1.

Schatten und Licht.

[1] »Stanzerl! ..... Herzensweibchen! ...... noch'n Busserl zum Abschied!« – rief Mozart seiner allerliebsten Frau zu. »Ich muß zum Abbate, .... der Gedanke an die neue Oper läßt mir keine Ruhe!« – und er eilte auf sie zu, umschlang sie mit seinem Arm, drückte ihr einen herzhaften Kuß auf die Wange, noch einen zweiten auf die frischen Lippen, und .... lief davon.

Mozart war jetzt bereits fünf Jahre verheirathet: denn »die Entführung aus dem Serail« – respektive: »die Entführung aus dem Auge Gottes« datirte sich von 1782, und jetzt – schrieb die Welt 1787. Aber diese fünf Jahre waren – wenigstens in ehelicher Beziehung – recht glückliche gewesen. Er hatte sie mit Constanzen vergnügt verlebt und ihre gegenseitige Liebe stand in schönerer, vollerer Blüthe denn je.

Warum sollte dies aber auch nicht sein? Fand denn nicht Mozart in seiner Constanze, was er gesucht: ein gutes, liebevolles Weib, das sich an seine Gemüthsart, an seine kleinen Eigenheiten vortrefflich anzuschmiegen, in sein ganzes Wesen vollkommen einzugehen wußte? Dadurch aber gewann Constanze[1] auch wieder sein ganzes Zutrauen und jenen wohlthätigen Einfluß, der oft mit liebevoller Besorgniß die gewaltigen Flügelschläge des – hie und da auch abirrenden – Genies zu bewältigen wußte. Freilich gelang dies nicht immer; aber da er sie wahrhaft liebte, ihr Alles, selbst seine kleinen Sünden anvertraute, so war Constanze meist so klug, ihren Mann für das zu nehmen, was er war – für einen außergewöhnlichen, bedeutenden Menschen, dessen Wesen .... dessen Denken, Fühlen und Handeln nicht mit dem kleinlichen, nur für Alltagsmenschen passenden Maßstabe gemessen werden konnte.

Und mußte sie ihm denn nicht vergeben, mußte sie nicht immer wieder gut sein, wenn er sich auch einmal von seiner, durch ungeheures Arbeiten nervös gesteigerten Lebhaftigkeit und Sinnlichkeit hatte hinreißen lassen? er war ja auf der anderen Seite wieder so unendlich gut, so aufmerksam, so liebevoll!

Für gewöhnlich hatte denn auch Frau Constanze so viel richtigen Takt, so viel Geist und Lebenserfahrung, sich zu der Höhe zu erheben, auf welcher ihr Gatte sich in geistiger und künstlerischer Beziehung bewegte, – sich in ihn hinein zu denken. – Ihre herzliche, innige und treue Liebe lieh ihr dazu die Schwingen; – aber eben diese aufrichtige Liebe sah auch, gerade weil sie innig und aufrichtig war, dem allzu kecken Fluge ihres genialen Mannes oft mit großer Besorgniß nach. Nicht, als ob sie auch nur im Entferntesten gefürchtet hätte, ihr geliebter Amadeus könnte jemals wirklich ausarten, – wohl aber aus Sorge für seine Gesundheit und sein Leben.

Seit er verheirathet war, arbeitete Mozart ja – wo möglich – noch mehr als zuvor. Die unselige Gewohnheit, Nachts zu componiren, – von welcher einst schon Cannabich in Mannheim gesagt, daß sie ihn, wenn er sie nicht aufgebe, keine vierzig Jahre alt werden lasse – hatte sich noch gesteigert. Morgens ward dann im Bett ausgearbeitet. War das geschehen, so ging von 10 Uhr die Jagd mit dem Stundengeben an; denn .... vor allen Dingen mußte ja der Schornstein rauchen, da man eine Frau und bereits auch Kinder hatte! Die Runde seiner Lectionen zu machen, war aber in Wien keine Kleinigkeit und nahm oft auch noch einige Nachmittagsstunden sammt der so nöthigen Geduld und frohen Laune weg.

