Parallele zwischen Mozart und Haydn.

[228] Wenn wir Haydn und Mozart zusammenstellen, so zeigt sich uns eine heilige Einheit in der individuelsten Mannigfaltigkeit und die verschiedenen Verhältnisse Beider stören das Fortschreiten der Geister nicht; wenn schon wir in der Bestimmung des Schicksals Beider auf merkliche Verschiedenheiten stoßen. – Musik der Väter weckte den Tonsinn der Söhne.

Mozart war der Sohn eines musikalischen Vaters. Haydn weckten die Gesänge und Accorde der ländlichen Zither seiner Eltern. – Der Sohn des Musikers, dessen Genie früher gepflegt, sich früher entwickelte, hatte mit weniger Hindernissen zu kämpfen, als der Sohn des Rademachers, er schritt früher zur Vollendung und wurde aber auch früher vollendet. – Mozart's Genius wurde früh unter den gefälligen Musen des fröhlichen Wiens gepflegt, sonnte sich in Hesperiens üppigen Gefilden.

Haydn lebte auch in Wien, aber seine Jugend verwundeten nur die Dornen, während Mozart auf ihren Rosen gewiegt wurde. Nach Italien kam Haydn nie. So ernst wie sein ganzes[228] Leben, führte ihn auch sein Schicksal in das Land des tiefsinnigsten Ernstes – nach England, – dennoch behielten beide Genien ihre Originalität und wirkten wohlthätig auf den Genius ihrer Umgebung.

Mozart zeigte in seinen früheren Compositionen einen düsteren Ernst, strengen Contrapunct, und es wäre ein zweiter Sebastian Bach aus ihm geworden, hätten ihn Wiens gefällige Musen nicht umgeben, Italiens Zaubermelodien mit ihren Blumenketten nicht umwunden. Aber dabei wirkte seine Kraft wohlthätig auf die Anmuth seiner Umgebungen, theilte sich ihnen mit und so ward Mozart Schöpfer jenes neuen Styls, der italienische Anmuth mit deutscher Kraft verbindet. – Haydn's frühere Compositionen sind leicht, melodisch tändelnd, denn er hörte nichts als gefällige Musik und Porpora war ein Italiener. Mit diesem heiteren Genius, mit dieser melodischen Seele reiste er nach England. Die Grazie seiner gefälligen Melodien umwand den düstern Ernst der englischen Musik, ebnete ihr rauhes Wesen und so ward er, wie Mozart im Süden, im Norden der Schöpfer eines neuen Styls, der die Anmuth des Südens mit der Kraft des Nordens vereinigte; – Mozart gab der Anmuth des Südens die Kraft des Nordens. – Dem ungeachtet wuchsen beide Blüthen auf einem Stamme des ästhetisch Schönen. Beide Künstler verbinden Kraft mit Anmuth, um Beider Stirnen flicht sich der Doppelkranz des Schönen an sich und der Nationen, deren Geschmack sie bildeten. In beiden war vereint vorhanden, was sie einzeln zu geben schienen.

Mozart wird wegen seiner tiefen gründlichen Harmonien geschätzt, – Haydn wegen seiner Natürlichkeit und Grazie. Dennoch sind beide in der Harmonie gleich groß, gleich stark und kräftig. – Mozart suchte seine Melodien mit der Kraft der Harmonien zu bekleiden; Haydn versteckt seine tiefen Harmonien unter Rosen und Myrthengewinden seiner Melodien. – Mozart dringt unaufhaltsam durch Tonströme, kämpfend wie der jugendliche Held; Haydn wandelt gemächlich wie der ruhige Weise auf Blumengefilden der erquickenden Ruhestätte zu. – Mozart erscheint plötzlich, prächtig und groß, majestätisch wie der Blitz[229] oder die Sonne, wenn sie unerwartet aus dem Wolkendunkel hervortritt. –

Haydn bereitet vor wie ein heiterer Frühlingstag aus sanftem Morgenlicht. Er schafft sich erst ringsumher den Himmel, in dem sich seine Erwählten freuen sollen, wenn Mozart, wie ein Sohn des Lichtes, plötzlich, unerwartet unter die Sterblichen tritt und sie mit allmächtigem Arm im unaufhaltsamen Fluge hoch zum Olymp emporreißt. – Haydn's Genius sucht die Breite, Mozart's Höhe und Tiefe. – Haydn führt uns aus uns heraus, Mozart versenkt uns tiefer in uns selbst und hebt uns über uns, daher malt Haydn auch immer mehr objective Anschauungen und Mozart die subjectiven Gefühle. Zum Beleg: Haydn's Malereien in den Oratorien die »Schöpfung« und die »Jahreszeiten« und Mozart's in seiner »Zauberflöte«, »Titus« und sein Seelengemälde des verklärten und vollendeten Geistes im »Requiem.« – Aber beide Genien stehen gleich kraftvoll, gleich anmuthig da und wandeln so unter den Schatten, wie sie von uns ausgegangen sind. – Mozart starb in seiner schönsten Blüthenzeit und sein Geist schuf ein vollendetes Meisterwerk des höchsten Ernstes. Haydn ging als lebenssatter Greis von hinnen und schuf als solcher – ein Jüngling im Geiste, eine neue Schöpfung und einen neuen Frühling, einen glühenden Sommer (in den Jahreszeiten) im Winter seines Erdenlebens. – Mozart behauptete in seinem letzten Werke den Character, der sich in seinen früheren ausspricht, gegen sonst in tiefer Harmonie. – Haydn nahm Abschied wie er kam; denn seine letzten Producte des vollendeten Greises athmen die Fülle und Anmuth des Jünglings. – Jeder von Beiden behauptet seine Originalität; aber beide sind die Schöpfer eines guten Geschmacks. – In einem anderen Vergleiche Haydn's und Mozart's heißt es treffend: »Bei Mozart ist mehr Leben und Handlung, Haydn ist gedankenreicher. Bei Haydn ist das Gefühl, bei Mozart die Leidenschaft vorherrschend. Wenn Mozart freudig jubelt, wenn er uns mit erhabenem Entzücken, mit Angst, Entsetzen und Geisterschauer ergreift, oder mit dem Tone der Schwermuth und Verzweiflung unser Herz bluten macht, erfüllt uns Haydn mit zufriedener Heiterkeit, mit süßer Wehmuth, mit Andacht und sanfter Rührung.[230] Kurz Mozart ist mehr episch und dramatisch, Haydn mehr romantisch und didaktisch. Schon der Gegenstand und Character der von Beiden für Gesang gewählten Dichtungen deutet diese Unterschiede an.«

Quelle:
Mozart-Buch. Von Constantin von Wurzbach, Wien 1869, S. 228-231.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mozart-Buch
Das Mozart-Buch
Das Mozart-Buch
Das Mozart-Buch
Mozart-Buch
Das Mozart-Buch