76. Mozarteum.

[91] Mannheim 14–16. Nov. 1777.

Ich Johannes Chrysostomus Amadeus Wolfgangus Sigismundus Mozart gebe mich schuldig, daß ich vorgestern[91] und gestern (auch schon öfters) erst bei der Nacht um 12 Uhr nach Haus gekommen bin, und daß ich von 10 Uhr an bis zur benennten Stunde beim Cannabich, in Gegenwart und en Compagnie des Cannabich, seiner Gemahlin und Tochter, Hrn. Schatzmeister, Ramm und Lang, oft und – – nicht schwer, sondern ganz leicht weggereimet habe, – – und zwar mit Gedanken, Worten und – – –, aber nicht mit Werken. Ich hätte mich aber nicht so gottlos aufgeführt, wenn nicht die Rädelführerin, nemlich die sogenannte Lisel (Elisabeth Cannabich) mich gar so sehr dazu animirt und aufgehetzt hätte; und ich muß bekennen, daß ich ordentlich Freude daran hatte. Ich bekenne alle diese meine Sünden und Vergehungen von Grund meines Herzen, und in Hoffnung sie öfter bekennen zu dürfen, nehm ich mir kräftig vor, mein angefangenes sündiges Leben noch immer zu verbessern. Darum bitte ich um die heilige Dispensation, wenn es leicht sein kann; wo nicht, so gilt es mir gleich, denn das Spiel hat doch seinen Fortgang: Lusus enim suum habet ambitum, spricht der seelige Sänger Meißner, Cap. 9, S. 24, weiteres auch der heilige Ascenditor, Patron des Brennsuppen Coffé, der schimmlichten Limonade, der Mandelmilch ohne Mandeln und insonderheitlich des Erdbeer-gefrornen voll Eys-brocken; weil er selbst ein grosser Kenner und Künstler in gefrornen Sachen war.

Die Sonate, die ich für die Mademoiselle Cannabich geschrieben habe, werde ich so bald es möglich auf klein Papier abschreiben lassen und meiner Schwester schicken. Vor 3 Tagen habe ich angefangen der Mademoiselle Rose die Sonate zu lehren; heute sind wir mit dem ersten Allegro fertig. Das Andante wird uns am meisten Mühe machen; denn das ist voll Expression und muß accurat mit den Gusto, Forte und Piano, wie es steht, gespielt werden. Sie ist sehr geschickt, und lernt sehr leicht. Die rechte Hand ist sehr gut, aber die linke ist leider ganz verdorben. Ich kann sagen, daß ich oft sehr Mitleiden mit ihr habe, wenn ich sehe, wie sie sich oft bemühen muß, daß sie völlig schnauft, und nicht aus Ungeschicklichkeit, sondern weil sie nicht anders kann, weil sie es schon so gewohnt ist, indem man ihr es nie anders gezeigt[92] hat. Ich habe auch zu ihrer Mutter und zu ihr selbst gesagt, daß wenn ich jetzt ihr förmlicher Meister wäre, so sperrte ich ihr alle Musikalien ein, deckte ihr das Clavier mit einem Schnupftuch zu und ließe ihr so lange mit der rechten und linken Hand, anfangs ganz langsam, lauter Passagen, Triller, Mordanten etc. exerciren, bis die Hand völlig eingerichtet wäre; denn hernach getraute ich mir eine rechte Clavieristin aus ihr zu machen. Denn es ist Schade, sie hat so viel Genie, sie liest ganz passabel, sie hat sehr viel natürliche Leichtigkeit und spielt mit sehr viel Empfindung. Sie haben mir auch Beide recht gegeben.

