Brücke, Ernst Wilhelm Ritter von

Brücke, Ernst Wilhelm Ritter von
Brücke, Ernst Wilhelm Ritter von

[258] Brücke, Ernst Wilhelm Ritter von, geb. zu Berlin 6. Juni 1819 als Sohn des Porträt- und Historienmalers Johann Gottfried B. Er studierte seit 1838 an den Universitäten zu Berlin und Heidelberg Medizin. Im November 1842 wurde er zum Dr. med. promoviert. Zu jener Zeit mussten nach den Gesetzen, welche an der Berliner Universität Geltung hatten, mindestens zwei Jahre verstreichen zwischen der Erlangung der Doktorwürde und der Habilitierung als Privatdozent, so dass B. erst am Ende des Jahres 1844 Privatdozent an der Berliner Universität wurde, und zwar für Physiologie. Inzwischen war B. schon im Herbst 1843 Assistent an dem unter Johannes Müller's Leitung stehenden Museum für vergleichende Anatomie geworden und versah gleichzeitig de facto, wenn auch nicht amtlich hierzu bestellt, die Dienste eines Prosektors, da der damalige Prosektor Peters sich zwecks einer wissenschaftlichen Reise auf Urlaub befand. Im Herbst 1846 erhielt B. zu seiner Assistentenstelle noch die eines Lehrers für Anatomie an der Berliner Akademie der bildenden Künste. Im Frühling 1848[258] wurde er als Professor extraordinarius für Physiologie an Stelle Burdach's nach. Königsberg berufen, und im folgenden Jahre als ordentlicher Professor der Physiologie und höheren (mikroskopischen) Anatomie an die Wiener Universität, woselbst er seit Beginn des Sommer-Semesters 1849 ununterbrochen als Professor der Physiologie und als Leiter des physiologischen Institutes bis zu seiner nach dem österr. Universitätsgesetz erforderlichen Altersemeritierung 1890 thätig war. Noch im Jahre 1849 wurde er zum wirklichen Mitgliede der neu gegründeten Wiener Akademie der Wissenschaften ernannt und später noch vielfach ausgezeichnet; so unter anderem durch Verleihung der österreichischen Hofratswürde, durch Ernennung zum lebenslänglichen Mitgliede des österreichischen Herrenhauses (1879), durch die Rektorswürde, ferner, nebst vielen fremden Orden, durch Verleihung des österreichischen Franz Joseph- und später des Leopolds-Ordens, welch' letzterer seiner und seiner Familie Erhebung in den Ritter stand mit sich brachte, durch Verleihung des preussischen Ordens pour le mérite u.s.w., durch die Mitgliedschaft der Berliner, der Münchener und mehrerer anderer Akademien, durch Ehrendoktorate u.s.w. B. hat nicht, wie die meisten neueren Physiologen, ein spezielles Kapitel der Physiologie ausschliesslich oder mit besonderer Vorliebe bearbeitet, sondern auf allen Gebieten geforscht, in der Morphologie, in der physiologischen Chemie, in der physikalischen und physiologischen Optik, in der Nerven- und in der Muskel-Physiologie, in der Physiologie der Sprachorgane, in der des Blutes und der Verdauung u.s.w. und die Resultate dieser Forschungen in einigen Büchern und in zahlreichen grösseren und kleineren Abhandlungen niedergelegt. Von diesen letzteren erschienen die meisten bis 1849 in »Müller's Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin«[259] und von diesem Jahre an in den Denkschriften und Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Seine mikroskopischen Arbeiten sind u.a. bahnbrechend gewesen und massgebend geblieben für unsere Anschauungen über das Wesen der Zellen (»Elementar-Organismen«); seine optischen Arbeiten haben die Grundlage für die Erfindung des Augenspiegels abgegeben, welchen dann Helmholtz konstruierte und haben unsere Kenntnisse von den Verrichtungen des menschlichen Auges sehr wesentlich bereichert; und seine chemischen Arbeiten haben nebst vielen anderem auch in das noch so dunkle Gebiet der Eiweiss-Substanzen wenigstens einige Streiflichter fallen lassen. In seinem Werke »Grundzüge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute