Katholizismus und Freimaurertum

[97] Das Verhältnis gebildeter Personen katholischer Konfession zu ihrer Religion im 18. Jahrhundert hat einmal »Madame«, Elisabeth Charlotte, sehr hübsch präzisiert, wenn sie von ihrem Gatten, dem Bruder Ludwigs XIV., der leugnete, »devot« zu sein – am Pariser Hof war es manchmal Mode, den Freigeist zu spielen –, schreibt (1691): »... unter uns geredet, so ist er doch auch devot, denn das divertiert ihn recht, und weil er die Ceremonien lieb hat, so divertiert ihn alles was Devotion ist ...« Einen solch aristokratischen Standpunkt konnte sich die Familie Mozart nicht erlauben. Für sie war Religion eine ernsthaftere Angelegenheit als bloßes »Divertissement«; und so hält Leopold Mozart bei Weib und Kindern auf leidlich strenge Einhaltung der kirchlichen Vorschriften: Kirchgang, Beten und Fasten. Aber Leopold Mozart war viel zu rationalistisch und scharfblickend, um sich nicht einige Freiheiten des Denkens zu erlauben, gerade weil er und seine Familie allem Zeremoniell der Religion mit Gewissenhaftigkeit nachkamen. Leopold, zum Geistlichen bestimmt, foppt seine priesterlichen Gönner, vielleicht[97] gerade weil er ihnen in Augsburg und Salzburg hinter die Kulissen geschaut hatte, und wenn er je bigott gewesen ist, so ist er doch – die Beweise sind aus seinen Briefen leicht zu liefern – von der großen Reise 1763 bis 1766 mit wesentlich freierem Blick in die Heimat zurückgekehrt. In Italien vollends ist auch den Mozarts die tiefe Irreligiosität nicht entgangen, die durch das fröhliche Zeremoniell der Kirche eher offenbart als verdeckt wurde. Und die Spannung mit dem Brotherrn trug weiterhin dazu bei, daß die Mozarts zwischen Gott und seinen irdischen Vertretern immer deutlicher unterschieden – man findet in Mozarts Briefen nicht ein Wort der Achtung vor diesen Vertretern Gottes auf Erden, es müßte denn der würdige Padre Martini in Bologna gewesen sein, in dem Leopold und Mozart aber mehr den Musiker und Musikgelehrten ehrten als etwa den Franziskaner.
Trotzdem ist man im Hause Mozart aufrichtig katholisch gewesen. Religion war eine ehrwürdige Konvention, eine Bürgschaft für sittliches Verhalten. Während Wolfgangs großer Reise richten sich Leopolds Mahnungen, die religiösen Pflichten zu erfüllen, schon nach Augsburg und werden besonders dringlich, wenn er seinen Sohn in Mannheim auf Abwegen vermutet, und die Beteuerungen Wolfgangs wiederholen sich (25. Okt. 1777): »lebe der Papa unbesorgt, ich habe gott immer vor augen. ich erkenne seine allmacht, ich fürchte seinen Zorn: ich erkenne aber auch seine liebe sein mitleiden und barmherzickeit gegen seine geschöpfe. er wird seine diener niemalen verlassen – – wenn es nach seinem willen geht, so gehet es auch – – nach meinem; mithin kann es nicht fehlen – – ich muß glücklich und zufrieden seyn ...« Das klingt wie aus dem Katechismus. Aber bald mischt sich in dies Vertrauen auf Gott ein Fatalismus, der nun wieder gar nicht nach Leopolds Sinn ist (26. Nov. 1777): »... Nun lassen wir das, wie es ist, und wie es seyn wird; was nuzen doch die überflüssige speculationen, was geschehen wird, wissen wir doch nicht, doch – – wir wissen es! – – was gott will. Nun lustig Allegro ...