22.

Die Aufführung.

[245] Der September des Jahres 1791 neigte sich seinem Ende zu. Mozart war von Prag zurückgekommen, aber kränker als er gegangen, und dennoch erwartete ihn eine ungeheure Wucht von Arbeiten.

Schikaneder, dem er den Tag seiner Ankunft geschrieben, fing ihn schon am Wagen ab. Den 30. September sollte die »Zauberflöte« zum ersten Male gegeben werden, und noch waren die Ouvertüre und der Priestermarsch zu Anfang des zweiten Actes nicht geschrieben. Schikaneder wollte verzweifeln; Mozart beruhigte ihn lächelnd, und zwei Tage vor der Aufführung waren beide Meisterstücke fertig.

Aber um jene Zeit war auch ganz Wien in einer ebenso fieberhaften Aufregung, als Prag vor der Aufführung des »Don Juan's.«

Schikaneder hatte sich als Meister in der Kunst: bei neuen Stücken volle Kassen zu machen, bewiesen. Schon seit Wochen schwamm er, wo er sich zeigte – sei es nun in den Cirkeln der vornehmsten Häuser oder an öffentlichen Orten – in einer fast überirdischen Begeisterung für die Musik der »Zauberflöte« und für Mo zart, – den großen, den göttlichen Mozart, – den ersten Componisten der Welt! ....[245]

»Nein!« – rief er dann wohl aus – »so etwas hat man noch nicht gehört! Gegen die Musik der ›Zauberflöte‹ verschwinden ›Don Juan‹, ›Figaro‹, ›Titus‹, ›Entführung‹, › Cosa rara ‹, ›Axur‹, und wie sie alle heißen mögen unsere neuen Opern. Es ist das Schönste, was man sich denken kann; das Populärste und doch zugleich Großartigste!«

Und wahrlich, Schikaneder war der Mann dazu, seine Begeisterung so wahr und so tief empfunden darzustellen, daß – wer ihn so sprechen hörte – unbedingt an seine Worte glaubte.

Aber Schikaneder war auch Diplomat. Wenn auch, wie er recht gut wußte, seine auf so exentrische Weise geäußerte Begeisterung für die neue Oper bei den Meisten ansteckend wirkte und namentlich eine kaum glaubliche Spannung hervorrief; so mußte nothwendig die Folge und Wirkung davon bei der Partei, die Mozart feindlich gesinnt war, eine umgekehrte sein. Salieri und seine Italiener nebst ihrem ganzen Anhange konnten ja gar nichts mehr fürchten, als ein so eminentes Meisterstück des deutschen Componisten. Sollte es sich daher in der That so verhalten, wie Schikaneder ausposaunte, so waren die alten Intriguen vorauszusehen.

Was that also der Herr Director des Leopoldstädter Theaters? Als schlauer Fuchs beauftragte er sein edles Factotum, Signore Chigot, sich bei Gelegenheit im Geheimen bei Salieri und Consorten unter dem Siegel des Vertrauens dahin auszusprechen: daß der ganze Enthusiasmus seines Herrn ein gemachter sei, den ihm nur die Verzweiflung über das völlige Fehlschlagen der Sache eingebe. Die Musik wäre – darauf könne er schwören – auffallend flach und banal, ja durch ein mißverstandenes Streben nach Popularität – oft sogar trivial. Es zeige sich in ihr, daß Mozarts Kraft gebrochen, sein Körper und Geist krank seien. Chigot ließ sich dabei sogar – auf höheren Befehl – in Specialitäten ein, machte sich über verschiedene Stellen des Textes und der Musik so lustig, spottete auch so beißend über dieselben, daß die Täuschung völlig gelang und die feindliche Partei in eine – schon im Voraus ihres Sieges gewisse – Sicherheit eingelullt wurde. Den Mitgliedern des Orchesters und des Chors wurde dabei, bei Entlassung vom Dienste, ein geheimnißvolles Schweigen auferlegt.[246]

Aber mit diesen Maßregeln war Schikaneder noch lange nicht zufrieden. Die herrliche Musik der »Zauberflöte« mußte sich, auch ohne alle diese Intriguen, kraft ihres eigenen inneren Werthes, durch alle Welt siegreich den Weg bahnen, das sah Schikaneder recht gut ein; darum war es ihm aber gar nicht zu thun: für ihn als Director sollte sie ein Kassenstück werden, so viel als möglich Geld eintragen und ihn sobald als möglich aus der Klemme ziehen und reich machen. Das Alles aber konnte nur geschehen, wenn die erste Aufführung einen solch' ungeheuren Erfolg hatte, wie noch kein Stück in Wien. Toll und närrisch sollten die guten Wiener darüber werden ... dann war Alles gewonnen ... Und Schikaneder kannte seine Wiener vortrefflich! Chigot, als Minister des Inneren, erhielt daher den Auftrag, wie sein Herr in den höheren Sphären, so in den bürgerlichen als ein freigebiger Mäcen der Kunst aufzutreten, und – namentlich in den Wirthshäusern und Schenken – mit der Miene des Geheimthuns einen Theil des Inhaltes der neuen Oper zu verrathen. Da ward denn alles mäuschenstill, wenn Herr Secretair Chigot – oder besser: »von Chigot«, wie er sich gern anreden hörte – einzelne Worte über die Wunder fallen ließ, die in der »Zauberflöte« vorkommen sollten.

Und war das nicht in der That unerhört?

