11.

Ein Original.

[126] Wenn sich in der Atmosphäre die Ausdünstungen der Erde, des Meeres, der Flüsse und Sümpfe gehäuft haben, verdicken sich dieselben zu giftigen Nebeln oder zu finsteren Wolken und verhüllen dem Auge des Menschen die freundliche Sonne. Wenn aber bei sommerlicher Schwüle die Ausdünstungen wachsen, so daß das electrische Gleichgewicht unter den Wolken selbst, oder zwischen Wolken und Erde gestört wird, dann ziehen am fernen Horizonte unheilschwangere Gewitter auf, bereit, sich unter Blitz und Donner wüthend zu entladen.

Athemlos, schweigend und bang ruht dann die ganze Natur. Kein Lüftchen regt sich weit und breit, kein Blatt bewegt sich, und Menschen und Thiere ruhen erschöpft und ihr innerstes Mark durchrieselt Angst und Beklommenheit. Am fernen Rand der Berge aber zuckten matte Blitze. Und immer näher und immer tiefer zieht die Wolkennacht und dumpfes Donnern tönt aus ihrem Schooße.

Da, plötzlich, schallen Schmerzensschreie durch die Stille; es ist der Ruf der Sturmvögel, die raschen Fluges die dicke Luft durchschneiden, den Orkan verkünden, der eilends naht. Und krachend öffnet sich des Himmels Pforte und heulend[126] bricht der Sturm herein; ihm eilt auf schwarzen Adlerschwingen das Gewitter nach; die Wolken thun sich auf; in Fluthen stürzt der Regen nieder, der Donner kracht, in Feuer steht der Himmel, und wüthend toben die losgelass'nen Elemente: Vernichtung, Tod und Verderben tragend über Wald und Flur. Doch – – matter wird der Regen, leiser rollt der Donner, der Blitze Feuerströme werden schwächer und schwächer, und von dem Sturm, der sie gebracht, verscheucht, flieht wie ein wildes Heer die schwarze Wolkenkaravane.

Und freudig athmet wieder auf, gelabt, gestärket und gekräftigt, die weite Welt. Alles wie neugeboren, die Wälder rauschen in verjüngter Kraft; die Blumen heben freudig ihre Häupter; die Vögel singen laute Jubellieder; der Mensch schlürft gierig die erfrischte reine Luft, und auf sie alle blickt die Sonne nieder in ihrer göttlich ungetrübten, segensvollen Klarheit!

Das ist das Bild der furchtbaren Erscheinung, die mit dem Neigen des achtzehnten Jahrhunderts die Welt erschütterte: das politische Gewitter der französischen Revolution fing an, sich zu entladen. Eben – es war gegen Ende des Juni 1791 – rollte ein furchtbarer Donnerschlag über die Welt und fand auch in Wien seinen Wiederhall: die Nachricht von der Flucht König Ludwigs XVI. von Frankreich, seiner Entdeckung zu Varennes durch Postmeister Drouet – und seiner und seiner Familie Rückführung nach Paris durch die triumphirenden Nationalgarden.

Man erbebte in Oesterreichs Hauptstadt – namentlich auch für die unglückliche Königin Maria Antoinette, die liebliche Tochter Maria Theresia's, die geliebte Schwester des Kaisers – aber man fühlte instinktiv, daß noch mehr auf dem Spiel stehe, als dies verehrte Haupt.

Die französische Revolution war eigentlich – vielleicht ihr selbst unbewußt – eine politische Fortsetzung jenes religiösen Kampfes im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts um religiöse und kirchliche Freiheit. Denn wenn es dort jenen heiligsten Gütern der Menschheit galt, und die mittelalterliche Fessel der Hierarchie gelöst werden sollte, so galt es hier der bürgerlichen und politischen Freiheit und der Emancipation des dritten Standes aus den Fesseln des Lehenswesens. Leider aber waren die Bande des Feudalsystems in Frankreich so alt, so mannigfaltig und so streng angezogen, daß ein Lösen derselben[127] zugleich eine Auflösung des ganzen Staates herbeiführte, als sie von zu stürmischer Hand, und ohne das Bessere, das an seine Stelle treten sollte, vorbereitet zu finden – versucht wurde. Und von wem wurde dies versucht? von einer reizbar leidenschaftlichen Versammlung, mitten unter einem unbändigen Pöbel und unter der Aufwiegelung einer wahrhaft catilinarischen Rotte. Und zu welcher Zeit wurde es versucht? in einer Zeit, in welcher neue, noch unverdaute Theorien von Volkssouveränetät und Menschenrechten sich der Köpfe, und Haß, selbst Verachtung gegen die Regierung der Herzen bemächtigt hatte. Aber leider war das nicht genug; es kam auch noch dazu, daß ein zwar weniger schuldiger aber schwacher Monarch und klägliche, oft nach dem Zufall gewählte Minister rath- und thatlos dem Sturme sich nicht mehr entgegenzuwerfen vermochten; während eine schreckliche Zerrüttung in den Finanzen das Uebel täglich mehrte, und einen Staatsbankerott – und damit eine Vernichtung alles Credits und eines großen Theiles des Privateigenthums – herbeizuführen drohte.

