[100] 425
Der also hinzog in den Kampf,
Nerañjarā die Au entlang
Unwendbar Schauung ausersah,
Erfinden mochte Sicherheit:
Ihm nahte Namuci, der Feind,
Mit mildem Worte hub er an:
»Bist abgemagert, mißgefärbt,
Das Sterben steht dir bald bevor,
Dem Tod verfallen tausendfach
Zu leben hast nur eine Wahl:
Wer lebt, ihm gelte Leben mehr,
Lebendig magst du Gutes tun!
428
Als Büßer wenn du pilgern gehst,
Dem Feuer wenn du Opfer bringst,
Erwirbst du reichlich dir Verdienst:
Was willst du also kämpfen erst?
Der Weg zum Kampfe, der ist schwer,
Begonnen schwer, gar schwer vollbracht«:
In solcher Weise Māro sang
Und blieb dem Auferwachten nah'.
[101] 430
Und Māro, der da also riet,
Ihn hat geredet an der Herr:
»Gesell der Trunknen, Böser du,
Um was du hier erschienen bist,
Auch noch so winzig ein Verdienst
Mir bieten, das bedarf es nicht:
Doch wo man nach Verdienst verlangt,
Da mag der Böse Lenker sein.
432
Vertrauen hab' ich, habe Mut,
Und Weisheit ist mir beigesellt:
Beharrlich da ich also bin,
Was fragst du nach dem Leben viel?
433
Die Flüsse, wie sie strömen hin,
Mag eher trocknen auf der Wind,
Als daß mir, der beharrlich bleibt,
Vertrocknen möchte hier das Blut.
434
Und wenn das Blut vertrocknet auch,
Und Schleim und Galle trocknen aus,
Und auch die Muskeln schwinden weg:
Beschwichtigt mehr nur wird das Herz,
Besonnen, mehr und mehr gewahr
Verbleib' ich, selber einig mir.
Bei mir, der also weilen will,
Erdulden mag die ärgste Qual,
Hofft nimmer auf Genuß das Herz:
Erspäh' sie, diese reine Spur.
[102] 436
Gelüste sind dein erstes Heer,
Das zweite Unmut ist genannt,
Das dritte Gier nach Speis' und Trank,
Das vierte wird geheißen Durst;
437
Das fünfte matte Müdigkeit,
Das sechste heißt man feige Furcht,
Das siebte, das ist Zweifelsucht,
Verstellung, Stumpfsinn achtes Heer:
438
Gewinn und Ruhm und Ehrenpreis
Und Ansehn, ungerecht erlangt,
Und Eigenliebe, Eigenlob,
Und Nächstentadel, Nächstenhaß.
439
So ruf' ich, Unhold, an dein Heer,
Des Bösen, das herbei sich wälzt:
Besiegen kann es nur der Held,
Als Sieger kosten Seligkeit.
Du da, so laß' es immer los:
Mein Leben, das veracht' ich gern;
Weit besser sterben doch im Kampf,
Als daß ich leben sollt' besiegt.
441
Hinabgesunken schwinden bald
Gar manche Büßer, Priester weg:
Die Fährte, die verstehn sie nicht,
Wo Starke schreiten, sicher gehn.
Den ganzen Heerbann nehm' ich wahr,
Gerüstet Māro, kampfbereit:
Zum Streit entgegen geh' ich ihm,
Er soll mich treffen nicht mehr hier.
[103] 443
Was keiner dir bezwingen kann,
Dein Heer, nicht Erde-, Himmelschar,
Das will ich weise schlagen ab,
Wie reifen Mango mit dem Stein.
444
Es muß mir folgen mein Gemüt,
Die Einsicht unverrückbar sein;
Will Reich um Reiche wandern durch,
In jedem auf so Jünger ziehn.
445
Beharrlich, unermüdlich dann
Vollbringen diese mein Gebot,
Entwinden deiner Willkür sich,
Entwunden wo sich keiner grämt.«
Der Feind:
»Durch sieben Jahre Schritt um Schritt
Dem Meister bin ich nachgefolgt
Und konnt' ihn doch beschleichen nicht,
Den Auferwachten, reich an Ruhm.
447
Den Kiesel, der wie Speck erblinkt,
Erspäht und pickt die Krähe wohl:
›Ob das nicht mürbe sei für mich,
Ob das nicht etwa Labe sei?‹
448
Wo keine Labung wird erlangt
Von dannen flattern sieht man sie:
Der Krähe gleich, die Stein versucht,
Verdrossen fliehn wir Gotamo.«
[104] 449
In Gram versunken stand er still,
Die Laute glitt ihm aus der Hand –
Und plötzlich war der wirre Geist
Am selben Ort verschwunden da.
Buchempfehlung
Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.
50 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro