Dosenschildkröte (Terrapene carinata)

[48] Die Dosenschildkröte (Terrapene carinata, Testudo und Terrapene clausa, Cistudo carolinensis, ornata und virginia, Onychotria mexicana) ändert vielfach ab. In der Regel ist die Färbung ihrer Oberseite ein schönes Braun oder Braunschwarz; die Zeichnung besteht aus gelben, unregelmäßigen Flecken und Streifen; die Schilder des Brustpanzers sind auf gelbem Grunde braun geadert. Die Panzerlänge beträgt höchstens 15, die Breite 9 Centim. Der länglich eirunde Kopf zeigt scharfe, ungezähnelte Kiefer und ist wie die Vorder- und Hinterfüße braun und gelb gefleckt.

Das Verbreitungsgebiet der Dosenschildkröte er streckt sich über den größten Theil der Vereinigten Staaten, von Maine an bis Florida, westlich bis Jowa, Missouri und Tejas; ja sie kommt, wenn [48] auch nur in einer besonderen Spielart, noch im südlichen Mejiko vor, fehlt jedoch auf den westindischen Eilanden. Innerhalb der angegebenen Länderstriche findet man sie fast allerorten und meist sehr häufig. In ihrer Lebensweise stimmt sie mit anderen Schildkröten vollkommen überein. Laut Ord, welcher sie eingehend beobachtete, wird sie viel öfter auf trockenen als auf feuchten Stellen gefunden, und wenn man sie hier wirklich einmal bemerkt, darf man im voraus überzeugt sein, daß sie nur durch eine Lieblingsspeise verlockt wurde, solche, ihr wenig zusagenden Oertlichkeiten zu besuchen. So kann man in Sümpfen, welche der Nachtreiher zu seinen Brutplätzen erwählt, mit Sicherheit auf sie rechnen, weil unter den Reiherhorsten stets eine Anzahl halb verfaulter Fische liegen, welche für sie wahre Leckerbissen zu sein scheinen. Außer solchen Resten frißt sie Kerbthiere, Schnecken, Würmer, zarte Schwämme und Beeren, letztere sogar mit besonderer Begierde. Vorstehenden Angaben stimmen andere Beobachter vollständig bei. »Ich hatte«, sagt C. Müller, »häufig Gelegenheit, Dosenschildkröten sowohl in der Freiheit als auch in der Gefangenschaft zu beobachten und habe sie nie im Wasser gefunden, sondern im Gegentheile beobachtet, daß sie, ins Wasser gebracht, einen großen Widerwillen dagegen zeigten und dasselbe so schnell als möglich verließen.


Dosenschildkröte (Terrapene carinata). 1/2 natürl. Größe.
Dosenschildkröte (Terrapene carinata). 1/2 natürl. Größe.

Sie kommen zwar auch auf feuchtem und selbst sumpfigem Grunde vor, leben jedoch gewöhnlich in Wäldern und auf Wiesen und scheinen Laubwaldungen anderen Oertlichkeiten vorzuziehen. Zuweilen findet man sie auf sehr trockenen Stellen, selbst auf dürren Hügeln.« Oft sind sie, laut Müller, halb in der Erde noch in das Moos gegraben und dann wahrscheinlich beschäftigt, Pilze, Würmer und Kerfe zu suchen. Müller fing einmal eine in einem hohlen Baumstumpfe, welche er schon von weitem arbeiten gehört hatte und ganz von Kerbthierlarven umgeben fand, unter denen sie ihr Frühstück hielt. Sie liebt überhaupt das Dunkel. Gefangene, welche Fischer [49] beobachtete, verkrochen sich, wenn die Sonne schien, hinter dem Ofen, unter Schränke und andere das Licht abhaltende Gegenstände, wurden aber gegen Einbruch der Nacht regsamer und liefen dann, zumal wenn der Mond schien, im Zimmer umher. Ebenso werden sie zweifelsohne auch in der Freiheit verfahren. Hier zeigt sich die Dosenschildkröte nicht minder furchtsam und ängstlich als andere kleine Arten ihrer Verwandtschaft. Wenn ihr ein anderes größeres Geschöpf naht, zieht sie Kopf und Beine ein und schließt die Klappen so fest an, daß sie vor gewöhnlichen Raubthieren völlig geschützt ist. Gereizt, wehrt aber auch sie sich ihrer Haut, beißt und läßt das, was sie ergriffen hat, so leicht nicht wieder los. Schiel hielt einer, welche er in der Prairie gefunden hatte, spielend einen fingerdicken Zweig vor, bis sie denselben endlich packte. Um zu erfahren, ob und wann sie den Zweig wieder freigeben würde, band er denselben an seinem Reisewagen fest, so daß sie sich an jenem in der Schwebe halten mußte. Der Wagen setzte sich in Bewegung, und die Schildkröte hing vom Morgen bis zum Abend baumelnd an ihrem Aste, ohne loszulassen, also auch ohne zu ermüden.