Es sah in der That damals trostlos aus! Mit allen Steuern und Abgaben schöpfte man nur in das Faß der Danaiden! Die Parlamente, die letzten Vertheidiger des Volkes, waren dabei suspendirt, und am 1. Mai 1789 die allgemeinen Stände des Reiches berufen worden. Aber die Nacht vom 4. bis 5. August hatte mit dem Lehensysteme auch die Vorzüge des Adels und der Geistlichkeit, also Gerichtsbarkeit und Steuerfreiheit des Adels, Frohndienste, Zehnten, Zünfte und Gilden aufgehoben, die Güter der Geistlichkeit für Eigenthum der Nation erklärt und bald nachher dem Volke die höchste gesetzgebende Gewalt zugesprochen. Es war dies ein furchtbarer Donnerschlag, der über den Häuptern der privilegirten Klassen dahin rollte. Indeß die gewaltigen Schläge häuften sich noch mehr und erschütterten jetzt schon ganz Europa.

Die neue Eintheilung Frankreichs in 83 Departements warf alle bisherigen Vorrechte der einzelnen Stände und Provinzen über den Haufen, unterwarf die Besitzungen der deutschen Reichsstände im Elsaß, besonders der drei geistlichen Churfürsten, der Herzöge von Würtemberg und Zweibrücken, Hessen-Darmstadt, Baden, der Bischöfe von Trier, Worms, Speyer, Basel, soweit sie vom französischen Gebiete umschlossen waren, gleichem Schicksal und bot für die verlorenen Hoheits-[128] und Lebensrechte nur eine Entschädigung in National-Domänen an.

Natürlich hallte nun ganz Deutschland von den Klagen der betreffenden Fürsten wieder, und hierin mischte sich bald der vielstimmige Ruf der französischen Emigranten um Hülfe und Rache.

So war die Lage der Dinge, als Kaiser Joseph II. – 1790 – die Augen schloß, zerfallen mit mehreren seiner Länder, sowie mit Adel und Geistlichkeit; verwickelt in einen schweren Krieg mit der Pforte und in seinem großen, edlen Herzen bekümmert über das Schicksal seiner Völker und seiner unglücklichen Schwester Maria Antoinette.

Sein Bruder und Nachfolger Leopold hatte bereits seit 25 Jahren Toskana mit Mäßigung, Gerechtigkeit und Friedensliebe regiert; jetzt fand er einen weit stürmischeren Schauplatz; – einen Theil seiner ererbten Länder sehr unzufrieden, wie Oesterreich und Galizien, oder im Aufstand, wie Ungarn und Belgien, wo man sein Nachfolgerecht gar nicht anerkennen wollte. Er fand einen Krieg gegen die Pforte vor, der dadurch noch viel bedenklicher wurde, daß er im glücklichsten Falle nur Rußland vergrößern, im unglücklichen Falle ihm Ungarn und Siebenbürgen kosten konnte und jedenfalls, fortgesetzt, ihn in einen Krieg mit England, Holland und Preußen verwickeln mußte. Schon standen auch in der That die Preußen bewaffnet an der Grenze, als es den 27. Juli 1790 zu Reichenbach in Böhmen zu einem Vertrage mit Preußen kam, dem zufolge der – einstimmig am 30. September 1790 auch zum deutschen Kaiser gewählte – Leopold II. mit der Pforte erst Waffenstillstand, dann – mit dem Jahre 1791 – Friede schloß.44

Aber nun drohten – wie schon erwähnt – wieder von Frankreich her neue Stürme, und die heute mittelst Courier eingetroffene Nachricht: von der mißglückten Flucht und der Zurückführung Ludwigs XVI. und seiner Familie war ganz geeignet, einen panischen Schrecken in Wien zu verbreiten.

In der That hörte man denn auch aller Orten von dieser Angelegenheit sprechen, und auf den Straßen, vor den Thüren der Häuser, in den Cafès, Schänkstuben und Wirthshäusern bildeten sich Gruppen, die sich angelegentlichst über das unselige Ereigniß unterhielten und die Politik des Tages und die großen Fragen der Zukunft mit Eifer behandelten.[129]

Aber diese Aufregung dauerte doch nur kurze Zeit. Die guten, lebenslustigen Wiener liebten solche Gemüthserschütterungen nicht, da sie dadurch aus ihrer Behaglichkeit aufgerüttelt, in ihrem gewohnten Genusse gestört und noch dazu zu einem lästigen Nachdenken über Zeitverhältnisse und Zukunft gezwungen wurden.

Auch zwei elegante Reiter – die den herrlichen Mittag benutzt hatten, einen Spazierritt durch den Prater zu machen – unterhielten sich schon seit einer halben Stunde über die große Neuigkeit des Tages. »Ja!« – sagte jetzt der eine, ein Mann in den Vierzigen, von jovialem, lebensfrischen Aussehen, seinem prächtigen Rappen den Hals klopfend, – »die Dinge stehen allerdings schlimm. Mich dauert die arme Königin; aber ich hoffe immer noch ....«

»Hoffen?« – entgegnete der Andere, der bedeutend jünger war und auf den ersten Blick den Aristokraten von Rang verrieth. – »Ich denke, von ›Hoffen‹ wird doch jetzt wohl nicht mehr die Rede sein. Es ist, bei Gott, Zeit, daß die deutschen Fürsten Ernst machen, und diese vorlaute Rotte von Advokaten und Schreiern zur Ruhe bringen. Nach dem Vorgefallenen kann der Kaiser nicht mehr schweigen, seine eigene Ehre ist in der Ehre seiner Schwester verletzt, sein eigener Thron in dem Throne Frankreichs bedroht.«

»Schauen's Durchlaucht,« – sagte der ältere der beiden Ritter in dem gemüthlichen Tone eines guten Wieners – »das glaub' ich nun wieder gar nicht. Hier giebt's so keine Rappelköpfe, wie da drüben in Frankreich. O nein, – nein, – nein! Die Oesterreicher sind froh, daß sie endlich wieder Frieden haben und hängen zu sehr an den guten alten Einrichtungen, als daß sie die Welt mit neuen Ideen stürmen sollten. Wir haben's ja bei dem Joseph gesehen – – war Alles gut, was er wollte, – es ging aber doch nicht durch!«