»Was? eine Schlange!« – rief mit weit aufgerissenen Augen einer der Gäste.

»Ja! eine furchtbare Riesenschlange!« – entgegnete Herr von Chigot.

»Doch nicht lebendig?«

Chigot zuckte geheimnißvoll die Achseln.

»Lieber Herr von Chigot, doch nicht lebendig?«

Chigot schlürfte mit noch geheimnißvollerer Miene an seinem Glase und sagte:

»Ich darf nicht plaudern; aber armdick ist sie.«

»Armdick!« – rief Alles – »eine armdicke Riesenschlange! O das muß schön sein!«

Chigot schüttelte mitleidig den Kopf; dann sagte er, indem er starr in sein Weinglas schaute mit dem Tone eines Eingeweihten:

»Ja, du lieber Gott, wenn das Alles wäre?«[247]

»Nun!« – riefen mehrere Gäste zugleich, indem sie näher rückten – »was kommt denn noch vor?«

»Darf nichts sagen!«

»Nun so ein Bischen!«

»Darf nicht bei Dienstentlassung.«

»Was, Dienstentlassung!« – fiel hier der Wirth ein, der bis dahin mit offenem Munde und vorgebeugtem Oberkörper hinter Chigots Stuhl gestanden. »Ganz Wien weiß es, daß der Herr von Chigot die rechte Hand des Herrn von Schikaneder ist. Könnte ohne ihn gar nicht fortkommen.«

Chigot schmunzelte geschmeichelt. Der Wirth aber winkte der Kellnerin und ließ franco noch ein Glas vorsetzen.

»Nun?« – sagte er dann.

»Aber ja Niemandem weiter erzählen!« – flüsterte jetzt das Factotum – »es kommen auch Löwen, Bären und Affen in Menge vor!«

»Löwen?!« – rief's von allen Seiten. – »Doch keine wirklichen?«

»Löwen aus Nubien!« – fuhr Chigot, hinter der hohlen Hand sprechend, fort, damit es die anderen Gäste nicht hören sollten – »aber gezähmt, denn sie ziehen den Triumphwagen .....«

»Wessen?! Wessen?!« – rief Alles.

»St!« – machte Chigot – »St! .... da hab' ich schon wieder zu viel geplaudert. Verdammtes Plaudern! ... Und dann die Mohren, o! es ist köstlich, göttlich, wundervoll!«

»Mohren, Chigot

»Herr von Chigot, wenn's beliebt!« – sagte der Hausmeister hier gekränkt.

»Vergebung! tausendmal Vergebung, Herr von Chigot!« – stotterte erschrocken der Sünder – »es ist mir nur so in der Begeisterung herausgeplatzt. Also Mohren? Viele Mohren?«

»Ein Hauptmohr und vierundzwanzig Mohrensclaven.«

»Himmel-Herrgott!« – rief der Wirth – »vierundzwanzig Mohrensclaven!«

»Und die Kerle!« – rief jetzt Chigot so laut, daß auch die übrige Gesellschaft aufmerksam wurde, und hielt sich dabei den Bauch vor Lachen –

»Nun?« – »Nun?« – frug die ganze Umgebung, und ein Theil lachte schon vergnüglich mit, ohne nur zu wissen warum.[248]

»Nun?«

»Ei!« – rief Chigot, und sein Lachen erstickte wieder seine Stimme.

»Aber lieber Herr von Chigot!« – baten Alle – »reden Sie doch!«

»'S ist zum toll werden!« – rief Chigot – »das ganze Theater wird toll vor Lachen, wenn's sieht, wie die Mohren .....!«

Und er lachte wieder, daß der Tisch wackelte, und Alle lachten mit über sein Lachen.

»Nun, wenn's sieht wie die Mohren ....« – wiederholte der Wirth.

»Bei dem Spiel der Zauberglöckchen unter den tollsten Grimassen tanzen müssen, – ob sie wollen oder nicht!«

»Zauberflöte!« – sagte verbessernd der Nachbar.

»Ach was, Zauberflöte!« – rief verächtlich Chigot – »Das wäre was Rechtes, wenn nur eine Zauberflöte in dem Stück vorkäme; – nein – Ihr Herren – auch Zauberglöckchen kommen vor.«

»Alle Welt!« – rief ein Zweiter. – »Zauberflöten und Zauberglöckchen! Das Stück muß ich sehen, und sollt ich mein Bett in's Pfandhaus tragen.«

»'S ist auch der Mühe werth!« – rief Chigot hier mit Ernst – »kostet uns ungeheure Summen!«

»Wirklich?« – frug hier der Wirth.

»Darf's gar nicht sagen!«

»Zweitausend?«

»Ho!« – entgegnete Chigot verächtlich.

»Dreitausend?«

Chigot zuckte mitleidig die Achseln.

»Viertausend?«

Chigot schüttelte den Kopf.

»Was? mehr wie Viertausend!« – riefen die Gäste.

Aber Chigot beugte sich jetzt zu dem Wirthe und raunte ihm etwas in's Ohr.

»Alle Heiligen!« – rief der Wirth – »ist's möglich!«

»Aber Niemand etwas davon sagen!« – versetzte Chigot, mit dem Finger drohend.

»Keiner Seele!« – betheuerte der Wirth; flüsterte aber sofort dem neben ihm Stehenden zu:

»Achttausend Gulden!«[249]

»Wieviel?!« – frug jetzt der zweite Nachbar leise den ersten.