für Linguisten und Taubstummenlehrer« (Wien 1856, 2. Auflage 1876) hat er eine erschöpfende Analyse der in europäischen und orientalischen Sprachen vorkommenden Laute in Beziehung auf die Art, wie sie hervorgebracht werden, gegeben und hat dann in einem anderen Werke »Neue Methode der phonetischen Transscription« (Wien 1863) die Idee praktisch durchgeführt, die Laute der Sprache in der Schrift und im Druck nicht durch willkürliche, rein konventionelle Symbole darzustellen, die untereinander, und mit dem, was sie bedeuten sollen, in gar keinem Zusammenhange stehen, sondern sie vielmehr durch Zeichen auszudrücken, welche aus Elementen bestehen, deren jedes eine Beziehung auf eines der Sprechorgane hat, so dass im ganzen Zeichen die Stelle der Artikulation, die Art derselben, der Zustand der Stimmritze u.s.w. repräsentiert ist, und jeder, der nur die Bedeutung der Elementarzeichen kennt, eine nach dieser phonetischen Transskription niedergeschriebene Wortfolge in einer Sprache, die er nie gehört hat, vollkommen richtig auszusprechen imstande ist – eine Errungenschaft von grosser[260] Wichtigkeit für Linguisten und Orthoepisten. Von grösseren Werken hat B. ferner veröffentlicht eine »Physiologie der Farben für die Zwecke der Kunstgewerbe bearbeitet« (Leipzig 1866) – »Die physiologischen Grundlagen der neuhochdeutschen Verskunst« (Wien 1871) und »Bruchstücke aus der Theorie der bildenden Künste« (Leipzig 1877, Bd. XXVIII der Internationalen wissenschaftlichen Bibliothek). Im Jahre 1873 entschloss sich B., durch äussere Umstände dazu gedrängt, sein regelmässiges Hauptkollegium nachstenographieren zu lassen und es, mit geringfügigen Veränderungen, in Form eines zweibändigen Lehrbuches herauszugeben. Dasselbe führt den Titel: »Vorlesungen über Physiologie« (2 Bde., Wien 1873 bis 74; seitdem sind neuere Auflagen davon erschienen, die dritte 1881). Von seinen vielen kleineren Abhandlungen seien die folgenden genannt, nur um eine Vorstellung von der Vielseitigkeit B.'s zu geben: »Anatomische Beschreibung des menschlichen Augapfels« – »Untersuchungen über subjektive Farben« – »Vergleichende Bemerkungen über Farben und Farbenwechsel bei den Cephalopoden und bei den Chamäleonen« – »Über die Chylusgefässe und die Resorption des Chylus« – »Über den Dichroismus des Blutfarbstoffes« – »Über die Ursache der Gerinnung des Blutes« – »Über das Vorkommen von Zucker im Harn gesunder Menschen« – »Über den Verlauf der feinsten Gallengänge« – »Über das Verhalten lebender Muskeln gegen Borsäurelösungen« – »Über den Bau der roten Blutkörperchen« – »Über den Einfluss der Stromesdauer auf die elektrische Erregung der Muskeln« – »Über das Verhalten entnervter Muskeln gegen discontinuirliche elektrische Ströme« – »Über asymmetrische Strahlenbrechung im menschlichen Auge« – »Über die Peptontheorien und die Aufsaugung eiweissartiger Substanzen« – »Über die physiologische Bedeutung der theilweisen Zerlegung der Fette im Dünndarm« – »Über eine neue Methode, Dextrin und Glycogen aus thierischen Flüssigkeiten und Geweben abzuscheiden« – »Über einige Consequenzen aus der Young-Helmholtz'schen Theorie«. Nebst diesen, nur beispielsweise angeführten Arbeiten, sind noch äusserst zahlreiche Abhandlungen aus allen Gebieten der Physiologie, der reinen Physik[261] und Chemie, der Morphologie, ja selbst der Botanik von B. veröffentlicht worden und ausserdem noch mehrere Schriften nicht naturwissenschaftlichen, sondern ästhetischen Inhalts. Kurz vor B.'s am 7. Jan. 1892 an der Influenza erfolgtem Ableben erschien noch die Monographie: »Schönheit und Fehler der menschlichen Gestalt«.

Quelle:
Pagel: Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin, Wien 1901, Sp. 258-262.
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