Fürst Lichnowsky, an den diese Worte gerichtet waren, strich sich den kleinen hübschen Schnurrbart, ließ seinen Fuchs ein wenig courbettiren und sagte dann:

»Lieber Schikaneder, nehmen Sie mir's nicht übel, aber ich wette bei allen Heiligen: Sie denken wieder an Ihre böhmischen Fasanen in Sauerkraut und gebratenen Austern, und da ist Ihnen der Gedanke furchtbar, ..... gestört zu werden. Oesterreich ist aber nicht die Welt, und der moralische Einfluß, den Frankreich auf ganz Europa übt, ist anerkannt.[130] Andererseits sind diese verfluchten Ideen von Volkssouveränetät und Menschenrechten so ansteckend wie das gelbe Fieber. Hier werden sie freilich so leicht keine Wurzeln schlagen; aber am Rhein steht es anders. Ich weiß aus guter Quelle, wie sehr man in vielen Gegenden dort mit den Bewegungen in Frankreich sympathisirt. Ueberall sprudeln schon die Bächlein eines tollen Freiheitsschwindels hervor; vereinigen sie sich, so können sie zu einem mächtigen Strome werden, der endlich alle Dämme durchbricht und Alles mit sich fortreißt, was sich seinem Laufe widersetzen will.«

»Ach!« – entgegnete Schikaneder achselzuckend – »Ideen! Schwindel der Franzosen ...! Unser gutes, deutsches Volk schwingt sich so leicht nicht zu ihnen auf. So lange es zu essen und zu trinken hat, Musik, Tanz, Theater, Paraden, Schauspiele und dergleichen Dinge, wird es ruhig bleiben. Daher ist es diplomatisch, vor allem Anderen hierfür zu sorgen.«

Lichnowsky sah seinen Begleiter mit einem ironischen Lächeln an. – »Sie sind doch ein fürchterlich materieller Mensch!« – sagte er dann. – »Ich glaube, Sie könnten auch ihr Erstgeburtsrecht – wenn Sie eines zu verschenken hätten – für ein Linsengericht hingeben.«

»Nein!« – rief hier der Director des Leopoldstädter Theaters mit komischem Ernste, indem er die Hand mit der Reitpeitsche wie zum Schwure emporstreckte. – »Bei Gott, für ein Linsengericht nicht!« – und er schüttelte sich ordentlich bei dem Gedanken: ein so gemeines Gericht essen zu müssen.

Der Fürst hatte nicht Acht darauf, seine Gedanken waren noch bei den Bewegungen des Tages, die ihn – als guten Aristokraten – freilich mehr bedrohten als seinen Begleiter.

»Die Ideen von Religion und Vaterland sind zu tief in unsere moralische Natur verflochten,« – sagte er jetzt – »als daß sie bloß Gegenstand der Vernunft bleiben, nicht auch Sache des Gefühls werden sollten. Je dunkler sie aber bleiben, desto stärker ist ihre Kraft; und so sind sie es, die auch den ungebildeten Haufen zu electrisiren vermögen, und – wie ich fürchte – ihm wohl auch eine Wirksamkeit geben können, die leicht den Charakter des Enthusiasmus, ja selbst des Fanatismus annimmt.«

»O, Sie Schwarzseher!« – rief hier Schikaneder – »prophezeien Sie doch lieber gleich den Untergang der Welt. Man sieht, daß Sie kein Wiener sind, – nicht einmal ein[131] eingebürgerter, wie ich. Pfuschen Sie doch unserm Herrgott nicht in das Handwerk, der wird die Dinge schon lenken, wie's gut ist. Nehmen Sie's Leben, wie es ist. Wenn ich mich über so manches grämen wollte, wo sollte ich da hinkommen!«

– Und er strich sich mit der Hand über die Stirne, als wollte er schwere Sorgen verscheuchen.

»Sie sich grämen?« – rief jetzt Lichnowsky laut auflachend – »worüber? Ist Ihnen Ihr heutiges Diner verdorben worden, oder hat die schöne Cavaglieri heute Launen?«

»Launen?« – entgegnete Schikaneder ernst – »Launen? – ja, wenn es nur Launen wären!«

»Nun, was hat sie denn?«

»Schulden! Durchlaucht, Schulden!«

»Und das ist etwas Neues?«

»Keineswegs.«

»Nun?«

»Aber ich habe erst vor einigen Monaten zehntausend Gulden für sie bezahlt.«

»Und jetzt?«

»Jetzt hat sie schon wieder Wechsel von zehntausend Gulden auf mich ausgestellt?«

»Sie ist eben Ihre theure Freundin.«

»Zum Teufel! Diese Freundschaft wird mir allerdings zu theuer. Wenn das so fortgeht, geh' ich zu Grunde!«

»Schikaneder – und zu Grunde gehen! Man sagt, Sie seien Goldmacher – Rosenkreuzer – Freimaurer – wie kann es Ihnen da je fehlen?«

»Wollen Sie auch Freimaurer werden?«

»Warum nicht!« – rief Fürst Lichnowsky heiter. – »Wenn Sie mir versprechen, daß ich den Stein der Weisen in den Logen finde!«

»Das verspreche ich Ihnen, Durchlaucht.«

»Und Geld machen lerne?«

»In gewisser Beziehung – ja!«

»Keine Clauseln ....«

»Und keine Fragen. Die Freimaurerei ist Geheimbund.«

»Nun!« – sagte der Fürst – »ich will mich noch besinnen.« – Dann frug er spöttelnd: – »Die Proben sind doch nicht gar zu schwer und gar zu gefährlich?«