Regelrechte Verfolgung erleidet die Dosenschildkröte nicht. Ihr Fleisch wird nicht benutzt, so wohlschmeckend es auch ist. Der Grund, weshalb man es verschmäht, ist derselbe, welcher die Landleute abhält, Froschschenkel zu essen. »Als sich«, so erzählt Ord, »ein alter, ausgedienter Seemann in Pennsylvanien niederließ und bei allen Knaben Dosenschildkröten und Frösche bestellte, um sie zu verspeisen, verfiel der Mann, welcher eine so wohlschmeckende und gesunde Nahrung zu schätzen wußte, dem allgemeinen Mißtrauen.« Eher noch läßt man sich ihre Eier gefallen.

Ueber die Fortpflanzung der Dosenschildkröte berichtet Ord sehr ausführlich. Er hielt einige Jahre nach einander mehrere dieser Thiere in seinem in jeder Beziehung geeigneten Garten und konnte hier eingehende Beobachtungen anstellen. Ungeachtet des ihnen gewährten weiten Spielraumes und der wenig beschränkten Freiheit schritten nur wenige zur Fortpflanzung, und auch von ihren Eiern gingen viele zu Grunde: die meisten, dem Anscheine nach, durch die kleinen, bissigen Ameisen, welche die Nester zerstörten. Das Austiefen der Nestgrube und das Legen der Eier geschieht im wesentlichen in der bereits (S. 40) beschriebenen Weise; die Grube wird so tief ausgehöhlt, als das Weibchen reichen kann, und die fünf bis sechs Eier scheinen, obgleich sie stets in Zwischenräumen von mindestens fünf Minuten zum Vorscheine kommen, Geburtswehen nicht zu verursachen. Schon halb erwachsene Weibchen legen und verfahren dabei genau ebenso wie die alten. Jedes einzelne Ei wird, sogleich nachdem es gelegt, mit Erde umgeben, die Grube zuletzt wieder gefüllt und die Stelle über ihr sorgfältig geebnet. Während der Arbeit des Grabens und während des Legens selbst verändert die Schildkröte ihre Stellung nicht, sieht sich nicht einmal um. Beim Legen gestörte Thiere beginnen erst nach vierzehn Tagen wieder zu graben.

Ord entnahm am Tage nach dem Legen einer Nestgrube die Eier und brachte sie in einer mit Erde gefüllten Schachtel unter. Das erste Junge entschlüpfte am achtundachtzigsten, das letzte am hundertundneunten Tage nach dem Legen. Die Jungen waren verschieden groß und kräftig, durchschnittlich aber wohl entwickelt, auch von Stunde an lebhaft und beweglich, ihre Schalen jedoch noch sehr weich oder knorpelig, die Reste des Dottersackes in der Mitte des Brustschildes noch ersichtlich. Doch geschieht es sehr häufig, daß die Durchschnittswärme des pennsylvanischen Sommers nicht ausreicht, um sie zu zeitigen, und der hereinbrechende Winter sie noch in der Eischale überrascht. In solchem Falle erliegen sie der Kälte selbstverständlich weit leichter als die Alten, welche, wenn sie sich nicht tief genug eingegraben haben, durch den Frost oft sehr gefährdet werden. Die glücklich ausgeschlüpften Jungen vergraben sich gleichzeitig mit den Alten, in Pennsylvanien bereits Mitte Oktober, um gegen den zwanzigsten April wieder zu erscheinen. Ihre Winterherbergen werden stets mit Geschick gewählt, nämlich immer in lockerem Boden und auf einer den Nordwinden nicht ausgesetzten Stelle gegraben.

