*259. [an L. Hagenauer in Salzburg]

[244] Haag den 19ten Septb: 1765.


Monsieur!


Sie erhalten hier ein Schreiben aus dem Haag; nicht aber aus dem Haag bey München, noch aus dem Haag so bey Lambach in Oesterreich liegt. nein! sondern aus dem Haag in Holland. Das wird ihnen freylich sehr wunderlich Vorkommen, um so mehr, als sie uns Vielleicht nicht so ferne, sondern ihnen bereits näher zu seyn, etwa, wo nicht geglaubet, doch gewunschen haben. Wir würden auch, zwar noch nicht nahe, doch bereits wieder aus Holland weg seyn, wenn uns nicht eine Unbässlichkeit, die erstens meinen Wolfgängt: und dann mich selbst in Lille überfallen 4 Wochen zurück gehalten hätte. Sie sollen nun aber gleich alles wissen, was für ein Zufahl uns nach [244] Holland gebracht: da ich niemals nach Holland, wohl aber nach Mayland und über Venedig nach Haus zu gehen beschlossen hatte. Der Holländische Gesandte in London lag uns Vielmahls an nach dem Haag zu dem Prinz von Oranien zu gehen. Allein ich ließ es bey einem Ohre hinein, bey dem anderen wieder hinaus passieren. Wir schickten uns zur Abreiße, und ich dachte so wenig nach Holland zu gehen, daß ich alle unsere Pelze nebst anderen Sachen in einen Coffre nach Paris schickte. Allein, da wir würcklich abgereißet waren, und wircklich den 24.July aus London abgefahren, so blieben wir einen Tag in Canterbury und bis zu Ende des Monats auf einem Landgut eines Englischen Cavalliers um das Pferdelauffen zu sehen. Der Holländische Gesandte fuhr den nämlichen Tag unserer Abreiße in unserquartier, und erfuhr, daß wir nach Canterbury zum Pferd rennen abgegangen und sodann Engelland verlassen werden. Stracks war er bey uns, und bath mich um alles nach dem Haag zu gehen, indem die Prinzessin von Weilburg die Schwester des Prinzen vonOranien eine so ausserordentliche Begierde hätte, dieses Kind zu sehen von dem sie so gar Vieles gehört und gelesen. Kurz! er und alle sagten mir so vieles, und die Proposition war so gut, daß ich mich um so eher entschlüssen muste, als sie wissen, daß man einer Schwangeren frauen nichts abschlagen solle.

NB: der Herr Gesandte war nicht, Schwanger, aber die Prinzessin. Ich Verließ demnach den 1ten august Engelland und wir fuhren nach 10. Uhr morgens vonDover ab, hatten das schönste Wetter, und so guten Wind, daß wir in 31/2 Stund in Calais im Port ans Land stiegen, und mit gesunden Magen unser Mittag mahl einbrachten, weil wir gar nicht bey der Überfahrt krank waren. Nun war unser Antrag den Monat August in Holland zuzubringen, gegen dem Ende desSeptemb: in Paris einzutreffen, und dan nach und nach so fort zurücken, bis wir gleichwohl den Untersperg ins Gesicht bekommen. In Calais war die Ducheße de Montmorency und der Prince de Croy unsere Bekanntschaft; und ich gieng von da nach Dünkirchen, [...]

Wir fuhren nach Lille, [...]

[245] Nun kommt wieder eine Probe, daß unser menschliches Vornehmen ein pures nichts ist. In Lille überfülle den Wolfgangl: ein sehr starcker Catharr, und da dieser nach ein paar-Wochen etwas besser wurde, kam die Reihe an mich; ich wurde von einem Schwindel befallen, der ganz besonder war. Wenn ich ausgestreckt im Bette lag, so war es gut um mich; so bald ich mich aufrecht hielt, so gieng alles unter und über: und ich konnte nicht 3 Schritte alleine über die Stube gehen; so, daß wenn ich es zwingen wollte aufrecht zu bleiben, so muste ich mich erbrechen. Da ich nun nicht wuste, ob es vom Kopfe oder vom Magen herrührte, so laxierte ich, nahm dan Fußwasser etc. und mit einem Worte wehrte mich gegen 2. feinde zu gleich: Allein dieß schlug uns um 4. Wochen zurück; und ich Verließ halb gesund und halb krank Lille und kamm noch nicht Viel besser nach Gent, wo wir nur einen Tag blieben. Gent ist ein großer aber nicht volkreicher Ort. Der Wolfgl: spielte nachmittags auf der großen neuen Orgel bey den P.P. Bernardinern. x In Antwerpen blieben wir 2. Täge, wegen dem Sontage. Der Wolfgangl: spielt in der Cathetral Kirche auf der großen Orgel. NB: man findet in flandern undBrabant durchaus gute Orgelwerke. Hauptsächlich aber wäre hier Vieles von den Auserlesensten Mahlereyen zu sprechen. Antwerpen ist sonderlich der Ort dazu. Wir sind alle Kirchen abgelaufen. Ich habe niemals mehr Schwarz und weisen Marmor und ein überfluß von trefflichen Mahlereyen, sonderlich von Rubens gesehen, als hier, und in Brüssel. Vor allem ist die Abnehmung Christi vom Kreuz in der großen Kirche in Antwerpen ein Stück von Rubens, so alle Einbildung übertrifft. In Antwerpen ließ ich meinen Wagen, und nahm einen Wagen vom Postmeister bis nach Mordyck. Da fuhren wir über einen kleinen Arm von Meer, und auf der andern Seite sind schon Kutschen bereitet bis Rotterdam, wo man dann in ein klein Schiff sitzet, und bis respective an das wirtshauß geführt wird. Daß war nun eine schöne Tagreiße von Antwerpen bis Rotterdam: nämlich von halbe 7. Uhr morgens bis 8. Uhr abends. In Rotterdam waren wir nur einen halben Tag, indem wir nachmittags auf einem Trek[246] Schuyt nach dem Haag abfuhren und um 7. Uhr schon da waren. Nun muß ich ihnen bekennen, daß es mir sehr Leyd wäre, wenn ich Holland nicht gesehen hätte: dann in allen Stätten von Europa, was ich gesehen hatte, siehet doch das meiste einander gleich. Allein so wohl die Holländischen Dörffer, als die Holländischen Stätte sind von allen anderen Stätten Europens gänzlich unterschieden. Es würde zu lange seyn solche zu beschreiben, genug, daß ihre Reinlichkeit (die vielen von uns als zu übertrieben scheinet) mir sehr wohl gefällt, und ich will nur anmerken, daß ich die Statue des berühmtenErasmi Rotterodami in Rotterdam auf dem Platze mit Vergnügen betrachtet habe. Im Haag sind wir nun 8. Täge, wir waren 2. mahl bey der Prinzesin und 1. mahl bey dem Prinz von Oranien, der uns mit seinerEquipage abholen und nach Hauße führen lassen: Allein meine Tochter ware nicht mit uns; denn nun kam die Reihe an Sie, und sie hat einen sehr starken Brust Cartharr, der nun anfangt loos zu werden. So bald sie besser ist, müssen wir wieder zum Prinz von Oranien und zu der Prinzessin von Weilburg und dem Herzog von Wolfenbüttel: – – Die Reise ist bezahlt; – – wer nun aber die Rückreiße bezahlen wird, muß ich erst sehen. Dann meine Gelder in amsterdam möchte ich gerne unberühret lassen. [...]

Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 4. München/ Leipzig 1914, S. 244-247.
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