Ach! Mozart fühlte nur zu gut und zu schmerzlich, was sein großes Genie in dieser Zeit für Mit- und Nachwelt hätte schaffen können, wenn ihn eine, seiner würdige Anstellung über[2] die Sorge des Lebens erhoben hätte. Aber auch Kaiser Joseph, der ihn so sehr liebte und schätzte, ließ ihn – Dank den Intriguen seiner Feinde – unangestellt.

Und wenn er nun durch Stundengeben, sonstige Berufsarbeiten, Akademien, Proben und dergleichen, abgemüdet, bis zum Umsinken erschöpft, geärgert, gelangweilt und nervös abgespannt nach frischem Athem, nach Erholung und Aufheiterung schmachtete, ward den erschlafften Nerven häufig nur in neuer Aufregung eine scheinbare Stärkung vergönnt. Ueberreiz folgte auf allzu große Abspannung. Wein, Punsch, tolle Lustigkeit bis an den Morgen sollte das Uebel gut machen – ach! und die arme Constanze, die mit dem ruhigen, klaren Blick einer verständigen Frau dies Treiben sah, bemerkte nur zu gut, wie des geliebten Mannes Gesundheit dadurch immer angegriffener wurde, – wie er dies selbst oftmals fühlte, und ihn dann eine tiefe Schwermuth überwältigte, die sich bis zu den finsteren Ahnungen eines frühzeitigen Todes steigerte.

Da kamen freilich gar manchmal auch, wenn die junge Frau vergeblich gewarnt und gemahnt, und Mozart sich doch wieder von Freunden und dem Aufschrei seiner nach Lebenslust dürstenden Seele hatte verleiten lassen, eine Nacht durchzuschwärmen und allerdings auch bei weitem mehr auszugeben, als in seiner Lage vernünftig war, – da kamen, sagten wir, denn freilich auch gar manchmal recht peinliche, häusliche Scenen vor. Aber die Vernunft und die Liebe glichen doch immer wieder Alles aus. Mozart konnte an seiner guten, theuren Stanzerl kein verweintes Auge sehen. Der leiseste Schmerz, der sie traf, machte ihn völlig unglücklich. Betroffen und bewegt verwünschte er dann aufrichtig seine schlimmen Gewohnheiten, versprach auch das Beste .... ja oft noch weit mehr, als sein treues Weib verlangte; ..... aber ..... kann denn der Mensch sein innerstes Wesen abstreifen wie die Schlange die Haut? Mozart war eben Mozart, blieb es, und erkaufte dieses stolze und doch schmerzliche Glück ...... mit der Erfüllung seines Geschickes!

Im Ganzen blieb aber der kleinen, jungen Frau doch stets ein guter Muth und ein heller Blick, und mit der Zeit war sie schon froh, wenn sie es mit Scherz und Laune, oder durch Bitten und Schmeicheln dahin brachte, daß Mozart den[3] Thee an ihrer Seite trank, sich seinen Abendbraten daheim schmecken ließ und dann nicht mehr ausging.