« Das beruhigt Leopold gar nicht, der mehr für aktive Beeinflussung von Gottes Willen ist. Er sucht Wolfgang durch Hinweis auf die Beichte zur Selbstbesinnung zu bringen (15. Dez. 1777): »... Darf ich[98] wohl fragen, ob Wolfgang nicht auf das Beichten vergessen hat? – – gott geht vor allem! von dem müssen wir unser zeitliches glück erwarten und für das ewige immer Sorge tragen: junge Leute hörn dergleichen Sachen nicht gerne, ich weis es, ich war auch jung; allein gott sey Danck gesagt, ich kam doch bey allen meinen jugendlichen Narrenspossen immer wieder zu mir selbst, flohe alle Gefahren meiner Seele und hatte immer gott und meine Ehre, und die Folgen, die gefährlichen folgen vor Augen ...« Wolfgang aber denkt sich Gott eher als einen Schicksalslenker, dessen Beschlüsse oder Verhängungen man mit Fatalismus hinzunehmen habe. Das wird besonders deutlich beim Tod der Mutter: es hat so sein müssen; Gott konnte sie erhalten – nun aber hat er sie weggenommen, und so bleibt nichts übrig, als sich in seinen unerforschlichen Willen zu ergeben! Wenn die Aufführung seiner Sinfonie fürs Concert spirituel glücklich ausgefallen ist – denn was kann man voraus wissen? Das Pariser Publikum ist eine unberechenbare Bestie!, so (3. Juli 1778) »gieng ich also gleich für freude nach der sinfonie ins Palais Royale – nahm ein guts gefrornes bat den Rosenkranz den ich versprochen hatte – und gieng nach haus«.
In Wien scheint der Bruch mit dem Erzbischof auch zu freieren Reden über kirchliche Vorschriften geführt zu haben – Reden, die dem Vater hinterbracht werden. Wolfgang verteidigt sich (13. Juni 1781): »... der hauptfehler bey mir ist daß ich. nach dem scheine nicht allzeit so handle, wie ich handeln sollte. – daß ich mich geprahlt hätte ich Esse alle fast-täge fleisch, ist nicht wahr; aber gesagt habe ich daß ich mir nichts daraus mache, und es für keine sünde halte; denn fasten heißt bey mir sich abrechen; weniger essen als sonst. – Ich höre alle sonn- und feyertäge Meine Messe, und wenn es seyn kann, die werktäge auch, das wissen sie, mein vatter ...« Aber es ist nicht zu leugnen, daß die Religion in der nächsten Zeit immer herhalten muß, wenn er seine Verpflichtung betonen will, Konstanze zu heiraten. Nachdem das geschehen ist, erfolgt allerdings ein wahrer Ausbruch der Devotion (17. Aug. 1782): »... Ich habe letzthin vergessen ihnen zu schreiben daß meine frau und ich zusamm am Purtiunkula tage bey den theatinern unsere andacht verichtet haben – wenn uns auch wirklich die[99] andacht nicht dazu getrieben hätte, so musten wir es der zettel wegen thun, ohne welche wir nicht hätten copulirt werden können. – wir sind auch schon eine geraume zeit lediger allzeit mitsammen so wohl in die h: Messe als zum Beichten und Communiciren gegangen – und Ich habe gefunden daß ich niemalen so kräftig gebetet, so andächtig gebeichtet und Communiciert hätte als an ihrer Seite ...« So, wie er in Paris für den Erfolg seiner Sinfonie einen Rosenkranz zu beten gelobt hatte, so gelobt er jetzt für den guten Ausgang seines Verlöbnisses die Komposition einer Messe: – es ist die große, unvollendet gebliebene in c-moll ...