Mühlenberg erzählt, daß die Dosenschildkröte auch den Ratten und Schlangen nachstelle, deshalb häufig gefangen gehalten und in Keller gesperrt werde, hier auch sehr nützlich sich erweise. Sie erhasche diese Thiere, klemme sie zwischen Rücken- und Brustpanzer und quetsche sie zu [50] Tode, um sie dann in aller Behaglichkeit zu fressen: die Erzählung beweist nichts weiter, als daß man dem guten Manne ein Kindermärchen aufgebunden hat. Wie es sich thatsächlich verhält, erfuhr Kay, als er eine Dosenschildkröte in seinen Keller setzte, wohl um zu erkunden, ob die allgemein verbreitete Meinung, welcher Mühlenberg Worte geliehen, begründet sei oder nicht: er fand, daß seine Schildkröte von den Ratten aufgefressen worden war. Dagegen ist es wohl begründet, daß sie sich als Hausgenossin durch Aufzehrung von Gewürm und Ungeziefer Verdienste erwirbt und deshalb gern in Gefangenschaft gehalten wird. Hier verliert sie ihre ursprüngliche Schüchternheit und wird schließlich so zahm, daß sie aus der Hand frißt. Sie nimmt verschiedenartige Nahrung an, namentlich Pilze, Salat, Kartoffeln, Obst, Brod, Kerbthiere und Fleisch. Eine Gefangene, welche Reichenbach hielt, zeigte sonderbaren Widerwillen gegen eine griechische Schildkröte, mit welcher sie zusammenlebte. »Während ich ruhig arbeitete, hörte ich oftmals ein Klopfen, wie die Schläge eines kleinen Hammers, ohne sogleich die Ursache entdecken zu können. Ich bemerkte endlich, daß die kleine Dosenschildkröte die große griechische angriff, mit einer gewissen Wuth auf sie losschritt, in der Nähe sich so aufstellte, daß sie auf die Mitte des Seitenrandes der Gegnerin zusteuerte, hier angelangt, den Kopf einzog, auf den Vorderbeinen sich emporhob und aus der Entfernung von etwa zwei Centimeter nunmehr in der Weise, wie die römischen Mauerbrecher mit dem Vordertheile ihres Schildes auf den Mittelpunkt des Seitenrandes jener losstieß und ihre Stöße zehn- bis zwölfmal wiederholte. Dieses anziehende Schauspiel wiederholte sich tagtäglich, und viele meiner Freunde haben es mit angesehen, bis die kleine, vielleicht aus Aerger über die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen, starb.«

Gegen Eintritt des Winters muß man auch den Dosenschildkröten Gelegenheit geben, sich in das Erdreich eingraben zu können; in dieser Weise überwintert man sie am sichersten.


*


Von den meisten Forschern werden die Landschildkröten mit flachgewölbtem Rückenschilde und kurzen Schwimmfüßen in einer besonderen Unterfamilie vereinigt, obwohl sich die Trennung von den nur auf dem Lande lebenden Arten der Familie nicht durchführen läßt. Dagegen bietet die Lebensweise der sogenannten Sumpfschildkröten so viel übereinstimmendes, daß den nunmehr folgenden Sippen eine allgemeine Schilderung vorausgehen mag.