Wären nur zwei Dinge nicht gewesen: Mozarts Feinde und Neider ....... und dann ...... die elenden Nahrungssorgen! Um letzteren bei seinen unbedeutenden Bedürfnissen und Ausgaben zu entgehen – die ihm oft, bei seiner Freigebigkeit und unbegrenzten, namenlos mißbrauchten Gutherzigkeit über den Kopf wuchsen – mußte eben, wie schon erwähnt, riesenhaft gearbeitet werden. Wie viel arbeitete er zum Beispiel, ohne einen Kreuzer dafür zu nehmen, aus bloßer Gefälligkeit für Bekannte! Wie viel mehr für seine Freunde! Wie oft verwendete er sich mit der größten Aufopferung für arme reisende Virtuosen; denn die Geschichte mit Lange hatte ihn nicht klug gemacht. Wie oft componirte er für sie Concerte, von welchen er nicht einmal die Abschrift behielt, damit sie unter gutem Vorurtheil auftreten und Unterstützung finden könnten. Wie oft theilte er mit ihnen Wohnung, Tisch und Geld. Wie zahllos ward er benutzt, ausgezogen und betrogen. Und doch verlor Mozart nie den Glauben an die Menschen. Wie ein gutes aber unerfahrenes Kind nahm er alle Welt für so gut als er war. Und selbst wenn er sich hintergangen und mit dem schnödesten Undanke belohnt sah, dauerte sein Unwille doch nur Minuten, dann war schon wieder Alles vergessen.

Da sah es denn freilich oft unendlich traurig, ja zum Verzweifeln in seiner Kasse aus, so daß ihn z.B. einst, als er mit seiner jungen Frau eine kleine Reise machen wollte, einer seiner Schuldner am Wagen zurückhielt und nicht fortließ, bis er, mit der größten Noth, die dreißig Gulden aufgebracht, die er jenem schuldete. Und Andere? .... Andere schuldeten ihm Hunderte von Gulden und bezahlten ihn nie!

Und seine Feinde? – Seit dem Jahre 1782 hatte er des Herrlichen wieder viel geschaffen.

Vor allen Dingen glänzten unter den Schöpfungen dieser Zeit sechs wundervolle Quartette, die er seinem hochverehrten und lieben Freunde, seinem Muster und Vorbilde, Joseph Haydn, gewidmet. Sie waren vortrefflich und Haydn selbst sagte zu Mozarts Vater, der damals gerade zum Besuche in Wien war: »Ich sage Ihnen vor Gott und als ein ehrlicher[4] Mann, daß ich Ihren Sohn für den größten Componisten anerkenne, von dem ich je gehört habe1

Aber wie begeistert verehrte auch wieder Mozart seinen lieben Haydn! Hier ein Beispiel davon:

Unter den Componisten Wiens befand sich auch ein thätiger Mann, der nicht ohne Einfluß und in so fern auch für Mozart von Wichtigkeit war. Er hieß Kotzeluch und gehörte zu den Menschen, die da glauben, die eigene Größe könne nicht besser befördert werden, als wenn man fremde Größen herabsetze. Wo er konnte, suchte er daher Haydns Ruhm zu schmälern.

Wunderbarer Weise glaubte nun Kotzeluch an Mozart einen ebenso bereitwilligen Verbündeten zu finden, um Haydn zu schaden. In dieser Absicht brachte er ihm häufig Quartetts und Symphonien von Haydn, und machte mit triumphirender Miene auf einige jener kleinen grammatikalischen Vergehen aufmerksam, welche das Ohr beinahe nie bemerkt, wie verdeckte Quinten zum Beispiel, die aber nichts desto weniger in den Bereich der pedantischen Kritik gehören.

Die Jagd auf Quinten war nämlich eine Leidenschaft des vergangenen Jahrhunderts. Ein geübter Quintenjäger konnte überall welche entdecken. Es gab deren offene und verborgene; einige, welche man nur sehen, andere, die man nur hören konnte; wieder andere, welche weder für das Ohr, noch für das Auge bemerklich waren, sogenannte Einschiebsquinten, also eingebildete Quinten. Mozart, der diese lächerliche Pedanterie von Herzen verachtete, suchte anfangs, – da Herr Kotzeluch ihm sehr nützen aber auch schaden konnte und auf der anderen Seite manches Verdienst besaß – seinen kritischen Bemerkungen auszuweichen; als er aber sah, daß sie der einzige Zweck seiner gar zu häufigen Besuche waren, konnte er nicht mehr länger an sich halten, und sagte ihm eines Tages geradezu: »Herr, wenn man uns beide zusammenschmilzt, wird noch lange kein Haydn daraus!«