Ja, wie steht es um Mozarts Kirchenmusik? Um ihre Katholizität? Um ihre Echtheit? Um ihre Kirchlichkeit? Es gab und gibt eine Richtung kirchenmusikalischer Strenge, die den größten Teil der Kirchenmusik des 17. und 18. Jahrhunderts verwirft und auch Mozarts und Haydns Messen, Litaneien, Motetten als unliturgisch und weltlich ablehnt. Sie läßt nur liturgisch »einwandfreie« Musik gelten; sie sieht ihr Ideal in der leidenschaftslosen – scheinbar leidenschaftslosen – Polyphonie der A-cappella-Musik des 16. Jahrhunderts. Aber müßte sie dann nicht auch den Petersdom des Michelangelo, die Kirche der heiligen Ignaz und Xaver des Vignola in Rom, die Karlskirche in Wien leerstehen lassen? Der Vergleich mit der Architektur hilft uns ja überhaupt weiter. Süddeutschland – das österreichische und bayrische Süddeutschland – ist voll von Kirchen des 18. Jahrhunderts, ohne Mystik und Strenge, aber von heiterer Festlichkeit und festlicher Heiterkeit: Säulen winden sich, Altäre prangen in Purpur und Gold, auf hellfarbigen Deckengemälden jubilieren um die Heilige Trinität ganze Reigen von Heiligen und Putten. Ob sie mehr bäurisch sind oder Wunder feinster Kunst wie die Wallfahrtskirche zu Wies in Oberbayern – sie alle sind nicht »weltlich«, sondern sie sind von einer kindlichen Frommheit, die nicht weniger Devotion, Lob Gottes ist als reinste Gotik oder die bestnachgeahmte Gotik des 19. und 20. Jahrhunderts. Das musikalische Gegenstück zu diesen Kirchen sind die Messen und Litaneien, die Hymnen: das »Sancta Maria« und das »Ave verum« Mozarts. Mag er als Katholik kritische oder freiere Anwandlungen gehabt haben:[100] in seinen Kirchenwerken ist er fromm. Fromm auch in dem tieferen Sinne, als sie »katholisch«, in sich beschlossen sind als Kunstwerke, ohne jede Fragestellung, ohne jeden Bruch mit der Konvention. Davon wird später die Rede sein, wenn wir uns mit dem Musiker Mozart zu befassen haben. Aber man denke schon hier an jenen rheinischen Katholiken Beethoven, der in seiner Hohen Messe zwar katholisch ist – wie könnte man eine Messe komponieren ohne Glauben! –, aber auch kritisch, dessen Glaube nicht ohne Kampf errungen ist, dessen Bitten um Frieden nicht erfolgen ohne Erinnerung an »inneren und äußeren« Kampf und Krieg. Bei Mozart ist alles Kirchliche von unerschütterlicher Festigkeit des Glaubens und Sicherheit der Kunst – da gehört er noch ganz jenen Zeiten an, da der einzelne noch nicht an eine persönliche Auseinandersetzung mit Gott oder dem Göttlichen dachte. Gott ist der Vater; Maria die jungfräuliche Mutter, an die man sich mit besonderer Innigkeit mit der Bitte um Erhörung wenden kann; und in der Bitte liegt schon die Erhörung. Wenn irgendein großer Musiker, so war Mozart ein katholischer Komponist.
Am 4. April 1787 schreibt Mozart an seinen Vater: »Diesen Augenblick höre ich eine Nachricht die mich sehr niederschlägt – um so mehr als ich aus Ihrem lezten vermuthen konnte, daß Sie sich gottlob recht wohl befinden; Nun höre aber daß Sie wirklich krank seyen! wie sehnlich ich einer tröstenden Nachricht von Ihnen selbst entgegen sehe, brauche ich Ihnen doch wohl nicht zu sagen; und ich hoffe es auch gewis – obwohlen ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe mir immer in allen