»Der Neophite muß durch Wasser und Feuer gehen!«[132]

»Ho!« – rief der Fürst lachend – »doch wohl nur symbolisch!«

»Wie sollte das sein?«

»Wie? – haben Sie nicht schon vor Ihrer liebenswürdigen Freundin Cavaglieri gestanden, wenn sie – mit Thränen im Auge – etwas von Ihnen erflehte, was Sie nicht gewähren konnten oder wollten? war das, bei Thränen und Flammenblicken, nicht eine Wasser- und Feuerprobe?«

»Bei Gott! das war's!« – rief Schikaneder – »und ich habe gewöhnlich sehr schlecht darin bestanden. In den Logen aber ist das anders.«

»Nun so muß man wohl gar auch noch mit Löwen und Tigern kämpfen?«

»Löwen und Tiger, Wasser- und Feuerprobe!« – murmelte jetzt Schikaneder vor sich hin, als sinne er über etwas nach.

»Was haben Sie?«

»Es ging mir ein Gedanke durch den Kopf; – ein Gedanke – – ein Gedanke – – der etwas werden kann! – Hm, hm – – Doch, soll ich Sie beim Bunde anmelden?«

»Lassen Sie mir Zeit, mich zu bedenken, – ich bin wirklich nicht abgeneigt. Aber wissen Sie, lieber Director, zu was ich jetzt eine entschiedene Neigung verspüre?«

»Nun?«

»Zu einem guten Imbiß und einem guten Glas Wein!«

»Erlauchter Gedanke!« – rief Schikaneder mit strahlenden Augen. – »Noch wenige hundert Schritte und wir sind am ›Regenbogen‹, wo es vortrefflich ist.«

»Schön!« – entgegnete Lichnowsky. – »Also lustig!«

Und die beiden Reiter setzten ihre edlen Thiere in Trab und hielten einige Minuten später vor den Pforten der damals ungemein beliebten und äußerst seinen Gastwirthschaft zum »Regenbogen

Rasch stiegen sie ab, warfen die Zügel ihrer Thiere den beiden Reitknechten zu und traten ein. Die Hauptzimmer waren überfüllt; aber die Veranda bot ein desto schöneres und lustigeres Plätzchen dar, – ein Plätzchen, wo man so recht ungestört plaudern kann.

»Und was nehmen wir?« – frug Lichnowsky. – »Sie sind mein Gast; aber Sie müssen bestellen, denn Sie sind hier mehr zu Hause als ich, und verstehen die Sache auch besser.«[133]

»Zu viel Ehre, von einem Gliede der hohen Aristokratie solche Anerkennung zu finden!« – versetzte Schikaneder lustig. – »Durchlaucht geruhen zu spotten!«

»Keineswegs!« – entgegnete der Fürst. – »Der Herr Director des Leopoldstädter Theaters ist unbedingt der erste Feinschmecker von Wien

Schikaneder lächelte geschmeichelt, und seine Zunge, die ungemein glatt, sein und beweglich war, leckte leise die Lippen, als ob sie schon etwas Delicates wittere.

»Ich will wenigstens versuchen, meinem Rufe Ehre zu machen!« – sagte er dann mit einer gentilen Verbeugung gegen den Fürsten – »und da der neue Wirth vom ›Regenbogen‹ noch vor zwei Monaten bei dem Herrn Fürsten Esterhazy als erster Koch in Diensten stand, so denke ich, wird mir dies hier auch gelingen.«

Er verlangte nun die Speisekarte; aber während er dieselbe durchlas, schienen sich seine Augen zu vergrößern und in lüsternem Glanze aus den Augenhöhlen hervorzutreten, indeß die behende Zunge die Lippen wiederholt feuchtete. Mit einem Male rief er entzückt: »Faisans de Bohême!« und seine Augen leuchteten auf, wie die eines Verliebten, der am Hochzeitstage seine Braut im Glanze ihrer Schönheit und ihres Hochzeitschmuckes erblickt.

Fürst Lichnowsky mußte laut auflachen: – »Sie sind ein Original!« – sagte er dabei. – »Aber ich freue mich nur, daß Sie das gefunden, wofür Ihre Seele am höchsten schwärmt. – Und nun noch den Wein.«

»Was meinen Durchlaucht zu einem guten GlasChâteau Margaux? er ist hier vortrefflich!«

»So lassen Sie ihn kommen, – und setzen wir uns, – das Plätzchen ist allerliebst!«

»Ja, das ist es!« – versetzte Schikaneder, indem er sich mit unendlicher Behaglichkeit niederließ. – »Aber wissen Sie auch, auf wessen Lieblingsplatz Sie da sitzen?«

»Nun?«

»Auf dem Ihres großen Meisters.«

»Meines Meisters?«

»Ja! Ihres Lehrers und Meisters in der Musik und dem Studium des Contrapunktes.«

»Mozarts

»So ist es!«[134]

»Kommt er oft hierher?«

»Vor der Reise, die er mit Ew. Durchlaucht machte, war er fast täglicher Gast des ›Regenbogens,‹ und saß dann immer auf dem Platze, den Durchlaucht jetzt einnimmt; er hat da wohl manches Schöne componirt. In der letzten Zeit aber kommt er weniger, weil seine Gesundheit sehr angegriffen ist.«

»Das hab' ich leider auch gefunden!« – versetzte Lichnowsky. – »Er sieht schlecht, sehr schlecht aus. Ist er krank?«

»Er arbeitet zu viel,« – meinte Schikaneder; – »und dann die ewigen finanziellen Verlegenheiten.«

Des Fürsten Stirne verdunkelte sich: »Wenn ich nur davon nichts mehr hören müßte!« – sagte er fast böse. – »Mozart hat es in den Händen gehabt, aller dieser elenden Plackereien enthoben zu sein – – und – hat nicht gewollt!«

»Nicht gewollt? Und aus welchem Grunde?« – frug der Director.