Dieser Ausfall befreite ihn zwar von einem Zudringlichen; dagegen hatte er nun wie der einen erbitterten Feind mehr![5]

Die Annalen der Kunst bieten wenige Beispiele, welche den Stand des Künstlers so sehr ehren, und auf die edelste Art die wahre Ueberlegenheit des Talentes charakterisiren, als die beständige und ergebene Freundschaft, welche zwischen den beiden größten Musikern der Welt bestand. Die hohe Achtung, die sie stets gegenseitig für einander aussprachen und, mehr als Alles dies, die zwischen ihnen bestehende gegenseitige Belehrung: Mozart erklärte, von Haydn gelernt zu haben, wie man Quartette mache, und Haydn, daß er von dem Universal-Musiker – Mozart das gelernt habe, wodurch er im Stande gewesen sei, später seine letzten großartigen Symphonien zu schreiben.2

Michael Haydn3Joseph Haydns Bruder – sollte auf höheren Befehl Duette für Violine und Viola schreiben. Er konnte dieselben aber zur bestimmten Zeit nicht liefern, weil ihn eine heftige Krankheit befallen hatte, die ihn auch nachher noch länger, als man es vermuthete, zu aller Arbeit unfähig machte. Von oben fand dieser traurige Zwischenfall freilich keine Rücksicht, ja man drohte ihm sogar mit Einziehung seiner Besoldung.

Was that nun Mozart, als er dies hörte? Schweigend setzte er sich nieder und schrieb für den betrübten, von Leiden und Sorgen niedergebeugten Freund mit so unausgesetzter Rastlosigkeit, daß die Duette in wenigen Tagen vollendet waren und unter Michael Haydns Namen eingereicht werden konnten.4

Welch' liebenswürdiger Zug in dem Charakter unseres Helden!

Aber Joseph Haydn, Mozart, den Abt Stadtler5 und Albrechtsberger6 umschloß auch ein Freundschaftsband, das sich auf die edelste Zuneigung und die herrlichsten Talente gründete, wie die ganze Welt kein ähnliches aufzuweisen hat.[6]

Welch' paradiesisches Leben für Mozart, wenn nicht nur wieder die Schlange gewesen wäre.

Aber die Schlange sollte bald tödtlich stechen. Mozart hatte noch weiter, außer einer Masse Kleinigkeiten, ein Oratorium: »Davidde penitente« geschrieben und zusammengestellt; dann, auf Kaiser Josephs Befehl, für ein Fest in Schönbrunn eine Komödie mit Gesang, der »Schauspiel-Director« ausgearbeitet; aber die bedeutendste Schöpfung jener Zeit war die herrliche Oper: »Le Nozze de Figaro« – »Figaro's Hochzeit« – gewesen. Mozart hatte kaum etwas Schöneres, und nichts, was schwieriger zu componiren war, geschrieben! Und doch! – »Le Nozze de Figaro« war in Wien nicht durchgedrungen; während eine andere weit, weit schwächere Oper von Martin: »La Cosa rara« – alle stelle durchging und in die Wolken erhoben wurde.

Und wie war dies möglich? Nun, die Schlange hatte sich ja lange genug durch den Staub gewunden und an den Stufen des Thrones, in den Boudoirs der Sängerinnen, zu Füßen der Sänger und im Gewühle des öffentlichen Lebens gezischt, und ihr Gift ausgestoßen, warum sollte sie nicht endlich dem neuen Messias der Musik in die Ferse stechen?