Dingen das schlimmste vorzustellen – da der Tod (genau zu nemmen) der wahre Endzweck unsers Lebens ist, so habe ich mich seit ein Paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel beruhigendes und tröstendes! und ich danke meinem Gott, daß er mir das Glück gegönnt hat mir die Gelegenheit (Sie verstehen mich) zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. – Ich lege mich nie zu Bette ohne zu bedenken, daß ich vielleicht (so jung als ich bin) den andern Tag nicht mehr seyn werde –[101] und es wird doch kein Mensch von allen die mich kennen sagen können daß ich im Umgange mürrisch oder traurig wäre – und für diese Glückseeligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie vom Herzen Jedem meiner Mitmenschen. – Ich habe Ihnen in dem Briefe (so die Storace eingepackt hat) schon über diesen Punkt (bey Gelegenheit des traurigen Todfalles meines liebsten besten Freundes grafen v. Hatzfeld) meine Denkungsart erklärt – er war eben 31 Jahre alt; wie ich – ich bedaure ihn nicht – aber wohl herzlich mich und alle die welche ihn so genau kannten wie ich. – Ich hoffe und wünsche daß Sie sich während ich dieses schreibe besser befinden werden; sollten Sie aber wieder alles Vermuthen nicht besser seyn, so bitte ich Sie bey ... mir es nicht zu verhehlen, sondern mir die reine Wahrheit zu schreiben oder schreiben zu lassen, damit ich so geschwind als es menschenmöglich ist in Ihren Armen seyn kann; ich beschwöre Sie bey allem was – uns heilig ist ...«
Was war geschehen? In diesem Brief ist wohl noch die Rede von Gott, aber ein katholischer Priester hätte am Geist dieses Briefes schwerlich Gefallen gehabt. Der Gedanke an den Tod hat nicht das Gefühl der Reue zur Folge, nicht die Furcht, im Stand der Sünde zu sterben, die Vorbereitung durch Beichte und Absolution, sondern im Gegenteil: den Vorsatz, um so inniger und freudiger zu leben. Mozart und sein Vater waren Freimaurer geworden. Mozart war zuerst, Ende 1784, als Bruder in eine der kleineren unter den acht Wiener Logen, die Loge »Zur Wohltätigkeit«, eingetreten, und Leopold war ihm während seines Besuchs in Wien, am 6. April 1785, nachgefolgt. Als auf Befehl des Kaisers, Anfang 1786, sich eine Zentralisation all dieser Logen zu drei größeren vollziehen mußte, ward die »Wohltätigkeit« verschmolzen mit der »Gekrönten Hoffnung« zur »Neugekrönten Hoffnung«. Lag für Mozart in dieser Zugehörigkeit zum Freimaurertum ein Widerspruch zu seinem Katholizismus? Ja und nein. Ein guter Katholik konnte damals sehr wohl Maurer werden; er mußte allerdings ein »aufgeklärter« Katholik sein und die Gefahr in Kauf nehmen, von der Kirche mit Mißtrauen und Mißbilligung betrachtet zu werden. Und Mozart war ein leidenschaftlicher,[102] überzeugter Maurer, ungleich Haydn, der nominell wohl ebenfalls Maurer gewesen ist, aber seit seiner Aufnahme nie mehr an einer Loge teilgenommen und nicht ein einziges »maurerisches« Werk für die Brüder komponiert hat, indes wir von Mozart nicht nur eine Reihe von bedeutsamen Stücken besitzen, die für Logenfeierlichkeiten bestimmt waren: – der Gedanke an sein Maurertum durchdringt vielmehr sein ganzes Schaffen; viele seiner Werke, nicht bloß die »Zauberflöte«, sind maurerisch, ohne daß es der Uneingeweihte ahnt.
