Fünfundzwanzigstes Kapitel
Trübe Aspekten in Johannisberg • Vorboten des Podagras • Meine Unterredung mit dem König Friedrich Wilhelm in Breslau

[232] Bei meiner Zurückkunft in Johannisberg zahlte ich mit dem in Wien erworbenen Gelde einen hübschen Teil meiner Schulden ab. Aber an dem fürstlichen Hofe traf ich gewaltige Veränderungen an.

Man hatte die Absicht, die im Kaiserlichen gelegenen Bistumsgüter von dem jenseitigen Bistum zu separieren und nach dem Tode des Fürstbischofs zum Religionsfonds zu schlagen. Damit aber die Güter bei Lebzeiten desselben nicht deterioriert werden könnten, so wurde dem mährischen k.k. Staatsgüter-Direktor Baron Kaschnitz die Administration darüber aufgetragen. Dieser trat dieselbe schon im Jahre 1785 an, warf dem Fürsten jährlich 14000 Fl. aus, ließ ihm doch aber dabei noch die Konsistorial- und andere Gebühren. Die Beamten wurden in kaiserlichen Eid genommen und ihre Einkünfte ziemlich beschnitten. Ich verlor ansehnlich dabei; denn statt 2700 Fl., die ich vorhin einzog, ward ich nun auf 1800 Fl. gesetzt.

Während meines Aufenthalts in Wien überwarf sich der Fürst mit der Administration, reichte bei Hofe eine Klage ein, aber er hatte das Schicksal, daß ihm das himmelschreiendste Unrecht – – doch ich will meine Gedanken hierüber für mich behalten. Genug, das Resultat davon war, daß der Fürst statt der vorhin ausgesetzten 14000 Fl. – welch ein unerhörter Abfall! – fortan nur 4000 Fl. jährlich erhielt. – Ich enthalte mich aller Bemerkungen[233] darüber, die ich in der Bitterkeit meines Herzens darüber machen könnte. Aber so gehts, wenn man – – doch still davon!

Bald nach dieser für den Fürsten so unglücklichen Sentenz starb Friedrich der Zweite. Der Fürst schrieb an seinen Nachfolger Friedrich Wilhelm und bat um Wiedereinsetzung in das Bistum zu Breslau. Der neue König war dazu nicht ungeneigt und schickte des Fürsten Supplik an die Kammer nach Breslau, um ihm einen Vorschlag zu machen, wie es am füglichsten geschehen könnte. Die Kammer machte aber ihren alleruntertänigsten – Kammerbericht, daß die Wiedereinsetzung an sich gar keine Schwierigkeit haben könne; da aber die bisherigen Bistumseinkünfte als Fonds zu einigen Staatsnotdurften angewiesen wären, so möchten Se. Königl. Majestät die allerhöchste Gnade haben, einen andern Fonds statt diesem zu assignieren. – Man konnte mit Händen greifen, daß die Breslauer Kammer die Administration der Bistümer – leicht zu erraten, warum! – nicht gern aufgab, und also bezweckte sie ihren Wunsch. Der königliche Bescheid fiel sonach dahin aus:

daß man in die Wiedereinsetzung des Fürstbischofs in die königl. preußischen Staaten nicht willigen könne; jedoch wolle man demselben, um ihn nicht ganz trostlos von dem königl. Throne abzuweisen, von den im preußischen Schlesien sequestrierten Bistumgütern so viel jährliche Zubuße akkordieren, als derselbe dermalen aus den im Kaiserlichen gelegenen Gütern an Einkünften zu beziehen gründlich erweisen würde etc.

Da diese nun, wie man im Preußischen ohne weitere Beweise sehr wohl wußte, sich auf nicht mehr als 4000 Fl. beliefen, so wurden ihm auch dieserseits ebenso[234] viel angewiesen; mithin bestanden des Fürsten jährliche Revenüen in omni et toto in 8000 Gulden! Der gute Herr war also nur zu sehr notgedrungen, sich einzuschränken, und also mußten einige der höher bezahlten Mitglieder der Kapelle entlassen werden.