SalieriMozarts Freund – der kleine zierliche Hof-Capellmeister Salieri, den Mozart scherzweise nur Monsieur Bonbonnière nannte, da er, wo er ging und stand, Zuckerwerk aus einer Bonbonnière naschte – dieser schön gestellte, in musikalischer Beziehung recht tüchtige und anerkannte Mann, hatte, wie wir wissen, seit langer Zeit aus Neid und aus Furcht von Mozart – dem Schöpfer der neuen deutschen Oper – brach gelegt zu werden, im Geheimen alle Minen springen lassen, um diesen, seinen gefürchteten Rivalen, zu vernichten. Als nun Salieri erfuhr, daß Mozart durch Kaiser Joseph II. beauftragt sei, jetzt wieder eine italienische Oper über Beaumarchais Figaro zu schreiben, wollte er vor Neid, Angst und Mißgunst vergehen. Da kam ihm ein Zufall herrlich entgegen. Gerade um dieselbe Zeit schrieb ja auch sein Günstling, Vincenzo Martin, – einer der damals beliebtesten Componisten in der älteren italinischen Manier, – eine neue Oper unter dem Titel:»La Cosa rara.« Das war vortrefflich! »La Cosa rara« mußte triumphiren, – denn von Martin fürchtete der schlaue Italiener nichts, – der »Figaro« dagegen fallen. So konnte [7] Salieri seinem lieben Freunde, Maestro Mozart, einen furchtbaren Stoß versetzen, ohne sich selbst auch nur im Entferntesten blos zu stellen. Waren doch die italienischen Sänger – durch ihr eigenes Interesse gestachelt – längst für eine solche Schlacht gewonnen; denn auch sie haßten ja Mozart, den Untergraber der italienischen Oper; während sie nicht anstanden, Vincenzo Martin zu protegiren, da er ihr gehorsamer Sklave war.

Hierzu kam aber auch noch, dem Publikum gegenüber, etwas sehr Gewichtiges: daß nämlich die Musik zu »Cosa rara,« in welcher sich das Talent eines ganz gefälligen Componisten kundgab, Jedermann sehr leicht in die Ohren fiel, indeß die Musik des »Figaro,« durch ihre Gediegenheit immer bedeutend schwerer zu verstehen war. Während daher Salieri seinem lieben Freunde Mozart ein um das andere Mal vor Entzücken über das neue Meisterwerk die Hand drückte und in Lobeserhebungen und Glückwünschen überfloß, lachte er sich an der Spitze seiner Mitverschworenen mit satanischer Schadenfreude in das Fäustchen. Mozart war ja geradezu auf die Schlachtbank geliefert, da er sein Werk einer Gesellschaft anvertrauen mußte, die ihm, vom Capellmeister und Oberdirector an, bis zum letzten Sänger und Choristen, den Untergang geschworen hatte. Ohne es zu wissen, gab er sich in die Hände seiner Henker.7

Sämmtliche italienische Sänger und Sängerinnen befleißigten sich denn auch in der That, bei »Figaro's« Aufführung so schlecht als möglich zu singen, ja selbst das Orchester hudelte seinen Theil auf solch' abscheuliche Weise, daß Mozart – Thränen des Zornes und der Entrüstung in den Augen – schon nach den beiden ersten Acten8 in die kaiserliche Loge eilte, den Schutz seiner Majestät anzuflehen.

In der That war denn auch der Kaiser über das Vorgefallene indignirt. Es erging auf der Stelle eine scharfe Zurechtweisung an sämmtliche Mitwirkende. Aber was half es, daß nun der übrige Theil der Oper ein wenig besser ging. Der Schurkenstreich war geglückt. Das Publikum blieb kalt; – »Figaro's Hochzeit« – dies wundervolle Meisterwerk, das jetzt – nach mehr denn 60 Jahren – noch eine Lieblingsoper der ganzen civilisirten Welt ist, fiel und konnte[8] sich in Wien lange Zeit von seinem Falle nicht erholen. Mozart, außer sich vor Schmerz und Unwille, schwur: Nie wieder eine Oper für Wien zu schreiben!