»Weil er zu gut ist, und – – – doch, da kommt der Fasan und unser Château Margaux. Legen Sie vor, ich will Ihnen die Sache näher erzählen, denn sie ist in der That merkwürdig!«

Schikaneder ließ sich dies nicht zweimal sagen, und während er den Fasan mit einer Art heiliger Scheu und Verehrung vor sich nahm und mit wahrhaft bewunderungswürdiger Geschicklichkeit tranchirte, hub Lichnowsky an:

»Sie wissen ja, daß ich bei meiner letzten Reise über Leipzig und Dresden nach Berlin unserem edlen Freunde meinen Wagen und meine Gesellschaft anbot.45 Mozarts Gesundheit beängstigte mich damals schon; ich hoffte daher durch diese Reise bei der schönen Jahreszeit, durch Zerstreuung und Luftveränderung und durch die Enthebung aus sorgenvoller Lage günstig auf Körper und Gemüth bei ihm einwirken zu können. Ich hatte mich denn auch darin nicht geirrt; schon nach den ersten paar Tagen sah er besser aus, war kräftiger, und bald entfaltete er die alte Liebenswürdigkeit und Heiterkeit. Ich will Ihnen davon nachher noch mehr erzählen – namentlich über unseren Aufenthalt in Leipzig und Berlin – jetzt nur die Geschichte mit der Anstellung.«[135]

»Schön!« – sagte Schikaneder, dem Fürsten den zerlegten Fasan mit einer verbindlichen Verneigung und süßem Lächeln darbietend.

Lichnowsky nahm sich ein Stückchen, füllte die Gläser und fuhr fort: – »Der Zufall wollte es, daß wir in Berlin gerade zu der Stunde ankamen, in welcher das Theater seinen Anfang nimmt. Ich war von der Reise erschöpft und wollte daher mein Zimmer suchen; Mozart aber, der erfahren hatte, daß man an demselben Abende seine ›Entführung aus dem Serail‹ aufführe, eilte dorthin, ohne sich nur Zeit zum Umkleiden zu nehmen. Kaum war er indessen fort, als mir aus Langeweile doch auch die Lust kam, ihm zu folgen; ich that es, und hatte nun – da Mozart mich in seinem heiligen Eifer gar nicht bemerkte – den Genuß, einer komischen Scene beizuwohnen.«

»Ich kann es mir fast denken, was da kommt!« – sagte Schikaneder, mit leuchtenden Augen seinen Fasanenflügel benagend. – »Unser Freund hatte Alles um sich her vergessen.«

»So ist es!« – fuhr Fürst Lichnowsky fort. – »Er horchte, horchte – und zwar so aufmerksam, daß er nach wenigen Minuten wirklich Alles um sich her vergaß, und laut zu denken anfing. Bald freute er sich halblaut über den Vortrag einzelner Stellen, bald war er wieder unzufrieden mit dem Tempo, bald machten ihm die Sänger und Sängerinnen zu viel Schnörkeleien.«

»Köstlich!«

»Der Beifall und Tadel des Maestro sprachen sich Anfangs nur in Geberden und durch eine Art von Brummen aus; bald aber übermannt ihn das musikalische Fieber. Er drängt sich, ohne es zu wissen, immer näher und näher an das Orchester, stößt seine Nachbarn, vergißt sich zu entschuldigen, brummt und summt die Melodien der Oper vor sich hin, die er in Gedanken selbst leitet, und läßt bei jedem Fehler ein kräftiges Wort ertönen oder spricht sein Mißfallen laut aus.«

»Und das Publikum?«

»Alle Augen folgten natürlich dem kleinen, unscheinbaren Manne im schlichten Oberrocke, der sich während der Darstellung so auffallende Freiheiten herausnahm. Einige lachten, Andere, die er im Genüsse störte, wurden ärgerlich. Schon spricht man davon, den Störenfried zum Theater hinaus zu werfen, der es wagt, in der Vorstellung einer Oper Mozarts[136] einen solchen Lärm zu machen, – schon rücke ich näher, um Unangenehmes zu verhindern – – – er merkt nichts, hört und sieht nichts, als die Sänger und das Orchester.«

»Das ist Mozart ganz und gar!« – rief hier Schikaneder, ein Glas seines Château Margaux mit langsamen Zügen behaglich schlürfend, und nach jedem Schlucke mit der Zunge leise schnalzend.

»Endlich!« – sagte der Fürst – »kam es zu Pedrillo's Arie: ›Frisch zum Kampfe, frisch zum Streite u.s.w.‹« Aber die Partitur war entweder unrichtig geschrieben, oder die Musiker fehlten, genug, die zweiten Violinen griffen bei den Worten: »Nur ein feiger Tropf verzagt,« – jedesmal Dis statt D. Hier nun konnte Mozart sich nicht länger halten; er rief daher in seiner, freilich nicht sehr verzierten Sprache aus Leibeskräften: »Verflucht! wollt Ihr D greifen?«

»Göttlich! göttlich!«

»Alles lachte, Alles sah sich um, auch mehrere aus dem Orchester wollten wissen, wer sie so schonungslos angeredet habe. Da erkannten einige Musiker den Mann in dem alten Ueberrocke. Es versteht sich von selbst, daß sich nun die Nachricht von Mozarts Anwesenheit, wie ein Lauffeuer durch das ganze Theater und natürlich auch von dem Orchester auf die Bühne verbreitete. Alles kam in Unruhe, ja es war nahe daran, und das Stück hätte nicht weiter gegeben werden können.«