»Wer die Schildkröten in ihrer Mannigfaltigkeit studiren und sie täglich im Freien beobachten will«, sagt Weinland, »muß Nordamerika besuchen, das Schildkrötenland der Erde, wo sie in etwa zwei Dutzend verschiedenen Arten Teiche und Flüsse, Wald und Thal beleben, und wo der Kundige ihr Aussterben noch lange nicht zu befürchten hat.

Wenn der europäische Naturforscher dort etwa in dem Deutschland so ähnlichen Neuengland an einem warmen Sommernachmittage einen Spaziergang durch die schöne Landschaft macht, so wird er umsonst nach den Eidechsen spähen, welche in Deutschland an jedem warmen Raine zu seinen Füßen rascheln, wird er keine Blindschleichen entdecken, und wenn er noch so viel Steine umkehren sollte; führt ihn aber sein Weg zu einem kleinen See, zu einem langsam fließenden Wiesenbache, so findet er da plötzlich die Hülle und Fülle für seine Wißbegierde. Was ist wohl das eigenthümliche, kreisrunde, thalergroße, braune Geschöpf, welches auf jenem Teichrosenblatte sitzt? Er tritt schnell näher; aber wie ein Blitz ist es hinab von dem schwimmenden Blatte in das kühle Wasser. Sehnsüchtig verfolgt er es mit seinen Blicken und gewahrt endlich ein niedliches Schildkrötchen, welches auf dem Grunde hurtig dahin schreitet und im nächsten Augenblicke im Schlamme oder unter Wasserpflanzen sich verbirgt. Wohl mag es eine Stunde währen, bevor es wieder zum Vorscheine kommt, um zu athmen, und unser Naturforscher muß, wie der Jäger auf dem Anstande, jede Bewegung, jedes Geräusch vermeiden. Da sieht er endlich hier und dort ein Köpfchen aus dem Wasserspiegel hervortauchen; lebhaft glänzen die beiden klugen, schwarzen Aeuglein, und langsam rudert das Thier, fast ohne das Wasser zu kräuseln, ans Land heran und [51] eben auf die Stelle zu, wo sein eifriger Beobachter sitzt: denn alle seelisch niedrig stehenden Thiere erkennen die Gegenwart eines Menschen oder eines anderen belebten Wesens nur an dessen Bewegungen. Eine Schildkröte würde im Freien vom Wasser aus ebenso leicht auf die dargebotene Hand steigen als auf den Stein oder die Erde daneben, vorausgesetzt, daß man sich vollkommen ruhig hält. Soll der Forscher zugreifen? Gewiß, denn ein etwaiger Biß kann nicht viel schaden. Freudig hält er das zappelnde Thierchen in seiner Hand, eilt auch bald mit seiner Beute nach Haus und zeigt dem ersten amerikanischen Freunde, dem er begegnet, seinen glücklichen Fund. Wenn Dich dies befriedigen kann, sagt der Yankee lächelnd, so kannst Du tausende haben.«

In der That, Amerika ist das Land der Schildkröten; aber auch Asien ist reich an ihnen und Afrika wenigstens nicht arm. Da, wo es in warmen Ländern Wasser gibt, fehlen sie nicht.

