Le nozze di Figaro.

[86] Opera buffa in 4 Acten.


Damals machte Beaumarchais's Lustspiel: Figaro sein Glück und war der Klepperhengst aller Theater. Der Kaiser Joseph bestimmte Mozart, ihm, in eine welsche Oper umgeschaffen, auch auf Welschlands Bühnen durch seine Musik Celebrität zu verschaffen, und durch diese Veranlassung componirte Mozart sie 1786 für die italienische Oper zu Wien, die auch dann nicht allein in Wien, sondern auch an vielen anderen Orten Glück machte.

Die Bewunderung für den Verfasser dieser Oper ging so weit, dass Graf Johann Thun, ein grosser Kenner der Musik und der selbst eine vortreffliche Kapelle unterhielt, ihn nach Prag einlud und ihm Wohnung, Kost und alle Bequemlichkeiten in seinem Hause anbot. Mozart, zu sehr über die Wirkung seiner Musik auf die böhmische Nation erfreut, begierig, ein Volk mit solch einem Tonsinne kennen zu lernen, ergriff die Gelegenheit mit Freuden. Am Tage seiner Ankunft (im Februar 1787) wurde Figaro gegeben. Mozart erschien darin, und als sich der Ruf von seiner Anwesenheit im Parterre verbreitete, so applaudirte ihm das gesammte Publicum, als die Ouvertüre zu Ende ging.[86]

Wüsste man auch beym Eintritte ins Schauspielhaus nicht, dass eine Opera buffa gegeben würde, so müsste man es doch an der Ouvertüre hören, die hier das ganze Stück charakterisirt. Der tändelnde Anfang ist überraschend; das Ganze ein Spiel der schönsten muthwilligsten Laune. Man sieht darin den verschmitzten Figaro mit seinen Sprüngen und Wendungen, noch ehe sich der Vorhang öffnet. Alles wirbelt und paukt durch einander; die Gedanken drängen sich und geben das treuste Bild froher Laune.

Dieses Tändeln geschieht aber nicht auf Kosten der Gründlichkeit. Vielmehr wusste Mozart mit dieser Anmuth so viel Kraft zu verbinden, dass Kenner und Liebhaber vollkommen befriedigt werden. Die Finalen und Sextetten sind unnachahmlich und voll tönender Harmonie. Figaro hat besonders den Vorzug, dass die mehresten Scenen für den Gesang bearbeitet sind, was ihn an Terzetten, Duetten, Quartetten und Sextetten vorzüglich reich macht. Das Genie des Künstlers erhielt dadurch Gelegenheit, sich auszubreiten und dem Ganzen mehr Einheit und Bestimmtheit zu geben.

Ohnstreitig ist diese Oper klassisch und das schönste Muster komischer Singspiele. In Ansehung ihrer Anlage, ihres Zusammenhanges, der Ausführung der Charaktere, scheint sie dem Don Juan weit vorzustehen. Das starke Personale bietet eine Menge verschiedener Charaktere dar, die richtig durchdacht und vom Hauptcharakter des Figaro bis zum episodischen Hannchen fein behandelt sind.[87]

Figaro. – Leichtigkeit, Leben, Frohsinn mit Schlauheit gepaart, sind die Hauptzüge, welche sich gleich in der ersten Arie, sowohl durch die Wahl der Tact-als Tonart und Instrumentation deutlich herausheben. Figaro's Parthie hat gewöhnlich Tanz-Melodieen. So die Arie No. 3.: Se vuol ballare Signor Contino etc. – Selbst dem Verdrusse wusste Mozart den Anstrich von Laune zu geben; der leichte Figaro satyrisirt über sich selbst. Wie unendlich verschieden ist seine Eifersucht von jener des Grafen Almaviva! Wie gravitätisch zeigt sich dieser Spanier im Terzette, wo die Geigen in der Tiefe mit Pralltrillern anfangen und sich in demselben Verhältnisse hinaufwirbeln! Am schönsten ist er im Finale des zweyten Actes und im grossen Sextette des dritten behandelt.

In dem Richter Don Curzio hat Mozart seiner Satyre ungezügelten Lauf gelassen. Unwissenheit bläht sich mit der Würde des anvertrauten Amtes und sagt mit feyerlichem Ernste – allgemein anerkannte Abgeschmacktheiten. Wie Lachen erregend ist seine Arie aus D#, und mit welcher Gravität, mit welchem Bombast von Instrumenten ist die Stelle aufgeführt: Sich zu rächen, welche Wollust für den Weisen etc.! Und dabey sieht es im Accompagnement so confus aus, wie im Kopfe des dummstolzen Amtmannes. Menschen solcher Art blähen sich nirgends mehr, als wenn sie Gelegenheit finden, die Würde ihres Amtes, gestützt von ihrer Oberherrschaft, gegen Schwächere zu missbrauchen, wie der Fall im Finale des zweyten Actes ist, wo er als Maschine des Grafen mit diesem auftritt und dummblähend[88] sein Amt verwaltet. Es ist der vorletzte Satz, wo das Finale in Es# modulirt, in welchem Mozart die Gravität dieser erlauchten, wohlweisen Gerichtsperson persifflirt. Die ernste Tonart ist komisch behandelt, und die Melodie, in ungleicher Bewegung fortrückend, giebt ein groteskes Bild lächerlicher Amtswürde.

Basilio's niederträchtiger kriechender Charakter liefert ein bedeutungsvolles Gegenstück zu dem vorhergehenden. Eben so abgeschmackt, wie jener, aber kriechend, geschmeidig, weil er nicht das Ansehen des Erstern hat, macht er den Liebediener von dem Grafen, den Kuppler, und verschiesst seine Bolzen. In seiner Arie im dritten Acte, in den Jahren, wo die Stimme der Vernunft vergebens spricht, liegt der ganze Cubus seines Charakters: Feigheit, Schmeicheley und Arroganz. Die abgestossenen Violinnoten des Accompagnements benehmen dem kühnen Gange der Melodie alle Kraft und scheinen die Worte Lügen zu strafen.