»Wie so?«

»Die Sängerin, welche die Rolle Blondinens spielte, erklärte, – von des Meisters Gegenwart eingeschüchtert – daß sie nicht weiter singe, und schützte eine plötzliche Unpäßlichkeit vor. Als die Nachricht an den Musikdirector gelangt, weiß dieser sich nicht anders mehr aus seiner Verlegenheit zu helfen, als daß er sich an den Urheber der ganzen Unordnung wendet, welcher indessen bis in seine Nähe vorgedrungen ist.«

In einem Augenblick ist Mozart jetzt hinter den Coulissen und tritt mit den Worten zu der eingeschüchterten Sängerin:

»Madame, was treiben Sie für Zeug? Sie haben herrlich, vortrefflich gesungen, und damit Sie's ein ander Mal noch besser singen, will ich die Rolle mit Ihnen einstudiren!«

»Charmant!«

Dies Compliment sammt dem Versprechen wirkte, die Oper ging weiter, und das Publikum war aus der Gefahr[137] gerettet, durch die Freude, den Maestro zu sehen, den Genuß des Werkes zu verlieren.46

»Allerliebst!« – rief Schikaneder, und wischte sich den Mund mit der Serviette ab. – »Aber wie hängt das mit einer Besserstellung des Freundes zusammen?«

»Sehr nahe!« – entgegnete Fürst Lichnowsky. – »Den folgenden Tag sprach man in ganz Berlin von nichts, als von der Veranlassung, welche gestern beinahe die Vorstellung der ›Entführung aus dem Serail‹ unterbrochen hätte. Mozart, – der große Mozart ist hier, hieß es überall, und so kam natürlich die Nachricht auch an den Hof. Sofort wünschte König Friedrich Wilhelm II. seine Vorstellung und empfing auch Mozart und mich auf das Gnädigste.«

»Und kennt und liebt der König von Preußen die Musik?«

»Ja! Wenn er auch gerade kein tiefer Kenner ist, so liebt und verehrt er sie doch, und schätzt und bezahlt tüchtige Musiker sehr hoch.«

»Nun, und? – aber wollen denn Durchlaucht nicht noch ein Stückchen von diesem köstlichen böhmischen Fasanen genießen?«

Lichnowsky schüttelte den Kopf, nippte an seinem Glase und fuhr fort:

»Es verging von jetzt an fast kein Tag, an welchem Mozart nicht in die Gemächer des Königs gerufen wurde, woselbst er entweder allein spielen oder mit einigen Mitgliedern der Hofcapelle Quartette vorzutragen hatte.« Friedrich Wilhelm wünschte seine Meinung über diese Capelle, eine der ersten und besten in Europa, zu hören. Mozart erwiderte: »Sie hat die größte Sammlung von Virtuosen in der Welt; auch Quartetts habe ich nirgends so gehört, als hier; aber wenn die Herren alle beisammen sind, könnten sie es doch noch besser machen.«

»Aufrichtig wie immer!« – rief Schikaneder lachend.

»Nun!« – fuhr Lichnowsky fort. – »Der König freute sich über diese Aufrichtigkeit. Er sagte ihm freundlich: ›Bleiben Sie bei mir, Sie können es dahin bringen, daß es meine Capelle noch besser macht! Ich biete Ihnen jährlich dreitausend Thaler Gehalt an.‹«[138]

»Und das hat Mozart nicht angenommen?« – rief der Director des Leopoldstädter Theaters erstaunt! – »dreitausend Thaler und die Stelle eines ersten Capellmeisters in Berlin, denn daß er die erhalten sollte, geht aus des Königs Worten hervor.«

»Nein!«

»Aber, um Gottes Willen, warum denn nicht? Was antwortete er denn?«

Kann ich meinen guten Kaiser verlassen?‹– antwortete er. Der König, welcher seine Verhältnisse in Wien wohl kannte und wußte, daß hier für Mozart so gut als nichts gethan, wurde bei dieser Antwort, die allerdings fast einer rührenden Anhänglichkeit an das Kaiserhaus entsprang – der Joseph lebte damals noch – selbst gerührt, und setzte nach einer Pause hinzu: ›Ueberlegen Sie sich die Sache; ich halte mein Wort, auch wenn Sie in Jahr und Tag erst kommen sollten!‹47

Lichnowsky schwieg und auch Schikaneder fand für den Augenblick keine Worte. Er hob sein Glas in die Höhe und schaute in die schöne dunkelrothe Fluth, während ein ironisches Lächeln um die Winkel seines Mundes spielte.

»Was denken Sie?« – frug jetzt der Andere.