»Zehntausend Gulden!« – flüsterte dieser.

»Aber,« – sagte in diesem Momente Chigot – »man muß auch an all' die neuen Decorationen denken: Den Tempel der Weisheit, den Sonnentempel – die Königin der Nacht mit ihrem Flammenthron?«

»Was? was?!« – tönte es von allen Seiten. – »Königin der Nacht?«

»Ja!« – rief Chigot mit vorgestreckten Händen und riß dabei seine Augen wie vor Staunen und Ehrfurcht weit auf. – »Die sternfunkelnde Königin der Nacht!«

Aber was war das Alles gegen das Staunen, als Chigot nun gar von dem Vogelmenschen Papageno, und dem Vogelweibchen Papagena zu erzählen anfing. Das Staunen, die Neugierde, die Begeisterung war allgemein. Man hätte auf der Stelle die Kleider auf dem Leibe verpfändet, wenn man die »Zauberflöte« jetzt auch gleich hätte sehen können.

Chigot war über den Erfolg seiner Mittheilungen entzückt. Ja er ließ sogar für sich und die Umgebung Wein kommen, um auf seinen Herrn, den großen Dichter der neuen Oper und auf Mozart, ihren Componisten, anzustoßen und zu trinken.

Ha! wie da die Gläser klangen und die guten Wiener sich erhitzten. Die Summe, welche die Einrichtung der Oper kostete, war bereits unter dem Siegel der Verschwiegenheit von Ohr zu Ohr gegangen und betrug nun schon fünfzehntausend Gulden Zwanziger.

»Und doch!« – sagte jetzt Chigot wieder leise – »habe ich die Hauptsache, das Wichtigste und Geheimnißvollste nicht mitgetheilt!«

»Nun?« – riefen Mehrere – »was ist denn das?«

»Nein, ich will doch lieber schweigen.«

»Bitte, bitte!«

»Ich plaudere zu viel; ich habe schon zu viel geplaudert!«

»Herr von Chigot?!«

»Wir gehen auch Alle hinein!«

»Ja, Alle, Alle!«

»Ich kann, ich darf nicht!«[250]

»Nur noch das Eine.«

»Nun denn,« – sagte Chigot – »was thut man Freunden nicht zu Gefallen! aber erfährt's mein Herr ....«

»Wir schweigen wie das Grab.«

»Auf Ehrenwort!« – riefen Alle; aber es that ihnen im Geheimen leid, daß sie nicht schon zu Hause bei der Frau oder in einem anderen Wirthshause bei anderen Gästen waren, um Alles haarklein, aber mit einiger poetischer Ausschmückung wieder erzählen zu können.

»Nun?« – wiederholte der Wirth.

Chigot bückte sich vor, damit Alle sein Lispeln verstehen sollten, dann sagte er geheimnißvoll:

»Die ganze Freimaurerei kommt darin vor.«

»Himmel!« – rief es jetzt – »ist's wahr?« –

»Unmöglich?« – »Auch der Gottseibeiuns?«

»St! St!« – machte Chigot. – »St! damit es Niemand hört .... Ich sage: die ganze Freimaurerei, mit ihren unterirdischen Gemächern, Feuer-und Wasserproben! – Wundervoll! – Göttlich! .... aber jetzt kein Wort mehr!«

Und er trank aus, bezahlte und ging. Aber kaum mochte der gute Hausmeister um die nächste Straßenecke gebogen haben – sein Manöver in einem anderen Lokale zu wiederholen – als auch die ganze Gesellschaft auseinander eilte, diese köstlichen Neuigkeiten mit möglichst romantischer Ausschmückung in Circulation zu setzen.

Schon am anderen Tage war ganz Wien voll der Wunder und Herrlichkeiten, die in der »Zauberflöte« vorkommen sollten.

Endlich kam der Tag der ersten Aufführung heran, und mit ihm war die Spannung, sowohl der wirklichen Musikfreunde und wahren Verehrer Mozarts, als auch der schaulustigen und unterhaltungssüchtigen Wiener – in den höheren, wie in den niederen Sphären – in der That bis auf das Aeußerste gestiegen. Noch nie hatte man in der Kaiserstadt einer theatralischen Vorstellung mit solcher wahrhaft fieberhaften Ungeduld und Erwartung entgegengesehen. Es schien fast, als ob ein großartiges Weltereigniß bevorstehe; ja Viele waren am Morgen schon so aufgeregt, daß sie den ganzen Tag nicht im Stande waren, etwas Ordentliches zu arbeiten.

Die Theaterbillets waren selbstverständlich schon acht Tage vorher ausverkauft. Schikaneder und sein Factotum rieben[251] sich vor Entzücken die Hände. Der Putsch war gelungen und ganz Wien in ihrer Tasche.

Wer sich aber außer diesen Beiden noch hauptsächlich über den vorauszusehenden Erfolg der neuen Mozartschen Schöpfung wahrhaft freute, war Lange, der ja ebenfalls schon seit Jahren in Wien lebte, und sich hier zu einem der bedeutendsten Schauspieler emporgeschwungen hatte. Das alte lustige und fidele Genie war er noch immer, wenn auch sein Leichtsinn sich zu einem leichten Sinn veredelt hatte, oder wenigstens in dieser Umwandlungsperiode begriffen war. Freilich lebte er von Aloysia getrennt und in keiner Berührung mit Mozart und seiner Familie; dennoch hatte er nie vergessen, was Wolfgang Amadeus einst in Neckarau und Mannheim für ihn gethan; während er außerdem in dem alten Freunde den großen Componisten mit aufrichtiger Begeisterung verehrte. Kein Wunder also, daß auch ihn die Erwartung des heutigen Abends schon frühzeitig in die Nähe des Theaters trieb.

