zu tödten, und der von dem todten Körper seine Nahrung habe. Daraus folgern sie, daß der böse Geist durch ein Opferthier, das sie ihm durch ihre Zauberpriester darbringen, befriedigt werden könne, damit er den Kranken leben lasse. Die Zauberpriester sind aber so klug, daß sie die Opfer nur bei gemeinen Krankheiten versuchen, wobei Hoffnung ist, daß der Kranke ohne dies genesen werde. Mit den Pocken, welche meistentheils bei den heidnischen Völkern, wie sie schon eine mehrmalige Erfahrung gelehrt hat, tödtlich [342] sind, getrauen sie sich dergleichen nicht. Sie überlassen lieber die Kranken ihrem eigenen Schicksale. Die Ursachen der Tödtlichkeit sind: die herumschweifende Lebensart der Völker, die wenige Bequemlicheit ihrer Hütten, und die Furcht, welche die Gesunden vor den Kranken haben, um nicht angesteckt zu werden. Man wird gestehen, daß dieselben bei allen schweren Krankheiten, am meisten aber bei den Pocken, welche einer besondern Wartung nöthig haben, von großem Einflusse seyn müssen. Kommt nun noch hinzu, daß die Krankheit zur Winterszeit herrscht, so ist aus eben dem Grunde, vornehmlich aus der Beschaffenheit ihrer Hütten, alle Hoffnung verloren. Bei so gestalten Sachen vermeint das blinde Volk, sich mit einem Betruge zu retten, sich vor dem Pockengeiste zu verbergen, oder gar denselben mit Gewalt abzuhalten, damit er ihnen nicht ankommen könne. Man bemerkt etwas ähnliches bei dem gemeinen Manne unter den Russen in Sibirien, wenn jemand mit dem kalten Fieber behaftet ist. Man ist hier geneigt, zu glauben, daß das kalte Fieber ein böser Geist sey, der die Menschen mit dem [343] Froste und mit den Erschütterungen zu quälen kommt, und dieselben wieder verläßt, sobald der Frost sich legt. In dieser Meinung beschmiert sich ein Patient kurz vorher, ehe er den Anfall des Fiebers erwartet, mit schwarzer Farbe das Gesicht, ja auch wol den Leib, und zieht fremde Lumpen an, damit er dem bösen Geiste unkenntlich werden, oder auch dieser vor dem Patienten erschrecken möge.

Eben so gedenkt ein Ostiake, ein Tunguse, ein Jakute, den Pockenteufel zu betrügen, indem er Zunder auf seiner Backe und Nase anzünden, und Löcher einbrennen läßt, damit er Narben im Gesicht bekomme, welche bei dem Pockenteufel die Ueberzeugung hervorbringen sollen, daß der so Bezeichnete die Blattern schon gehabt habe; denn sie beobachteten so viel, daß, wer einmal die Pocken ausgestanden habe, sie nicht zum zweitenmal bekomme. Sie verkriechen sich in die dicksten Wälder; damit der Pockenteufel sie nicht finden möge. Daher sind gewöhnlich zur Zeit, wenn die Pocken grassiren, ihre Hütten[344] und Wohnplätze leer. Niemand will sich alsdann auf großen Wegen sehen lassen. Sie verschanzen sich noch dazu in ihren Schlupfwinkeln durch ungeheure Bäume, wenn es im Sommer ist, und im Winter mit Schneewällen, welches noch mehr die Krankheit abhalten soll, auch in der That, in so weit sie sich dadurch der Gesellschaft andrer Menschen, von denen sie angesteckt werden könnten, entziehen, dienlich ist. Nichts aber ist lächerlicher, als wenn sie den Pockenteufel, von dem sie sich doch eine Vorstellung machen, die dem Wesen eines Geistes ziemlich nahe kommt, durch ihre aufgespannten Pfeile zu schrecken, oder ihm wol gar dadurch Schaden zu thun glauben. So wie sie auf die Elendthiere und andres großes Wild aufgespannte Pfeile aussetzen, die, wenn das Thier einen daran befestigten Faden berührt, losgehen, und dasselbe in die Seite treffen: so stellen sie dergleichen Pfeile an den Zugängen ihrer Verschanzungen aus, von welchen sie selbst sagen, daß es damit gegen die Teufel gemeint sey. Was für eine barbarische Gewohnheit, wenn sie noch ihre [345] Kranken ohne Hülfe und Pflege allein lassen, und davon ziehen? Wie können diese da genesen?

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 342-346.
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