Aber Wien ist ja nicht die Welt! Bald fand die neue Oper den Weg nach dem Musik liebenden und musikalisch gebildeten Böhmen, in dessen Hauptstadt Prag sich damals der Impressario – der Theaterunternehmer – Bondini befand. Bondini stand an der Spitze einer ganz ausgezeichneten italienischen Operngesellschaft; deren hervorragendste Mitglieder Luigi Bassi, Capellmeister Strobach, die schöne und feurige Saporitti, der Tenor Antonio Baglioni und der famose Giuseppe Lolli waren. Auch das Orchester war unbedingt das beste, das damals bestand.

Von dieser Gesellschaft aufgeführt und zwar vor einem so empfänglichen und musikalischen Publikum, wie das Prager, gefiel »Figaro's Hochzeit« ganz ungemein. Prag war außer sich vor Jubel, und die Oper mußte den ganzen Winter fast ohne Unterbrechung gegeben werden.9

Sie half aber auch den traurigen Umständen des Unternehmers nicht nur vollkommen auf die Beine, – nein! – der Enthusiasmus, den sie allgemein erregte, war bis dahin ohne Beispiel.

Die Bewunderung für den Componisten dieser herrlichen Musik ging denn auch so weit, daß Graf Joseph von Thun, – einer der edelsten böhmischen Cavaliere und einer der ersten Kenner der Musik, – der selbst eine vortreffliche Capelle unterhielt, Mozart nach Prag zu kommen einlud, und ihm Wohnung, Kost und alle Bequemlichkeiten in seinem Hause anbot.

Mozart war – zumal nach der Schändlichkeit, die man ihm in Wien gespielt – zu sehr über den schönen Erfolg erfreut, den seine Oper in Prag fand, – zu begierig, eine Nation von einem solchen Musikgefühle kennen zu lernen, als daß er die Gelegenheit nicht mit Freuden ergriffen hätte. Er kam im Februar 1787 nach Prag: an dem Tage seiner Ankunft wurde gerade »Figaro« gegeben und Mozart erschien bei der Vorstellung. Kaum aber hatte sich diese Nachricht[9] verbreitet, als sich ein endloser Jubel erhob und ein donnernder Beifallssturm den beliebten Meister begrüßte.

Mozart verlebte nun glückliche Tage in Prag. Ein Concert, das er gab, fand ebenfalls unermeßlichen Beifall. Wo er sich zeigte, ward er mit offenen Armen empfangen, auf den Händen getragen, als der Liebling der Prager geehrt und gefeiert.

Sollte ihn – die edle Seele – eine solche Aufnahme nicht auf das tiefste und freudigste bewegen? Durchdrungen von der Aufrichtigkeit einer solchen Begeisterung und zugleich erstaunt, zum ersten Male in den Massen ein so lebhaftes Verständniß des Schönen in der Kunst zu finden, beschloß er durch ein glänzendes Zeugniß den Böhmen seine Erkenntlichkeit und seine hohe Achtung zu beweisen. »Weil die Prager mich so gut verstehen, will ich eine Oper ganz für sie schreiben!« – rief er begeistert aus, und der Impressario Bondini nahm ihn beim Wort und schloß einen Vertrag mit ihm, in Folge dessen Mozart sich anheischig machte, zu Anfang des künftigen Winters eine neue Oper zu liefern. Die Wahl des Libretto wurde dem Componisten überlassen, und so reiste Mozart voll Lust, Begeisterung und Ungeduld – einen recht passenden Stoff für all' die musikalischen Prachtgedanken, die in seinem Kopfe herumgingen – zu finden, nach Wien zurück.

O wie da sein Herz schlug, seine Pulse flogen, sein Kopf glühte. Er fühlte so etwas in sich, wie eine werdende Welt – er war glücklicher denn je, und als er den ersten Fuß auf Wiener Boden setzte, war sein einziger Gedanke: »Da Ponte!« ... und ... »ein Libretto!« –

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 1-10.
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