Und konnte hier sein genialer Kopf mitten in dem Gewühle der erregten Volksmassen nicht die schönsten Studien machen? Er hatte sich dies sogar schon vorgenommen, und trug daher – ungenirter zu sein und nicht erkannt zu werden – ganz bürgerliche Kleider. So schwamm er jetzt, unter allen diesen exaltirten Menschen auf und abgehend und theilweise ihre Gespräche belauschend, in dem Gefühle freudigster Behaglichkeit, denn es war himmlisch, bis zu welcher poetischer Extravaganz die Gerüchte über die neue Oper gelangt waren, und welche Motive die guten Wiener zum Theile heute in den Tempel der Musen trieben.

Lange war eben hinter einer Gruppe von Handwerkern stehen geblieben, um ihr Gespräch zu belauschen.

»Maria-Joseph!« – sagte jetzt der eine, ein ehrsamer Schuhmacher, – »möchte nur einmal wissen, ob's wahr ist, daß das neue Stück den Herrn von Schikaneder wirklich so große Summen kostet.«

»Und was kostet es denn?« – frug sein Nebenmann, ein kleiner dünner Schneider mit bleichem Gesicht und hektisch eingefallenen Wangen.

»Zwanzigtausend Gulden!« – sagte der Schuhmacher.

»Zwanzig?« – rief hier der lange Feilenhauer, der neben ihm stand. – »Schauen's, das heißt fehlgeschossen. Lieber[252] Meister Wurzel, da seid ihr schlecht berichtet: Fünfundzwanzigtausend.«

»Zwanzigtausend Gulden!« – wiederholte Wurzel kopfschüttelnd.

»Fünfundzwanzig!« – rief der Feilenhauer und klopfte mit der breiten, schwarzfingerigen Hand auf die Brust. – »Ihr könnt das heilige Abendmahl darauf nehmen; ich weiß es aus guter Quelle. Einer meiner Gesellen hat'ne Liebschaft mit der Schwester-Tochter von dem Lampenanzünder und die hat es ihm gesagt.«

»Wolfert!« – sagte jetzt der Schuhmacher zum Feilenhauer – »dein Wort in Ehren; aber zwanzigtausend Gulden ist viel Geld.«

»So?« – rief Wolfert immer erhitzter – »für all' das, was in dem Stück vorkommt? Vier lebendige Löwen aus Nu – .... Nu – .... Numadien, glaub' ich, die erst von Herrn von Schikaneder gezähmt werden mußten? Zwei Tiger, ein Elephant und Gott und alle Heiligen wissen, wie viel Affen und Schlangen.«

»Ja!« – sagte jetzt Lange, ganz im Dialekt des Wiener Kleinbürgers – »und, Ihr Herren, die Mohren! die Mohren!«

»Sind denn das wirkliche Mohren?« – frug der Schneider und seine tiefliegenden Augen starrten ganz ungeheuerlich aus ihren Höhlen.

»Freilich!« – sagte Lange mit ernster Miene – »Herr von Schikaneder hat sie mit den vier Löwen aus Numadien kommen lassen.«

»Ja!« – meinte der Schuster – »das muß freilich viel gekostet haben. Ist Numadien weit?«

»O!« – rief der Feilenhauer Wolfert mit dem Ausdruck großer Gelehrsamkeit – »das will ich meinen: noch ein gut Stück unterhalb Afrika.«

»Sachristi!« – riefen der Schneider und der Schuhmacher.

»Ja!« – sagte Lange – »und die Kerle fressen wie die Löwen!«

»Was?« – riefen die drei Handwerker zugleich.

»Nun was?« – entgegnete Lange – »natürlich rohes Fleisch.«

»Richtig!« – schrie hier der Schneider mit seiner dünnen Stimme auf – »mein Schwager, der Metzger, hat ja die Lieferung.«[253]

Es zuckte bei diesen Worten um Lange's Mundwinkel; aber er unterdrückte den Reiz zum Lachen und sagte ernst: – »Da seht Ihr ja, daß ich Recht habe. Wenn sie nur unter dem Spiele nicht wild werden, statt zu tanzen.«

»Wer? Die Löwen?«

»Nein! die Mohren!«

»Freilich,« – meinte der Schneider – »der Anblick der vielen Menschen! .... Nun, ich bin froh, daß wir auf die Gallerie gehen, da kann das Gethier's doch auch im schlimmsten Falle nicht hin.«

»Richtig!« – rief Lange. – »Es geht doch nichts über den Muth. Wie heißt's in König Richard dem Zweiten?«


»Von Muth so voll; wie voll von Königsblut:

Beides vergeß ich; wär' die That nur gut!«


»Ha, ha!« – sagte hier der Schneider – »der Herr ist Schauspieler.«

»Ja!« – versetzte Lange, – »ich bin bei Herrn von Schikaneder Statist.«

»Und haben nichts heute in dem Stück zu thun?«

»O doch!« – sagte Lange. – »Ich bin Oberpriester, .... aber erst im zweiten Act.«