»Ich denke!« – sagte Schikaneder – »daß Mozart, milde gesagt, ein furchtbar unpraktischer Mann ist. Dreitausend Thaler sind allerdings für einen gentilen Mann nicht viel; aber mit seinen Leistungen, mit seinen Schöpfungen und genialen Arbeiten hätte er ja dort das dreifache leicht verdienen können!«

»Und hier?! ....«

»Hier, in Wien, muß er Unterricht geben, für Musikverleger, ja für den ersten besten, dem es in den Sinn kommt, ein Lied oder einen Walzer zu bestellen – also förmlich in Frohne – arbeiten. Hier muß er, um nur leben zu können, Jedermann zu Diensten stehen, und – seufzend über seine Sklaverei – in den, dem Schlafe abgerungenen Stunden, die Zeit einbringen, welche er den Tag über zum Broderwerbe hat verwenden müssen. Und das alles bei einem siechen, kränkelnden Körper!«

»O – ich mag gar nicht daran denken!« – rief Lichnowsky. – »In Berlin hätte er keinen anderen Herrn[139] als den König, seinen Wohlthäter, gehabt; – keine andere Pflichten, als solche, welche mit seinem hohen Berufe und mit seinen Neigungen übereingestimmt haben würden; keine anderen Befehle, als Meisterwerke mit Muße und Lust zu schreiben, was er auch ohne Befehle von selbst gethan haben würde! Hier, in Wien, sind seine dramatischen Werke ganz in den Händen einer nie ruhenden Cabale, die unumschränkt über sämmtliche materielle Hülfsmittel des Theaters, über das Orchester und die Sänger verfügt; – in Berlin sicherte eine Gesellschaft von Gesangs- und Instrumentalkünstlern, deren oberste Direction er erhalten sollte, denselben Werken die glänzendste und bestverstandene Ausführung. Hier, in Wien, ist, wie ihm wohl bekannt, die Meinung des Publikums über ihn sehr getheilt, weil die Leute, welche den Ton in der Gesellschaft angeben, alle seine Feinde, Neider und Lästerer sind; – in Berlin konnte er selbst den Commandostab schwingen, selbst den Ton bei einem Publikum angeben, das aufgeklärter, überlegter und reifer für seine Schöpfungen ist, als dasjenige, welches eine ›Cosa rara‹ einem ›Don Juan‹ vorzieht! Mit einem Worte, hier in Wien ist er arm, abhängig, erniedrigt, verfolgt und mißkannt; in Berlin dagegen wäre er reich, mächtig, frei von jeder seiner nicht würdigen Beschäftigung, anerkannt, bewundert, geehrt und stets gegen jede Cabale und allen Neid, wenn diese je zum Vorschein zu kommen gewagt hätten, geschützt gewesen!«

Lichnowsky hatte sich ganz erhitzt und leerte hier sein Glas auf einen Zug.

»Aber ich kann nicht begreifen,« – sagte jetzt Schikaneder – »wie ihn allein die Anhänglichkeit an das Kaiserhaus zurückgehalten haben kann, ein solches Anerbieten anzunehmen.«

»Er hing schwärmerisch an Kaiser Joseph.«

»Und was hat der für ihn gethan? – Er hat ihn nur als Ueberzähligen seiner Capelle beigezählt, und ihm unter einem leeren Titelchen ohne Funktion ein Almosen ausgeworfen, von dem Mozart zu mir selbst sagte: Viel zu groß für das, was ich leiste, und viel zu klein für das, was ich leisten könnte.«48[140]

»Kaiser Joseph« – entgegnete der Fürst – »Kaiser Joseph wurde durch falsche Gerüchte über Mozart getäuscht und gegen ihn aufgereizt! Ein Hauptgrund aber, warum unser Freund die Anstellung in Berlin nicht annahm, liegt meines Erachtens und meiner festen Ueberzeugung nach – auch darin, daß sich derselbe in Berlin nicht wohl fühlte. Wien, das katholische, heitere, leichte und lustige Wien war von jeher unseres guten Mozarts Lebenselement. Wie unbehaglich mußte er sich da in der Atmosphäre des lutherischen, viel kälteren und nüchternen Berlins fühlen, wo ein frostig militairischer und ernst wissenschaftlicher Ton unter Friedrich Wilhelm vorherrscht. Die Macht der Gewohnheit ist groß, und Mozart ist einer von den Menschen, die ohne die gewohnte Behaglichkeit nicht leben und nicht schaffen können. Ich bin überzeugt, es wäre sogar Mozart unmöglich geworden, in jener kalten und abstracten Sphäre seiner würdige Werke zu componiren. Luft, Licht, Leben waren dort nicht für ihn gemacht. Damit entschuldige ich ihn denn auch immer bei mir selbst, wenn ich mich auf der andern Seite ärgere, daß er die Anstellung zurückwies.«

Schikaneder schüttelte das Haupt und fuhr wie spielend mit der Gabel über die leere Schüssel.

»Essen wir noch etwas?« – frug der Fürst.

»Wenn Durchlaucht wünschen!« – entgegnete der Director freundlich – »vielleicht noch ein wenig kalten ›Chapons de Mans?‹ excellent hier, – kein Kaiser kann ihn besser haben!«

Der Fürst nickte und ließ auch noch eine FlascheChâteau Margaux kommen. Dann sagte er:

»Das Gespräch, welches wir eben führten, hat mich verstimmt. Ich will Ihnen zu Ihrer und meiner eigenen Aufheiterung jetzt noch ein anderes Geschichtchen unserer gemeinsamen Reise mittheilen. Es charakterisirt ganz unseren zwar unpraktischen aber um so edleren Freund und seine unendliche Herzensgüte.«

»Ich bin gespannt!« – versetzte Schikaneder.