Der Page Cherubino ist eines der schönsten Gemälde in der Gallerie unsers Raphaels. Welches Schmachten, welche Sehnsucht! Und wie verschmilzt der zum Jüngling heranreifende Knabe zwischen Mann und Weib! Seine Melodieen führen einen sonderbaren Charakter. Es athmet in ihnen die emporkeimende Kraft des Jünglings, von jungfräulicher Schamhaftigkeit gebunden. Der Knabe fühlt, lernt seine Bestimmung – in der Schule lüsterner Weiber – kennen; seine Erfahrungen sind seinem Alter vorgerückt, wollüstige Gluth hat sein Herz entzündet, und noch kann er sie nicht stillen. Er wünscht der[89] Zeit Flügel, um Alles geniessen zu können, was er, aus dem bereits Erfahrenen, ahnet. Wie ist Alles diess gemalt in der schmachtenden Arie: Voi che sapete che cosa è amor!

Der Charakter der Gräfin, wie schön ist er behandelt! – Betrogene Hoffnungen, Kummer, freudenleere Tage, getrübt von der Eifersucht eines Mannes, der sie mit Liebe täuschte, und – betrog! Wie schön wusste Mozart den Ausbruch dieser Gefühle in dem edlen Charakter zum Theilnehmen erweckenden, erhabenem Dulden zu verwandeln! Wie edel und mit welcher Delicatesse ist diese Parthie behandelt in der ersten Arie des zweyten Actes Es#! Selbst durch die lärmenden Finale, wenn der Strudel verworrener Gefühle Alles mit sich fortreisst, bleibt er sich gleich, durch die ganze Oper gut gehalten; selbst bey der verfänglichen Situation, wo sie zum Abentheuer willigt, mit welchem die Treue der Männer probirt werden soll, entschliesst sie sich nur schwer, und man fühlt, wie viel Ueberwindung ihr dieser Entschluss kostet. Unter allen weiblichen Charakteren, die Mozart zeichnete, ist dieses der vollendetste und edelste.

Susanna, das verschmitzte Kammermädchen, eine Zerline im Umgange mit der Welt, mit ihren Fehlern und Schönheiten bekannter, weiss ihren Mutterwitz besser zu brauchen, und handelt mit mehr Unbefangenheit; der Schleyer erborgter Unschuld ist durchsichtiger, als bey jener. Das Duett mit Marzelline im ersten Acte A#, wo sich die eben so treffend gemalte Haushälterin mit ihr zankt, und die Beyden einander ziemlich plebej – doch aus der[90] Natur solcher Geschöpfe gegriffen – persifliren und mit steigender Galle auslachen, liefert die deutlichste Uebersicht beyder Charaktere.

Hannchen ist das weibliche Gegenstück des Cherubino, und, wenn schon als Gegenstück in schwächeres Licht gestellt, dennoch verhältnissmässig ausgeführt. Ihre kleine Ariette, womit der vierte Act beginnt, passt in der Wahl der Tonart und des Zeitmaasses völlig zu jener, jungen Mädchen in gewissen Jahren, ehe sie zur Liebe völlig erwachen, charakteristisch eigenen, ängstlichen Bedächtlichkeit. Und wie artig wusste Mozart das Suchen an der Erde zu malen: »L'ho perduta – me meschina!« – Die Melodie kriecht nur unmerklich vorwärts, wiederholt sich, fasst die kaum gehörte Notenfigur wieder auf, wie Einer, der Etwas sucht und immer wieder auf den Platz sieht, den seine Augen kaum verlassen haben, als müsse er es da und nirgend wo anders finden. Nur bey der Stelle, wo ihr einfällt, was der Graf, was der Pathe darüber sagen werde, erschrickt sie; die Noten werden geschwinder, die Melodie drängt sich im Verhältnisse mit dem Vorhergehenden bey den Worten:»e il Signor!« Aber sie findet nicht, was sie sucht, fällt in ihre vorige Trostlosigkeit zurück und schliesst ihre Ariette so traurig, bedächtlich und schleppend, als sie begann.

Ueberhaupt verdient diese Oper wegen der glücklich behandelten Nüancirung ihrer Charaktere, deren fast jeder sein Seitenstück darin findet, vorzüglich studirt zu werden. Man halte z.B. Don Curzio und Basilio, Susanne und die ältere Marcelline, Cherubin und Hannchen, die Schilderung der Eifersucht des[91] Grafen und Figaro's gegen einander – welche herrlich nüancirte Farbengebung im Verhältnisse zum Ganzen!

Italienische Componisten begnügen sich gewöhnlich, bey ihrer Opera buffa dem leichten plappernden Gesange ein eben so gehaltloses einzelnes Accompagnement unterzulegen. Betrachtet man dagegen die Volltönigkeit der Instrumentation, den schön geregelten Contrapunct, der den Quartetten und Sextetten hier zum Grunde liegt, die unüberzählbare Menge komischer Gedanken und Malereyen, und dabey die ganz einfache sangbare Melodie, so tändelnd, anschmiegend, so leicht zum Nachsingen – aller Wust italienischer Buffonaden sinkt in sein altes, längst verdientes Nichts. Hier ist keine Wiederholung, keine ekelhafte Monotonie, sondern Alles athmet hesperische Fülle und Neuheit; Blüthe drängt sich an Blüthe; wohin man blickt, lacht Jugend und Frühlings-Heiterkeit aus dem schönfarbigen Bilde.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 86-92.
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