»Ei!« – fuhr der Schneider eifrig fort – »da können Sie uns gewiß auch sagen, ob es wahr ist, daß die Freimaurer einen Mordversuch auf den lieben, herrlichen Herrn von Schikaneder gemacht haben, weil er in der ›Zauberflöte‹ all' ihren Teufelsspuk verräth?«

»Ach ja!« – sagten die beiden Anderen – »in ganz Wien spricht man ja davon!«

»Eine grauenvolle That!« – rief Lange und geberdete sich, als ob er den Unsinn bestätigte: – »Ich rufe mit Shakespeare:


›Der Teufel, der sie erst darin bestärkt,

Sagt, sie sei in der Hölle Buch bemerkt!‹«


»Entsetzlich!« – meinte der Schuster – »wenn sie den Herr von Schikaneder nur nicht noch nachträglich morden. Es giebt doch nur einen Herr von Schikaneder und ein Wien.«

»Gewiß!« – sagte Lange ironisch – »was wäre Mozart ohne ihn, und was wäre er – ohne Mohren, Löwen und – Affen[254]

»Aber,« – rief der Schuhmacher jetzt mit einem Blick nach dem Theatergebäude, um welches sich die Massen immer dichter schaarten – »ihr Freunde, es ist Zeit, daß wir uns herbeimachen, sonst kommen wir – trotz der Billets in unseren Taschen – nicht hinein.«

»Lebt wohl, Herr!« – rief er dann noch, Lange zugekehrt, und die drei Freunde verloren sich in dem Gewühle.

Lange sah ihnen lachend nach:

»Mein Gott!« – rief er dann – »was sind das für Menschen, und auf solches Volk speculirt ein Schikaneder! – O! Ironie des Schicksals! Sie werden heute Abend – selig wie Fallstaff vor einer Kanne Bier – in die Hände klatschen, wenn die Affen und sonstigen Bestien, von den Tönen der Zauberflöte angezogen, auf der Bühne erscheinen. Diese Bestien locken nicht einmal Mozarts Zauberklänge, sondern nur die trivialste Trivialität. – O Hamlet, Hamlet!83 wie recht hast du! – Wenn man diese Menschen und ihr Treiben ansieht, muß man mit dir ausrufen:


›Gott, o Gott!

Wie lästig, schal und flach und unersprießlich

Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!

Pfui d'rüber! pfui! Ein wüster Garten ist's

Der ganz in Samen schießt; nur üpp'ges Unkraut

Erfüllet ihn!‹«


In demselben Augenblicke schreckte Lange eine bekannte Stimme auf.

»Das ist Salieri!« – sagte er zu sich selbst. – »Wie kommt der sonst so vornehmthuende Herr Hof-Capellmeister unter diese Haufen Plebejer? – Wie kommt Saul unter die Propheten?«

Und er trat etwas zurück, um besser beobachten zu können.

Wirklich war es Salieri, der jetzt, einen fein und vornehm gekleideten Herrn am Arm, sich mühsam durch das Gedränge arbeitete. Sonderbarerweise aber sprach er, wie Lange sofort bemerkte, ganz ungemein laut.

»Hm!« – brummte Lange – »entweder muß sein Gefährte taub sein, oder bezweckt der Herr Hof-Capellmeister etwas ganz Besonderes mit dieser verschwenderischen Kraftaufwendung seiner Lunge.«

Und er stellte sich so, daß er den beiden Herren den Rücken zukehrte, aber doch kein Wort von Salieri's Gespräch verlieren konnte.[255]

»Ja, mein lieber Baron,« – rief dieser jetzt so laut, daß sich die ganze Masse der Umgebung lauschend nach ihm hinwandte. – »Sie können mir's glauben und nachsagen: der arme Freund Mozart ist schon seit langer Zeit sehr leidend, krank an Körper und Geist. O! es geht mir an die Seele, daß dieser herrliche Mann, mein liebster, bester Freund, so abgenommen hat

»Also wirklich!« – versetzte der Baron – »hat Mozart abgenommen?«

»Und wie!« – rief Salieri – »er ist nicht mehr der Schatten von dem, was er war. Nun, Sie werden es heute Abend in der neuen Oper schon hören!«

»So ist also die Musik der ›Zauberflöte‹ nicht besonders gut?«

»Gut?!« – schrie Salieri, als ob er an einer Meßbude angestellt sei. – »Ach! lieber Baron, ich könnte blutige Thränen darüber weinen; – die Musik der ›Zauberflöte‹ – – nun, Sie können mir – als dem kaiserlichen Hof-Capellmeister, der die Sache aus dem Fundamente versteht – Glauben schenken .... die Musik der ›Zauberflöte‹ ist ganz mißlungen, ist flach, nichtssagend

»Unmöglich!«

»So trivial!« – rief Salieri schon etwas entfernt – »daß ich mit der entsetzlichsten Angst in das Theater gehe, sie möge ganz durchfallen

»Ich kann's nicht glauben?« – versetzte der Baron.

»Ach ja!« – schrie Salieri – »das fühlte Herr von Schikaneder auch recht gut, darum hat er auch so viel auf das Aeußere des Stückes verwandt.«

»Und man erwartet so viel.«

»Die guten Leute werden sich bitter täuschen!«

»Und wie kommt es denn ....«

Aber das Gespräch der beiden Herren, übertönt durch das theils mißfällige Gemurmel der Umstehenden, verhallte jetzt in der Ferne.