Alle Sumpfschildkröten leben nur in feuchten Gegenden, die meisten im Wasser der langsam fließenden Flüsse, der Teiche und Seen; im Meere hat man sie, so viel mir bekannt, noch niemals beobachtet. Sie dürfen als trefflich begabte Wasserthiere bezeichnet werden. Ihr Gang auf festem Lande ist unbeholfen und langsam, obschon bedeutend schneller als der aller eigentlichen Landschildkröten, ihre Bewegung im Schwimmen dagegen ungemein rasch und auffallend gewandt. Man sieht sie ruhig auf der Oberfläche des Wassers liegen oder umherschwimmen, beim geringsten, verdächtig erscheinenden Geräusche aber blitzschnell in die Tiefe tauchen, um in demselben Augenblicke im Schlamme oder unter Wurzeln sich zu verbergen. »Sie scheinen es«, sagt C. Müller, »eingelernt zu haben, sich unsichtbar zu machen. Manchmal fand ich die Ufer von Bächen oder Teichen, wie auch die geringste Hervorragung in denselben mit den gemeineren amerikanischen Schildkröten sozusagen bedeckt, und sie schienen sich sorglos zu sonnen; sobald man sich aber so nahe geschlichen hatte, um danach zu greifen, verschwanden sie lautlos, und nur bei ganz klarem Wasser mit lichtem schlammigem Grunde konnte man sie dann noch erhaschen: denn in der Regel gruben sie sich im Augenblicke ein, und thaten dies, Dank der Kraft und Geschicklichkeit ihrer Beine, mit großer Leichtigkeit.« Bei ihrer Jagd entfalten sie eine Schwimmfähigkeit, welche in Erstaunen setzt. Sie nähren sich hauptsächlich von thierischen Stoffen und zwar von kleineren Säugethieren, Vögeln, Kriechthieren, Lurchen, Fischen und wirbellosen Thieren, nehmen wahrscheinlich auch, so lange sie thierische Beute gewinnen können, Pflanzenstoffe nicht an, ziehen wenigstens in der Gefangenschaft Fleisch im weitesten Sinne Kartoffeln oder Brod entschieden vor. Stundenlang schwimmen sie auf der Oberfläche des Wassers, die Augen nach unten gerichtet, einem nach Beute suchenden Adler vergleichbar, und forgfältig suchen sie den unter ihnen liegenden Grund des Gewässers ab. Erspähen sie eine Beute, so lassen sie einige Luftblasen aufsteigen, beschleunigen ihr Rudern und sinken zur Tiefe hinab, um gierig nach dem sie verlockenden Bissen zu schnappen, welcher, einmal mit den scharfen, niemals nachlassenden Kiefern gepackt, einen Augenblick später mit einem kräftigen Rucke des nach vorn jählings sich ausstreckenden Kopfes verschlungen wird. So beobachtete Fischer angefangenen Gehafien, und man darf wohl annehmen, daß andere Arten ebenso verfahren werden. Einzelne sind wahrhaft gefährliche Raubthiere, welche sich nicht bloß auf kleinere Beute beschränken, sondern selbst an Vögel von der Größe einer Hausente wagen oder, gereizt, ohne Bedenken sogar den Menschen angreifen und unter Umständen gefährlich verwunden. Tristram erfuhr zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß afrikanische Sumpfschildkröten von ihm erlegte oder verwundete Schwimmvögel in die Tiefe zogen, auch die einmal gepackte Beute nicht wieder losließen, ja, an größeren Vögeln so fest sich einbissen, daß man sie mit letzteren aus dem Wasser ziehen konnte. Ihnen und den Purpurhühnern schreibt genannter Forscher die Plünderung der Nester und Zerstörung der Bruten zu, welche man in allen Seen und Sümpfen Algeriens so oft bemerkt. Unter den Fischen hausen sie noch weit ärger als unter den Vögeln, und überall, wo jene bereits Werth erlangt haben, benachtheiligen sie den Menschen in nicht unempfindlicher Weise.

Mit ihrer Beweglichkeit und Raubsucht steht, wie leicht erklärlich, ihr geistiges Wesen im Einklange. Ihre Sinnesfähigkeiten scheinen weit schärfer entwickelt zu sein, als es bei den Landschildkröten [52] der Fall ist, und scheint ihr Verstand den der letztgenannten in jeder Hinsicht zu übertreffen. Sie merken es sehr wohl, wenn sie beunruhigt werden, und einzelne offenbaren eine List und Vorsicht, welche man ihnen gewiß nicht zutrauen möchte, wählen sich die am günstigsten gelegenen Schlupfwinkel und beachten klüglich gesammelte Erfahrungen. In der Gefangenschaft werden sie eher zahm als alle übrigen Schildkröten und lernen ihren Pfleger wirklich, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade kennen: sie gewöhnen sich an den Umgang mit dem Menschen, ohne jedoch den einzelnen zu unterscheiden.