Nein, Mozart war kein guter Katholik mehr im Sinne eines finsteren oder zelotischen Pfaffen. Das Schicksal der Freimaurerei in Österreich war sehr merkwürdig. Franz von Lothringen, der Gatte Maria Theresias, war 1731 im Haag durch den englischen Gesandten Lord Chesterfield in den Orden eingeführt worden, und die junge Gattin ließ ihn gewähren – sie hat vermutlich auf diese »escapade« ihres Gatten mit geringerer Eifersucht geblickt als auf seine gelegentlichen Seitensprünge mit schönen Hofdamen. Die Zugehörigkeit des Kaisers zum Orden verhinderte sogar die Veröffentlichung der Bulle gegen die Freimaurerei, die Clemens XII. (23 April 1738) bereits stilisiert hatte. 1764 aber wurde der Orden durch Maria Theresia in aller Form und in all ihren Erblanden verboten und konnte sich nur noch im verborgenen erhalten. Als sie starb – 1780 – schien wieder eine große Zeit für das Freimaurertum in Wien und Österreich anzubrechen. Der Kaiser selber war zwar kein Logenbruder, aber die Bestrebungen und Ziele des Ordens schienen so sehr in seiner Linie zu liegen, daß man Förderung erwarten durfte und sich über Josephs wahre Haltung täuschte: – Skeptizismus und Mißtrauen, sogar Spott, dokumentiert in bürokratischen Maßnahmen. Und als Joseph starb, begann die katholische Geistlichkeit, besonders das Mönchstum, wieder Sturm zu laufen gegen die Logen, wie man weiß mit vortrefflichem Erfolg. In der Zugehörigkeit zu einer Loge lag Protest gegen die Kirche: eine der Schriften des geistigen Hauptes der Wiener Logen, die »Monachologia« des Mineralogen Ignaz von Born, war eine Satire auf das Mönchstum. Zudem hatte man, gerade in den achtziger Jahren, in Österreich volle Gelegenheit, das Schicksal eines verwandten Ordens im[103] nahen Bayern zu verfolgen, des sogenannten Illuminaten-Ordens. Dieser Orden war 1776, ein Jahr vor dem Tode des zwar sehr katholischen, aber auch wohlwollenden Kurfürsten Max Joseph, in Ingolstadt, bisher einer Hochburg des Jesuitismus, gestiftet worden von einem jugendlichen Professor Adam Weishaupt; Lehrer des Natur- und kanonischen Rechts, der erste weltliche Lehrer an einer Universität, an der bis 1773 nur Jesuiten das Wort geführt hatten. Weishaupt war ein idealistischer Wirrkopf, wie sein Entwurf der Statuten des Ordens beweisen mag:
»Die geheime Gesellschaft verfolgt den Zweck, selbstdenkende Menschen aus allen Weltteilen, von allen Ständen und allen Religionen und unbeschadet ihrer Denkfreiheit, trotz allen so verschiedenen Meinungen und Leidenschaften, durch ein gegebenes höheres Interesse in ein einziges Band dauerhaft zu vereinigen, sie dafür glühend und auf den Grad empfänglich zu machen, daß sie in der größten Entfernung als gegenwärtig, in der Unterordnung als Gleiche, daß viele wie ein Einziger handeln und begehren und aus eignem Antrieb, aus wahrer Überzeugung von selbst tun, was kein öffentlicher Zwang, seit Welt und Menschen sind, bewirken konnte. Der Orden, der diesen geheimen Zweck verfolgen soll, zerfällt in drei Klassen. Die erste Klasse bildet die Pflanzschule, die zweite ist die Freimaurerei, das zeitherige Logenwesen, die dritte und höchste Klasse aber sind die Mysterien. In der ersten Klasse, der Pflanzschule, steigt der Novize zum Minervalis, vom Minervalis zum Illuminatus minor und endlich zum Magistrat. In der zweiten Klasse, der Freimaurerei, sind die Grade Illuminatus major oder schottischer Noviz und Illuminatus dirigens oder schottischer Ritter. In der dritten Klasse, der höchsten, den Mysterien, endlich sind vier Grade ...« Das klingt einigermaßen phantastisch; aber Weishaupt hatte von den Jesuiten etwas gelernt: den Willen zur Macht, zur Ausbreitung seines Anhangs, und die Forderung unbedingten Gehorsams der Mitglieder. Und der Orden gewann Anhänger und Einfluß an vielen Orten Deutschlands, unter Fürsten, zum Beispiel, den Herzog von Gotha, unter Geistlichen, zum Beispiel Karl von Dalberg, den berühmten Koadjutor des Erzstiftes[104] Mainz, unter Männern des Geistes, wie Freiherrn von Knigge in Hannover. Innere Zwistigkeiten führten zur Schwächung des Ordens; und die Doppeltätigkeit von Beamten, als Staatsdiener und Mitglieder, von der Regierung mit Mißtrauen betrachtet, führte zu seiner Auflösung am Ort seines Ursprungs. Am 24. Juni 1784 erließ Karl Theodor ein allgemeines Verbot aller geheimen Verbrüderungen; die Freimaurer in Bayern und der Pfalz gehorchten gleich, und die Illuminaten mußten in den folgenden Jahren gehorchen. Weishaupt floh zu seinem Gönner in Gotha, und in Bayern kehrte wieder die Finsternis ein, die jeder despotischen Regierung als angenehmste Vorbedingung für ihre Maßnahmen gilt. Karl Theodor als Vorbild für die »Königin der Nacht«! Bei der Gestaltung der »Zauberflöte« hat die Erinnerung an das Schicksal des Freimaurertums im Nachbarland ebenso ihre Rolle gespielt wie die an sein Schicksal im heimischen Wien. Der aggressive Zug der Maurerei gegen den von der Kirche gepflegten Aberglauben und die der Kirche bequeme Unwissenheit ist gar nicht zu leugnen.