»Schurke!« – brummte Lange – »also darum die Lungenverschwendung?«

Doch er konnte zu keiner weiteren Aeußerung kommen; denn in demselben Augenblicke riefen Hunderte von Stimmen:

»Stille!« – »Stille!«[256]

Man schwieg und schaute auf. Ein stämmiger Kerl mit einem frischen und rothen Gesichte, daß ein gewaltiger Backenbart umschattete, aber mit gutmüthigen Zügen und hellen aufgeweckten Augen, hatte sich auf die Achseln seines herkulischen Freundes geschwungen und rief nun noch lauter, als vorher Salieri:

»Glaubt nicht, Ihr Leute, was die Herren da eben gesagt haben! ...... Sachristi! glaubt's nicht! Ich verstehe zwar nicht viel von Musik – bin nur Zimmermann; – aber ich habe im Theater gearbeitet, als man die ›Zauberflöte‹ probirte, und – der Teufel soll mich holen – wenn die Musik nicht schöner ist, als Alles, was ich noch gehört habe!«

Ein ungeheures »Hurrah!« – erhob sich; der Redner sprang lustig von seiner fleischigen Tribüne herab, der Name »Mozart!« wirbelte durch alle Lüfte, – und – wie eine Lawine wälzte sich der Ruf: »Es lebe Mozart!« durch die Masse.

»Prächtig!« – rief Lange, vor Freude strahlend – »prächtig«! Der Kern des Volkes ist doch immer gut. Aber ich merke schon, die verdammten Italiener spielen wieder die alte Rolle und fordern Mozarts Genius heraus. Sie wollen Kampf; – nun gut, sie sollen ihn haben – auch ich werde jetzt meine Maßregeln nehmen. Salieri, – Satansschlange – Lungenverschwender – ich rufe dir mit Agamemnon zu:


»Geh', edler Herr, zu steh'n

Bei Ajax; – und wie du und Held Aeneas

Den Kampf bestimmen, soll er vor sich geh'n!«


Und er war im Begriff zu Schikaneder in das Theater zu eilen, diesem das eben Vorgefallene mitzutheilen und mit ihm Gegenmaßregeln zu berathen, als ihm ein Trupp Schusterjungen den Weg versperte. Sie kamen pfeifend und singend – unbekümmert um die Gehörwerkzeuge der Umstehenden – ihres Weges daher: denn ihre Meister hatten ihnen, zu Ehren der »Zauberflöte« und der Affen, Mohren und Löwen, den Abend freigegeben. Jetzt sollte, Kraft ihrer Ellenbogen, ein Sturm auf das Theater gemeinsam unternommen werden.

»Bei Apollo!« – rief Lange, als er sie ansichtig wurde – »das ist gerade eine Schaar Trojaner, wie ich sie brauche!« – und, ohne sich weiter zu besinnen, trat jetzt er dem Durchmarsch dieser hoffnungsvollen Jugend in den Weg.[257]

Aber schon der Anführer, ein dicker, frech und dummdreist in die Welt schauender Jüngling von etwa sechszehn Jahren, verstand keinen Spaß. Als er an Lange ein Hinderniß im Weiterschreiten fand, sing er dermaßen grell und laut zu pfeifen an, daß die nächststehenden Leute sich die Ohren zuhielten; zugleich aber versetzte er Lange – die Hände in den Taschen, die Ellenbogen im spitzen Winkel – einen gemüthlichen Stoß, der ihn, als Hinderniß, auf die Seite bringen sollte. Lange war indessen vorbereitet. Er parirte den Stoß, wie Hamlet im Kampfe mit Laertes, ohne von der Stelle zu wanken.

Jetzt aber ward der junge Trojaner unangenehm:

»Geh' aus dem Wege, Kameel!« – rief er Lange zu, den er wohl für einen kleinen Krämer oder etwas ähnliches hielt.

Lange aber schien den Schild der Minerva mit dem Medusenhaupte zu besitzen; denn plötzlich schwieg nicht nur der edle Führer, er blieb auch wie verzaubert stehen.

Dies Medusenhaupt aber war nichts anderes als ein Zwanziger, den Lange dem Burschen vor die Augen hielt.

»Was soll's damit!« – rief dieser endlich, als er aus Lange's pfiffig-freundlicher Miene zu dem Schlusse gelangt war, der Zwanziger sei für ihn, für irgend einen Dienst bestimmt. – »Was soll's damit?«

»Edler Trojaner!« – sagte dieser – »dir und jedem deiner Kameraden einen solchen Zwanziger und Eintritt in's Theater auf meine Kosten, wenn ihr mir versprecht, diesen Abend nicht von meiner Seite zu weichen und alles zu thun, was ich thue!«

»Schuster bin ich und Peter heiß' ich, aber nicht Tropaner,« – sagte keck der Dicke. – »Euren Witz aber könnt Ihr zu Hause lassen, Affen und Kameeler seh'n wir heut Abend noch genug.«

»Aber Ihr sollt sie sehen, ohne daß sie euch was kosten!« – sagte Lange mit der ihm zu Gebote stehenden gutmüthigen Jovialität – »und sollt die Zwanziger noch obendrein verdienen.«

»Im Monde? He!« – rief der Bube – »denn Ihr seht mir gerade aus, als ob Ihr achtzehn Zwanziger im Sack hättet.«


»Siehst du, wie der Schein oft lügt,

Weise selbst und Helden trügt!«


rief hier Lange mit komischem Ernst;
[258]

»Aber wirst du selber schauen,

Zähl ich wohl auf dein Vertrauen!«


Und er griff in den Sack und hielt Peter eine ganze Handvoll blinkender Zwanziger hin.