Bei herannahendem Winter graben sie sich ziemlich tief in den Boden ein und verbringen hier die ungünstige Jahreszeit in einem todähnlichen Zustande. Dasselbe thun sie in den Gleicherländern, da wo die Dürre ihnen ihre Wohngewässer zeitweilig austrocknet, während der dürren, winterlichen Jahreszeit. Müller sagt, daß sie an einzelnen Flüssen Nordamerikas die Ufer förmlich unterhöhlen. »Darum sind auch diese Winterlager leicht zu finden; denn es sieht aus, als ob eine Herde Schweine an solchen Stellen gewühlt habe.« Im Norden Amerikas kommen sie bei einem nicht zu spät eintretenden Frühjahre einzeln schon im April oder doch anfangs Mai aus ihrer Winterherberge wieder zum Vorscheine und beginnen dann ihr Sommerleben, zunächst das Fortpflanzungsgeschäft.

Die Begattung dauert bei ihnen tagelang, und während der Dauer derselben sind sie für alles andere wie abgestorben; ihre gewöhnliche Vorsicht und Schüchternheit verläßt sie gänzlich. »Ich habe«, bemerkt Müller, »die gemalte Sumpfschildkröte Amerikas während der Begattung auf der Oberfläche des Wassers schwimmend gefunden und sie mittels eines Netzes leicht herausfischen können, da sie sich nicht im geringsten stören ließ.« Sie hängen und halten, mit den Brustschildern gegen einander gekehrt und mit den Beinen umklammert, so fest zusammen, daß ziemlich bedeutende Kraft angewendet werden muß, um sie auseinander zu reißen. Kurze Zeit später gräbt das Weibchen Löcher in die Erde oder in den Sand und legt in diese ihre sechs bis acht Eier ab.

Diese Eier sind für manche Völkerschaften von erheblichem Nutzen, wie überhaupt die Bedeutung der Sumpf- und Flußschildkröten für den menschlichen Haushalt nicht unterschätzt werden darf. Bates erzählt, daß er in Ega, am Amazonenstrome, fast das ganze Jahr hindurch von Schildkröten gelebt und sie sehr satt bekommen habe, zuletzt ihr Fleisch gar nicht mehr riechen konnte und deshalb zuweilen genöthigt war, wirklichen Hunger zu leiden. Jeder Hauseigenthümer besitzt dort einen kleinen Teich, in welchem die gefangenen Thiere bis zur Zeit des Mangels, d.h. bis zum Eintritt der Regenzeit gehalten werden, und alle diejenigen, welche einige Indianer in ihren Diensten haben, senden diese, wenn das Wasser niedrig ist, zur Jagd aus, um ihren Teich wieder zu besetzen; denn es hält, ungeachtet der erstaunlichen Menge von Schildkröten, schwer, sie in den nassen Monaten für Geld zu erwerben. Die Leichtigkeit, sie zu finden und zu fangen, steht nämlich genau im Verhältnisse zum höheren oder tieferen Wasserstande. Sinkt der Strom weniger als sonst, so sind sie selten, fällt er sehr, so werden sie massenhaft gefangen, weil dann alle Lachen und Sümpfe in den Wäldern von ihnen wimmeln. Zu ihrer Jagd verwendet man Netze und Pfeile, deren Spitze beim Eindringen sich vom Schafte trennt, mit diesem aber durch eine lange Schnur verbunden bleibt. Der Schaft schwimmt auf dem Wasser, wird von dem herbeirudernden Jäger aufgenommen und angezogen, bis das Thier nahe zur Oberfläche emporsteigt; dann schießt man diesem unter Umständen noch einen zweiten Pfeil in den Leib und schafft es nunmehr ans Land. Die eingeborenen Frauen verstehen Schildkrötenfleisch auf verschiedene Weise, aber vortrefflich zuzubereiten. Es ist sehr zart, schmackhaft und gedeihlich, übersättigt jedoch bald und widersteht schließlich jedem Europäer. Nach Versicherung desselben Berichterstatters kann man nur eine Art und zwar die größte von denen, welche im Amazonenstrome vorkommen, längere Zeit in der Gefangenschaft halten; die kleineren, weit schmackhafteren sollen den Verlust ihrer Freiheit in der Regel nur wenige Tage ertragen. Für die nordamerikanischen Sumpfschildkröten gilt diese Angabe nicht; sie halten sehr gut im engeren Raume aus, vorausgesetzt natürlich, daß sie vernünftig behandelt werden. Einzelne von ihnen sollen [53] vierzig und mehr Jahre in der Gefangenschaft gelebt haben. Auch auf Ceylon hält man, laut Tennent, Sumpfschildkröten gern im Inneren des Hauses, weil man glaubt, daß sie dasselbe von allerlei Ungeziefer reinigen, und auch sie leben, wenn man ihnen Wasser und etwas Fleisch gibt, jahrelang, anscheinend bei bestem Wohlsein in der Gefangenschaft.