Dennoch: der Gegensatz ist Mozart nicht bewußt geworden, oder er hat ihn überbrückt. Im Jahr seines Todes hat er zu gleicher Zeit an der maurerischen »Zauberflöte« geschrieben und den liturgischen Text des »Requiem« zu komponieren begonnen. Aber ob nicht Freimaurerisches in die Komposition der Totenfeier der Kirche hineingeflossen ist? Das ist eine Frage, die wir später beantworten müssen, aus dem Charakter der Musik. Wie verschieden ist Mozart von Gluck und Haydn! Von Gluck gibt es Kirchenmusik überhaupt nicht – religiöse Musik wohl, wie das »De profundis«, aber keine Messe, keine Litanei, keinen Hymnus. Ich weiß nicht, ob Gluck Freimaurer gewesen ist, es ist auch gleichgültig. Er war ein Weltmann; die Zugehörigkeit zu einer Loge hätte ihm nichts weiter bedeutet als die Zugehörigkeit zu irgendeiner andern Gesellschaft, so wie er der römischen »Arcadia« als Mitglied angehörte. Haydn war Freimaurer; aber auch wenn er ein weniger lauer und teilnahmsloser »Bruder« gewesen wäre, wäre seine Musik in ihrer geistigen, musikalischen Haltung völlig unbeeinflußt durch das Ideal der maurerischen Humanität geblieben. Am Ende seiner[105] Schaffenstätigkeit schreibt er wieder ganz unbefangene Messen, wohl reifere und größere, aber nicht wesentlich andre als die früheren, und schreibt er fröhlich-fromme Oratorien, die ein neues Naturgefühl atmen, aber kein neues Menschheitsgefühl. Für Mozart waren Katholizismus und Maurertum zwei konzentrische Sphären, aber das Maurertum war die höhere, weitere, umfassendere: das Streben nach sittlicher Läuterung, die Arbeit für das Wohl der Menschheit, die Vertrautheit mit dem Tod. Es mag auch betont werden, daß künstlerische Naturen wie Mozart von der ausgearbeiteten Symbolik des Maurertums angezogen werden konnten. Die Symbolik, das Zeremoniell der katholischen Kirche war Mozart vertraut; die geheimnisvollen Symbole der Loge waren ihm neu. Es paßt durchaus zu seinem Naturell, daß er mit gewissen Eigentümlichkeiten der Logengepflogenheiten sogleich seinen kindlichen Spaß zu treiben beginnt. Bei den Illuminaten waren Ordensnamen eingeführt, so wie bei den Mitgliedern der »Arcadia« in Rom; nur waren es keine phantastischen Schäfernamen, sondern antikische oder biblische. Der Herzog von Gotha hieß Timoleon; der Prinz Ferdinand von Braunschweig Aaron; der Koadjutor des Erzstiftes Mainz: Crescent; der Freiherr von Knigge: Philo. Am 15. (14.) Januar 1787 schreibt Mozart seinem jungen Freund Gottfried von Jacquin aus Prag nach Wien:
»... Nun leben sie wohl liebster freund, liebster Hikkiti Horky! – das ist ihr Name, daß sie es wissen, wir haben uns allen auf unserer Reise Namen erfunden, hier folgen sie. Ich Punkitititi. – Meine Frau Schabla Pumfa. Hofer Rozka Pumpa. Stadler Notschibikitschibi. Joseph mein Bedienter Sagadarata. Der Goukerl mein hund Schomanntzky – die Madame Quallenberg Runzifunzi. – Mademoiselle Crux Ps: der Ramlo Schurimuri. Der freystädtler Goulimauli. haben sie die güte letztern seinen Namen zu communiciren ...« Der Name »Goulimauli« ist sogar ins Werk, in einen Kanon Mozarts übergegangen ... Es wäre verlorene Mühe, in den tiefern Sinn der Namen dieser Brüder- und Schwesternschaft eindringen zu wollen; aber ihre Erfindung muß Mozart unendlichen Spaß gemacht haben, erklärbar nur, wenn man das Parodistische darin erkennt. Ein paar Wochen und Monate nach dergleichen kindlicher Erlustigung[106] schreibt Mozart das Rondo für Klavier in a-moll und das Streichquintett in g-moll.