Unterdes hatten sich in Johannisberg seit der Entstehung der Kapelle eine Menge Dilettanten und Dilettantinnen gebildet, unter welchen letztern des verstorbenen Landeshauptmanns Tochter, Freiin von Zedlitz, desgleichen zwei Baronessen von Tauber recht brave Sängerinnen geworden waren. Mehrere von den vorigen Musikern hatten Civilbedienungen erhalten und waren also hier geblieben. Dazu kamen noch zwei Regierungsräte von Böhm und Richter, die im Orchester, und noch eine Anzahl von Bürgerssöhnen und -töchtern, die zum Gesange sehr brauchbar waren. Da nun diese alle, um dem gekränkten Fürsten ein Vergnügen zu machen, unentgeltlich mitspielten und sangen, so war unsere Kapelle durch diese Beihülfe doch noch so ziemlich bestellt. Ja, ich ließ sogar nicht nach, bis wir wieder ein kleines Theater hatten. Allein dieses wurde nicht auf dem Schlosse, sondern in der bürgerlichen Schießstadt errichtet. Der Fürst gab zur Wiederherstellung desselben aus seiner Chatoulle, in der er noch einen artigen Notpfennig hatte, ein paar hundert Gulden her.

Um aber einen Fonds zur Fortsetzung unserer Opern zu haben, geriet ich auf den Einfall, zum Besten des Armeninstituts der Stadt und des ganzen Kirchsprengels der dortigen Pfarre für Geld spielen zu lassen, und führte bezahlte Entree ein. Beim Eingang an der Kasse saßen der Oberkapellan als der Oberaufseher des Armenwesens, eine Magistratsperson und die beiden Armenwächter,[235] welches ansehnliche Bürger waren. Nach Abzug aller Kosten befand sich die Armenanstalt dennoch ganz wohl dabei; denn nach der ersten öffentlichen Jahresberechnung hatte sie nicht allein alle versorgt, sondern noch einen Überschuß von vier- bis fünfhundert Gulden. Während dieser Epoche stoppelte ich nebst den drei deutschen, in Wien aufgeführten, noch mehrere Opern zusammen, wovon viele samt jenen auf so mancher Bühne Deutschlands gegeben werden. Aber es kamen die Vorboten eines Übels dahergeschlichen, das mich seitdem grausam verfolgt hat.

Allgemach fand sich in meinen Vorderfüßen ein Schmerz ein, den des Fürsten Leibmedikus Stolle für Kennzeichen des herannahenden Podagras erklärte. Die Veranlassung dazu war folgende.

Im späten Herbst des 1788. Jahres erhielt ich aus Breslau von Seiten des Generals der Infanterie, des Prinzen Hohenlohe, nachmaligen Gouverneurs von Breslau, eine Stafette, worin er mir Nachricht gab, daß der König zur Revüe bei ihm soupieren und er zu dessen Amüsement ein Konzert veranstalten wolle, um dessen Arrangements willen ich gleich bei Angesicht dessen mit der Post nach Breslau kommen möchte. Trotz meines Übelbefindens setzte ich mich an demselben Abende noch auf, fuhr die ganze Nacht hindurch, und des andern Morgens um zehn Uhr war ich schon in Breslau. Ein kalter Nordwind mit Regen untermischt inkommodierte mich so sehr, daß ich die empfindlichsten Schmerzen in meinem linken Fuße hatte. Ich achtete es aber nicht sonderlich und ließ mich gleich bei meiner Ankunft beim Prinzen melden, der mich sogleich zum Mittagsmahle einlud. Wir beredeten das Gehörige wegen dem Konzert.[236] Zwei Tage hernach kam der König, und an demselben Abende wurde das Konzert aufgeführt.

Kaum war die erste Sinfonie vorbei, so kam der König mit den Worten an mich heran: »Ich habe dem Prinzen Hohenlohe viel Obligation, daß er mich durch Ihre Gegenwart so angenehm überrascht hat. Ich freue mich, Sie nach so vielen Jahren wieder einmal spielen zu hören.« – »Halten Ew. Majestät mir zu Gnaden«, antwortete ich, »ich spiele schon seit acht Jahren kein Solo mehr.« – »Oh«, sagte der König, »ich hoffe, daß Sie mir den Gefallen tun werden.«

Ich spielte, und der Monarch war so gnädig zu sagen, daß ich unmöglich vor zehn Jahren besser gespielt haben könne. Zugleich bat er sich meine vier neuen Sinfonien aus, sagte mir über meine Kompositionen viel Artiges, und mit einem sehr gnädigen Kopfnicken entfernte er sich.

Am folgenden Tage nachmittags um drei Uhr ward ich zum Könige gerufen. »Ich danke Ihnen«, sagte er, »für das gestrige Vergnügen und auch für die vier Sinfonien, die mir der Prinz in Ihrem Namen zugestellt hat.«

Ich: Ich hoffe, daß sie bei Ew. Majestät Orchester mehr Würkung machen werden.

König: Meine Kapelle ist ziemlich gut.

Ich: Das habe ich mir sagen lassen.

König: Ich wünschte, Sie kämen einmal selbst nach Berlin, um sich davon zu überzeugen.