Die meisten Thierpfleger behandeln die verhältnismäßig sehr unempfindlichen Sumpfschildkröten gewöhnlich insofern falsch, als sie denselben während des Winters nicht die nöthige Wärme gewähren. Diejenigen, welche man im Freien hält, graben sich selbst in den Schlamm ein und bilden sich dadurch eine ihnen zusagende Winterherberge; während hingegen die, welche im Zimmer leben müssen, nur in gleichmäßig erhaltener Wärme einen Ersatz für diese ihnen fehlende Schlafkammer finden können. »Seit mehreren Jahren«, schreibt Effeldt, ein eifriger und kenntnisreicher Liebhaber, »bekam ich nordamerikanische Sumpfschildkröten, aber sie starben regelmäßig im Winter. Die wenigen, welche diese Zeit überlebten, fraßen währenddem nichts und magerten dabei so bedeutend ab, daß sie im Frühjahr sicher zu Grunde gingen. Endlich kam ich auf den Einfall, das Wasser auch im Winter lauwarm zu halten, weil ich beobachtet hatte, daß meine Schildkröten selbst im Sommer nur dann Nahrung zu sich nahmen, wenn das Wasser lauwarm war. Nun ließ ich einen Ofen setzen, auf welchem ich meine Gefangenen unterbringen konnte, und das Ergebnis hiervon war so günstig, daß alle meine Sumpfschildkröten, von der kleinsten bis zur größten, nicht allein jeden Tag fraßen, sondern sich um ihr Futter rissen, so daß ich die größten Arten allein füttern mußte. Bald wurden sie so zahm, daß sie, wenn ich mich dem Gefäße näherte, die Köpfe in die Höhe streckten und sich aus der Hand mit rohem Fleische füttern ließen.« Dasselbe Verfahren beobachten neuerdings alle achtsamen Liebhaber, welche gefangene Schildkröten am Leben erhalten wollen. Wärme ist und bleibt die hauptsächlichste Bedingung für glückliches Gedeihen unserer Thiere, und man kann in dieser Beziehung kaum zu viel, leicht aber zu wenig thun. Junge Sumpfschildkröten erzieht man, laut Fischer, am sichersten, wenn man sie in möglichst hellen Behältern, in Glasgefäßen, unterbringt, auch in diesen das Wasser lauwarm erhält und den Thieren, welche rohes Fleisch oder Fische noch nicht verdauen können, zunächst kleine Krebse, Weichthiere, Würmer, Frosch- und Fischlaich, Ameisenpuppen und dergleichen reicht, erst später zur Fütterung mit Wasserasseln, Flohkrebsen, Kaulquappen und Fischchen übergeht und die halb erwachsenen endlich an Fleisch gewöhnt. Fische werden, nach meinen Erfahrungen, auch von erwachsenen Sumpfschildkröten dem Fleische von Vögeln und Säugethieren vorgezogen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 48-54.
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