Was Mozart in die Loge getrieben hat, war vielleicht auch das Gefühl seiner tiefen Vereinsamung als Künstler und das Bedürfnis nach rückhaltloser Freundschaft. In der Loge war er, der vom Grafen Arco mit einem Fußtritt Bedachte, vom Erzbischof Colloredo als Bedienter Behandelte, als ein Mensch von Genius dem Adel ebenbürtig und gleichberechtigt. Er schreibt die Trauermusik »bey dem Todfalle der Br: Br: Meklenburg und Esterhazy« – das heißt für den Herzog Georg August zu Mecklenburg-Strelitz und für Franz Graf Esterhazy von Galantha – nicht in bezahltem Auftrag, sondern als Bruder für den Bruder. Dazu kommt, daß er – und das ist bereits andern aufgefallen – unter Musikern kaum einen Freund, zum mindesten keinen intimen Freund hatte. Auszunehmen sind vielleicht, außer den sehr geliebten väterlichen Johann Christian Bach und Joseph Haydn, nur Hoffmeister, bei dem er seine Schulden durch Kompositionen abtrug, denn Hoffmeister war nicht nur Komponist, sondern auch Verleger – und der ehrliche alte Albrechtsberger, der spätere Lehrer Beethovens. Mozart war keineswegs ein guter Kollege. Man ist immer wieder erstaunt und oft betrübt, wenn man in den Briefen – zugegeben, privaten Äußerungen – auf die schonungslosesten Urteile über musikalische Zeitgenossen stößt, über Jommelli, Michael Haydn, Beecke, Abt Vogler, Schweitzer, Clementi, Fischer, Häßler und viele andere. Lob für Musiker ist karg; auch für solche, denen Mozart viel verdankt: Gluck, Boccherini, Viotti, Misliveczek – gegen Gluck haben Vater und Sohn zeitlebens ein persönliches Mißtrauen gehegt. In Dingen der Kunst kennt Mozart keine Kompromisse; und seine helle Beobachtungsgabe läßt ihn – wie das auch bei Kindern so ist – eher die lächerlichen und schwachen Seiten eines Menschen entdecken als die wertvolleren. Und das kann auch im Leben, im persönlichen Verkehr nicht verborgen geblieben sein. Nur so ist die hinter äußerster Höflichkeit versteckte Gegnerschaft eines Salieri oder die rohe Bosheit eines Leopold Anton Kozeluch zu erklären – abgesehen von den vielen Mittelmäßigkeiten, bei denen unendliche, unüberbrückbare geistige Überlegenheit ohne weiteres[107] unversöhnlichen Haß gegen deren Träger erregt. Aber Mozart war im Grunde nicht erfolgreich genug für solchen Haß. Seine böse Zunge war nicht unbekannt. Joseph Haydn hört 1791 in London, daß Mozart sich übel über ihn geäußert haben solle – »ich verzeihe es ihm«. Es war sicherlich nicht wahr. Aber es ist betrüblich, daß Haydn es als wahr annehmen konnte.
Quelle:
Einstein, Alfred: Mozart. Sein Charakter, sein Werk. Zürich, Stuttgart 31953, S. 97-108.
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