»Also wirklich?« – rief Peter und die Augen gingen ihm über.

»Wirklich!« – wiederholte Lange.

»Schlag ein, Peter! – Schlag ein!« – rief es jetzt im Chorus. – »Aber erst das Geld.«

»Hier!« – sagte Lange, und gab Jedem sein Theil. – »Ich weiß, Ihr haltet Wort.«

»Ja, beim heiligen Crispin!« – betheuerte Peter und die Andern stimmten ein.

»Und jetzt folgt mir, Trojaner!« – rief Lange, die Mütze, die er – der Unkenntlichkeit wegen – trug, tiefer in das Gesicht ziehend, – »aber einige Schritt weit hinter mir. Bleib' ich stehen, thut Ihr's auch; geh' ich weiter, folgt Ihr mir; klatsche ich im Theater in die Hände ....«

»Klatschen wir auch!« riefen Alle.

»Rufe ich ›bravo!‹«

»Schreien wir ebenfalls so, daß die Wände wackeln!«

»Prügele ich nach dem Theater Einen ....«

»Hurrah! Hurrah!« – riefen die achtzehn jugendlichen Kehlen – »prügeln wir mit!« – und in dem seligen Vorgefühl der Erfüllung dieser schönen Hoffnung erfüllte ein neues seliges »Hurrah!« die Lüfte.

Aber so groß war das Gedränge und der Lärm vor dem Theater, daß man von diesen Freudenrufen gar keine Notiz nahm. Derselben Ursache wegen waren aber auch Salieri und sein Begleiter nicht weit gekommen, so daß sie Lange und sein Gefolge bald eingeholt hatten.

Jetzt aber schien es Salieri geradezu, als ob sich die Hölle gegen ihn verschworen hätte. Alle Schusterjungen Wiens mußten plötzlich um ihn versammelt sein, und es war nicht mehr daran zu denken, seine Unterhaltung hören zu machen, so satanisch pfiffen die Kerls.

Vergebens suchte der Kaiserliche Hofcapellmeister seinem Schicksal zu entgehen, wo er auch hinaus wollte, standen ihm die verdammten Schustersbuben im Wege, und diese waren selbst wieder so von der Menge eingeschlossen, daß auch sie jetzt keinen freien Willen mehr hatten. Der ganze Knäul, [259] Salieri und den Baron in der Mitte, ward geschoben, und zwar nach dem Eingange zu, der nach der Gallerie führte.

Salieri hatte gut rufen: daß er ja gar nicht dahin, sondern nach demjenigen Eingang wolle, der zu den Logen führe. Kein Mensch achtete darauf. Alle hatten Hören und Sehen verloren; denn die Thüren des Theaters waren eben geöffnet worden – und nur ein Gedanke beseelte die unübersehbare Menge: einen Platz in dem Theater zu erobern. Nicht mehr umdrehen konnte man sich, und wer aus Versehen sich umgedreht hatte, wurde rücklings in den Tempel der Musen und die Treppen hinauf geschoben, gehoben und getragen.

Salieri verzweifelte fast! – Er, der Geizige, bot Geld in Fülle, – – umsonst! und hätte er Tausende hingelegt, und hätten auch die edlen Trojaner, die ihn wie eine Leibwache – so recht im eigentlichen Sinne des Wortes – umgaben, gewollt, auch sie hätten jetzt sein Geschick nicht mehr ändern können. Die Würfel waren gefallen, und nach Verlauf einer halben Stunde – fast im Todeskampfe zugebracht – sahen sich der Herr Hof-Capellmeister und der Herr Baron da, wo sie noch nie gewesen; auf der Gallerie des Leopoldstädter Theaters, – mitten unter Handwerkern und Schusterjungen, und so eingepreßt, daß sie nicht ein mal – was in dieser Atmosphäre recht wohlthuend gewesen wäre – ihre Schnupftabaksdosen aus den Rockschößen langen konnten.

Lange aber kannte sich vor Vergnügen nicht mehr. Er machte in der That Studien an den jämmerlich-verzerrten, die äußerste Wuth und Verzweiflung ausdrückenden Zügen Salieri's, dem der Schweiß in dicken Tropfen von der Stirne über die todtenbleichen Wangen rann.

So vergingen beinahe zwei Stunden, bis endlich! endlich! eine allgemeine Bewegung und der donnernde Ruf: »Es lebe Mozart! Mozart lebe!« – das Eintreten des Componisten und den Beginn der Oper ankündigten. Salieri biß sich auf die Lippen, daß sie bluteten – aber die Jubelrufe endeten nicht. Erst nach zehn Minuten hörte man den Tactstock des Dirigirenden fallen. Es war natürlich der Meister selbst, der ihn führte.