»Auf was?« – frug lächelnd, der Fürst – »auf den Capaun oder auf meine Erzählung?«

»Auf beides!« – sagte Schikaneder mit verbindlicher Verneigung und strahlenden Antlitzes: – »denn ich werde beides Ihrer Freundlichkeit und Huld zu verdanken haben.«[141]

»Filou!« – rief Lichnowsky. – »Aber hören Sie!«

»Ich bin ganz Ohr!«

»In Leipzig konnte sich unser Freund eben nicht rühmen, glänzende Geschäfte gemacht zu haben.«

»So?« – fiel Schikaneder ein – »das wundert mich von Leipzig

»Leipzig ist eine Kaufmannsstadt!« – sagte der Fürst. – »Er gab zwar ein Concert, und der Abend brachte ihm viele Beifallsbezeugungen ein, die Einnahme dagegen deckte kaum die Kosten.«

»Wie war das möglich?«

»Sehr leicht! Alle, welche den Concertgeber kannten, hatten durch seine übermäßige Güte Freibillets erhalten; an der Kasse aber zeigten sich in der Stadt Merkurs wenig Liebhaber.«

»Fatal!«

»Mozart bemerkte es gar nicht. Er spielte für die Freibillets, in einem halb vollen Saale, alles, ja sogar noch mehr als er auf dem Zettel versprochen hatte.«

»Ich verstehe!« – sagte Schikaneder – »es lag nicht in seinem Charakter, die Anwesenden, so wenig es ihrer auch waren, das Unrecht derer entgelten zu lassen, die nicht gekommen waren.«

»So ist es!« – fuhr Lichnowsky fort. – »Sein kleines, fast aus lauter Musikern von Gewerbe, Künstlern und Kunstliebhabern gebildetes Publikum verstand ihn aber auch und ließ ihm die vollste Gerechtigkeit widerfahren. Bedurfte es für ihn mehr, um ihn in die beste Laune zu versetzen, auch ohne allen Gewinn?«

Schikaneder schüttelte hier den Kopf, dann sagte er: »Taugt aber nichts, solch' unpraktisches Wesen. Ich hätte es nicht so gemacht. Erst kommt die tüchtige Einnahme und dann kann man auch generöse sein.«

Lichnowsky lächelte. – »Sie haben die Probe gegeben, daß Ihre Grundsätze die richtigen sind. Aber trotzdem fehlte es unserem Freunde nicht an Generosität, – und das ist es eigentlich, was ich erzählen wollte. Mozarts Kasse war also leer. Im Augenblicke unserer Abreise kommt aber noch ein alter Clavierstimmer zu ihm, der eine kleine Forderung an ihn zu machen hat.«[142]

»Verflucht!« – meinte Schikaneder – »daß einen im Leben doch immer und ewig und auf allen Wegen die Forderungen geniren.«

»Der Clavierstimmer war ein altes, ängstliches von Sorgen gedrücktes Männchen, das arg stotterte. – ›Was verlangen Sie, Alter?‹ – frug ihn Mozart zutraulich.«

»Ich höre den Maestro!«

»Aber den guten Alten verwirrte diese freundliche Herablassung des großen und berühmten Mozarts so sehr, daß er gar nicht mehr wußte, vor wem er stand.«

»Eu–e–e–e–re kai–kai–kaiserliche Majestät, i–i–ich wo–ollte sagen, Herr Ca–Ca–Capellmei–meister Seiner kai–kai–serlichen Majestät, i–ich bi–bin mehrmals dagewesen, und wei–wei–eil die Zeiten hart sind, – – so–o mei–mei–ein ich, ein Tha–a–ler wär' nicht zu viel.« – »Ein Thaler!« – rief Mozart – »nein! man soll nicht sagen, daß ein so braver Mann wegen eines Thalers zu mir gekommen sei. Hier« – und damit drückte er einige Dukaten49 in die Hand des erstaunten alten Mannes.

»Ganz Mozart!« – rief Schikaneder – »man muß sich ihn zum Freunde erhalten. Ich kenne das; wenn er Geld hat, kennt seine Freigebigkeit keine Grenze. Wie tausendmal habe ich schon vergnügte Abende durch ihn verlebt. Wahrlich, Durchlaucht, der Mann weiß, trotz Schikaneder, fürstlich zu regaliren, und sein Tisch und sein Haus sind allen seinen Freunden stets offen. Auch führt er einen guten Tisch; etwas bürgerlich freilich, aber er kennt, wenn's gilt, die guten Quellen – und Weine hat er im Keller – freilich, die er selbst zum Geschenk erhalten hat – – – Weine – wie ein Prälat!«

»Schikaneder!« – rief hier Lichnowsky. – »Ihr seid ein schrecklicher Mensch! Ist der Bauch denn ganz zu Eurem Gotte geworden?«

»Durchlaucht, man wird älter; die übrigen Leidenschaften verfliegen, von den Idealen der Jugend weiß man, daß sie doch nur poetische Träume sind – und – so hält sich der kluge Mann in seinen reiferen Jahren an dem Reellen, und das ist: gut essen und trinken! – Aber« – rief er jetzt in Extase – »Durchlaucht, Durchlaucht, ich bitte Sie, sehen Sie[143] diesen göttlichen, mit Trüffeln gefüllten Kapaunen, den der Kellner hier bringt! – o! – o! – riechen Sie nur – – das duftet wie im Himmel!«

Fürst Lichnowsky lachte.

»Bei Gott!« – rief er dann – »wenn das wie im Himmel riecht, da möchte ich Ihren Himmel einmal sehen; er muß eine Speisekammer – ein Speisesaal oder so etwas sein! Aber jedenfalls muß sich zu Ambrosia auch Nektar gesellen!« – und sich zu dem Kellner wendend, befahl er: – »Eine Flasche Sherry des Indes!«

Schikaneder schwamm in Entzücken; aber während Kinnlade, Zunge und Gaumen arbeiteten, kamen ihm allerlei sonderbare Gedanken, die sich um Feuer- und Wasserprobe, Löwen und Tiger, Freimaurer und Mozart drehten.

Es wirbelte etwas chaotisch in seinem fruchtbaren Gehirne herum; – aber – es war ihm selbst noch nicht klar, – was daraus werden sollte.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 126-144.
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