Nun auf die Oper, ganz kurz. Die Musik vom Holzbauer [zum ersten großen deutschen Singspiel »Günther von Schwarzburg«] ist sehr schön. Die Poesie ist nicht werth einer solchen Musik. Am meisten wundert mich, daß ein so alter Mann, wie Holzbauer, noch so viel Geist hat; denn das ist nicht zu glauben, was in der Musik für Feuer ist. Die Primadonna war die Mad. Elisabetha Wendling, nicht die Flötisten-Frau, sondern des Geigers. Sie ist immer kränklich, und zu dem war auch die Oper nicht für sie, sondern für eine gewisse Danzi geschrieben, die jetzt in England ist; folglich nicht für ihre Stimme, sondern zu hoch. Hr. Raaff hat unter 4 Arien und etwa beiläufig 450 Tacten einmal so gesungen, daß man gemerkt hat, daß seine Stimme die stärkste Ursache ist, warum er so schlecht singt. Wer ihn eine Arie anfangen hört und nicht in demselben Augenblick denkt, daß Raaff der alte vormals so berühmte Tenorist singt, der muß gewiß von ganzem Herzen lachen. Denn es ist halt doch gewiß, ich habe es bey mir selbst bedacht: wenn ich jetzt nicht wüßte, daß dies der Raaff ist, so würde ich mich zusammen biegen vor Lachen, so aber – – ziehe ich nur mein Schnupftuch heraus und schmutze. Er war auch sein Lebtag, wie man mir hier selbst gesagt hat, kein Acteur; man mußte ihn nur hören und nicht sehen. Er hat auch gar keine gute Person nicht. In der Oper mußte er sterben, und das singend in einer langen, langen, langen, langsamen Aria, und da starb er mit lachendem Munde. Und gegen Ende der Arie fiel er mit der Stimme so sehr, daß man es nicht aushalten konnte. Ich[93] saß neben dem Flöten-Wendling im Orchester. Ich sagte zu ihm, weil er vorher critisirte daß es unnatürlich sei, so lange zu singen, bis man stirbt, »man kanns ja kaum erwarten«; – da sagte ich zu ihm: »Haben Sie eine kleine Geduld, jetzt wird er bald hin sein, denn ich höre es.« »Ich auch«, sagte er und lachte. Die zweite Sängerin, eine gewisse Mademoiselle Straßerin, singt sehr gut, und ist eine treffliche Actrice.

Hier ist eine deutsche National-Schaubühne, die immer bleibt, wie zu München. Deutsche Singspiele giebt man bisweilen, aber die Sänger und Sängerinen sind dabey elend. Gestern habe ich bei Baron und Baronesse von Hagen Oberstjägermeister gespeist. Vor 3 Tagen war ich bei H. Schmalz Kaufmann, wo mich der H. Herzog, oder vielmehr Nocker und Schidl durch einen Brief hin addressirte. Ich war in der Meinung einen recht höflichen braven Mann zu finden, ich überreichte ihm den Brief. Er las ihn durch, machte mir eine kleine Krümmung mit dem Leib und – – sagte nichts. Endlich sagte ich nach vielem Entschuldigen daß ich nicht schon längst meine Aufwartung bey ihm gemacht habe, daß ich mich beim Churfürsten habe hören lassen. »So?« – Altum silentium. Ich sagte nichts, er sagte nichts. Endlich sagte ich: »Ich will Ihnen länger nicht ungelegen sein, ich habe die Ehre« – Hier fiel er mir in die Rede: »Wenn ich Ihnen etwas Dienstliches erweisen kann, so« – – »Ehe ich wegreise, werde ich so frei sein und Sie bitten« – – »Mit Geld?« – – »Ja, wenn Sie wollen die« – »Ja, das kann ich nicht – da steht nichts im Brief von Geld; Geld kann ich Ihnen nicht geben, aber sonst« – – »Aber sonst können Sie mir in nichts dienen, ich wüßte nicht in was, ich habe die Ehre mich zu empfehlen.« – Gestern habe ich die ganze Historie dem Hr. Herzog in Augsburg geschrieben. Nun müssen wir auf eine Antwort warten; folglich kann der Papa noch nach Mannheim schreiben .....

Ich küsse dem Papa 1000 mal die Hände und bin der junge Bruder und Vater, – weil der Papa im letzten Brief geschrieben hat: Ich bin der alte Mann und Sohn. – Heut ist der 16., wo man ihn ausgeschrieben hat, den Brief, sonst weiß er nicht, wenn man ihn weggeschickt hat, den Brief. Hast[94] ihn nicht fertig? – den Brief? – – Ja, Mama, ich habe ihn fertig, den Brief.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 91-95.
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