Aber was soll man nun über die Aufführung sagen? Sie steht einzig in den Annalen Wiens da![260]

Hatte es in dem bis an den Plafond überfüllten Theater vor dem Erscheinen Mozarts wie an den Gestaden des Meeres gewogt und gerauscht und gebraust; war mit dem Erscheinen des Maestro's der Sturm der Freude donnernd losgebrochen – so trat, trotz der Tausenden von Anwesenden, mit dem ersten Tone der Ouvertüre Todtenstille ein. Alles horchte, Alles lauschte! – Und wie sich nun die Ouvertüre, dieses Meisterwerk der Instrumentalmusik, vor den Ohren der Hörer entwickelte: Himmlisch in der Harmonie der Fuge; strahlend in melodischem Glanze; so ganz Genuß, Wohlklang, Entzücken und unaussprechlicher Zauber, sowohl für den gelehrten Musiker, als für den einfachen Liebhaber – – da strahlte es aus allen Augen, von allen Gesichtern, – da hatte sich Mozart schon im Voraus alle Herzen, die vollste Bewunderung aller Kenner gewonnen.

Ein abermaliger Sturm erfolgte, – ein Sturm des Beifalls, der das Haus erschütterte; – ein Ausbruch des Entzückens, der Salieri wie Gift und Feuer und Dolch durch alle Glieder ging.

Aber schon war der Vorhang aufgeflogen, und das Stück hatte begonnen. Jetzt aber ereignete sich Unerhörtes.

Wenn nämlich auch die weit, weit überwiegende Masse der Anwesenden allein nur wegen Mozarts Musik gekommen war, so hatte doch auch Schikaneder, mit Hülfe Chigots, viele Hunderte aus den niederen Sphären der Wiener Bevölkerung blos durch seine tollen Anlockungen mit Bestien, Mohren und Freimaurern herbeigezogen; – Menschen, deren völlig ungebildetes rohes Wesen keine Ahnung von Musikverständniß zuließ; die eigentlich nur gekommen waren, um Affen, Bären, Schlangen, Löwen und Vogelmenschen zu sehen. Aber welches Wunder ereignete sich nun mit diesen im Verlaufe des Stückes? Freilich nahm sie – besonders im Anfange – die Scenerie lebhaft in Anspruch; aber schon bei den ersten Nummern hatte die unübertrefflich schöne Musik, – so köstlich-einfach und lieblich, so zauberhaft und doch so allgemein-verständlich zu allen Herzen sprechend – ihre unwiderstehliche Allgewalt bewiesen. Wie der »Zauberflöte« süße Töne auf der Bühne die wildesten Thiere bändigten, – wie die Gewalt der Musik sich hier symbolisch geltend machte, jede Rohheit und Wildheit beschwichtigend und für sich gewinnend – so riß Mozart, einem allmächtigen[261] Zauberer gleich, Alles was anwesend war, von dem feinsten Musikkenner bis zu dem ungebildetsten Menschen, durch den Reichthum und die Zauber seiner Melodien hin!

Da war von einer Opposition auch gar nicht mehr die Rede! – Da vergaßen selbst die Schaulustigsten, warum sie gekommen; da zerfiel Schikaneders Feenreich in Staub und Asche, und Eines nur herrschte: Mozart und seine göttliche Musik!

Der Erfolg, den diese Aufführung hatte, war ungeheuer! Nach jeder Nummer raste der Beifallssturm so furchtbar, daß das Haus in der That erbebte. Das Freudengeschrei im Innern aber wurde von dem Jubel der Tausende, die vor dem Hause standen, weil sie nicht mehr hinein kommen konnten, donnernd erwiedert.84

Mozarts in der letzten Zeit so erschlaffte Züge hatten wieder für Momente den Ausdruck der alten Energie angenommen, – seine Wangen glühten – seine Augen flammten in Begeisterung – sein Herz klopfte stürmisch in Wonne und Entzücken.

Und Salieri? – Halb todt vor Neid und Aerger, – halb taub durch den Höllenlärm von sechs und dreißig dicht um ihn unaufhörlich klatschenden Händen und achtzehn, seinen Ohren ganz nahe postirten gräßlichen Stimmen, deren Bravo's allein die Mauern von Jericho hätten wanken machen können, – glich mehr einer Leiche, als einem lebenden Menschen. Die Farbe seines Gesichtes war aschgrau, seine Muskeln zuckten convulsivisch, seine Lippen bluteten, so hatte er sich darauf gebissen. Aber Alles half nichts! Die Hölle kann ihre Verdammten nicht fester halten, als die Cohorte der Lange'schen Trojaner den Hof-Capellmeister. Und in der Hölle war er den ganzen Abend: denn die Flammen des Zornes, der Wuth, der Selbstverachtung, des Neides und des Hasses verzehrten fast seine Seele. Als der Vorhang fiel, sank er fast ohnmächtig gegen seinen Begleiter.

Aber nun sollte sich noch ein Wunder ereignen!

Als die ungeheure Menschenmenge, die heute das Leopoldstädter Theater gefüllt hatte, sich nach fast halbstündigem, gar nicht endenwollenden Applaus nun entfernte, und vor dem Hause wie ein mächtiger Strom in zahllose Arme zerschlug,[262] die ganz Wien überschwemmten: da sangen, brummten, summten und pfiffen zahllose Menschen die lieblichen Melodien nach, die sie eben gehört, – deren Zauber sie gefesselt, – und die doch so populär waren, daß sie eben Jeder singen, brummen, summen und pfeifen konnte.

Auch die Trojaner zogen, überglücklich, – ihren edlen Peter an der Spitze – nach Hause und pfiffen in den schneidendsten Tönen, die sie hervorbringen konnten: »Der Vogelfänger bin ich ja, stets lustig heisa, hopsasa!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 245-263.
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