Ich: Künftiges Jahr werde ich mich Ew. Majestät zu Füßen legen.

König: Sie haben eine hübsche launigte Musik zum Apotheker geschrieben, ich habe sie schon in Berlin einigemal mit Vergnügen gehört.[237]

Ich: Sie ist mein erster Versuch in diesem Genre.

König: Aber wo nehmen Sie alle die neuen Gedanken her?

Ich: Wenn ich so glücklich bin, bisweilen welche zu haben, so kommen sie von selber. Wenn man sie erst mühsam suchen muß, so hat man verloren Spiel.

König: Das scheint der Fall mit dem K. zu sein.

Ich: Sollte er etwa schon zu viel geschrieben haben, daß es ihm an Einfällen gebricht?

König: Das eben nicht. Es ist eine gewisse sterilité in seinen Sachen. Und dennoch hat er keinen größern Lobredner als sich selbst.

Ich: Welch herrliche Aussicht für die Musik, daß wieder ein großer Monarch aufgestanden ist, der so vollkommene Kenntnis davon besitzt!

König: Kenner – das will ich eben nicht sagen, aber ein großer Liebhaber bin ich.

Jedermann weiß, daß der König Friedrich Wilhelm, wenn er auf Musik kam, sehr gern davon sprach. Es gelang mir, durch verschiedene Fragen und Antworten seine Redseligkeit noch mehr zu reizen. Ich erzählte bei Gelegenheit ein paar passende Anekdoten, die ich ziemlich launigt vortrug, wodurch der König einigemal in ein schallendes Gelächter ausbrach. Über anderthalb Stunden war ich beim Könige. Endlich entließ er mich mit den gnädigsten Ausdrücken und erinnerte mich an mein Versprechen, nach Berlin zu kommen.

In der Antichambre traf ich den geheimen Kämmerier Rietz. »Sie haben sich«, sagte er, »lange bei Sr. Majestät aufgehalten und des Königs heutige üble Laune verscheucht.« – »Üble Laune?« fragte ich. – »Der König«, fuhr er fort, »war heute früh bei der Revüe sehr ungnädig[238] und hat einige Stabsoffiziere in den Kasten geschickt. Gewöhnlich hält das denn so den ganzen Tag an. Allein wie ich aus dem Lachen des Königs schließe, haben Sie uns heute wieder einen guten König gemacht; denn wenn er wieder lacht, ist alles vergessen. – Ich habe«, setzte er endlich hinzu, »vom Könige den Auftrag, Ihnen für das gestrige Vergnügen und für Ihre Sinfonien dies kleine Andenken zu überreichen.«

Es war ein prächtiger Brillant-Ring von aqua prima, dreihundert Dukaten an Wert.

»Oh«, sagte ich, »haben Sie doch die Güte, mich nochmals bei Sr. Majestät zu melden, um mich für dies kostbare Geschenk persönlich bedanken zu können.« – »Gerade, um Sie dessen zu überheben, hat der König Ihnen dies Andenken durch mich zustellen lassen. Ich wills aber wohl für Sie übernehmen.«

Nach der Abreise des Königs blieb ich noch einige Tage in Breslau und kam vor allem Wohlleben, bald bei dem Prinzen Hohenlohe und bald in andern Häusern, nicht zu mir selber. Aber dies Schlaraffenleben nach jener nächtlichen Verkältung auf meiner Herreise, das ganze Tage lang Mittag und Abend anhielt, machte, daß die Prophezeiung des Doktors Stolle früher in Erfüllung ging, als er und ich vermutet hatten. Am vierten Tage stellte sich förmlich das Podagra ein und warf mich in Breslau auf das Bette. Neun Tage lang hatte ich Schmerzen, die nur die Adepten dieser überaus ungezogenen Krankheit kennen und für jeden andern unglaublich sind. Ich mußte mich in einem Bettwagen nach Johannisberg langsam wie in einem Leichenwagen schleppen lassen, und als ich hier ankam, fand ich meine traurige Stätte wieder im Bette, worin ich fünf Wochen lang[239] schmachten mußte. Lange Zeit mußte ich mich an einem Stocke herumschleppen, ehe ich den Gebrauch meiner Füße wiedererlangte.

Während diesem Winter machte ich Anstalten zu meiner Berliner Reise, komponierte sechs neue Sinfonien, und da ich erfuhr, daß gegen Ende Juli die Erbstatthalterin von Holland, des Königs Schwester, nach Berlin kommen würde und daselbst einen ganzen Monat hindurch große Feierlichkeiten gehalten werden sollten, so wählte ich diesen günstigen Zeitpunkt dazu.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 232-240.
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