[156] Vorgesang
In Wonneschimmer alle Dreißig droben selig,
Den Herrscher Sakko, hell die zugesellten Götter,
Frohlocken frei, fast überlaut um Lob zu singen:
Asito sah, der Seher, sie im Sonnenglanze.
Ersichtig solcher Götter Freude hoch im Himmel
Gar freundlich sprach empor der Seher so zu ihnen:
»Was läßt die Götterschar fast überschön erscheinen,
Frohlocken frei, warum im Kreise tanzen Reigen?
681
Als ehedem Unholden ihr entgegen zogt,
Euch Holden Sieg erschuft, Unholden Untergang,
Da war kein gleicher Jubel doch erschollen je:
Was Wunder blinkt euch, daß ihr Lichten also lacht?
Ein lustig Dröhnen, Singen, Klingen tönt herab,
Verschlungne Arme glitzern dort im Reigentanz:
Euch frag' ich, die um Merus Gipfel gern ihr schwebt,
Beschwichtigt mir den Zweifel doch, ihr Freunde, bald.«
[157] Die Götterschar:
»Erwachsam blitzt empor ein Kleinod ohne gleichen,
Erschienen in der Menschenwelt um Wohl zu wirken,
Im Sakyer Dorfe dort, im Lumbineyyer Lande:
Darum sind froh wir, überschön fast anzublicken.
Als aller Wesen erstes, höchstes Oberhaupt,
Als Menschenkönig, aller Völker Oberherr,
Begründen wird er einst am Seherstein das Reich,
Und rufen wie der Löwe stark, der Tiere Fürst.«
Die frohe Kunde hört' er wohl und zog dahin,
Suddhodanos Behausung mocht' er suchen auf;
Da saß der Seher nun, sprach an die Sakyer also:
»Wo ist der Knabe, daß auch ich ihn schauen kann?«
686
Den Knaben alsobald, an Glanze gleich dem Golde,
In Schmelzglut wann es gänzlich gargeläutert worden,
Erstrahlend immer strahlenreicher, reiner, lichter:
So brachten sie dem Seher dar das Kind, die Sakyer.
687
Er sah den Knaben wie die Feuerflamme funkeln,
Dem Herrn der Sterne gleich, wann hell er hoch dahinzieht,
Wie Sonne wolkenlos am Himmel herrscht im Herbste:
In Wonneschimmer war er selig da versunken.
An vielen Zacken tausendfach emporgewölbt
Ein Schirm von Wolken war erhoben in den Lüften,
An goldnen Stäben schwebten Wedel auf und nieder,
Und nicht ersah man doch bei Schirm und Wedel Wächter.
[158] 689
Da hat Asito hingesehn, der hehre Büßer:
Wie Goldgeschmeide lag das Kind auf lichter Decke,
Der weiße Schirm zu Häupten hoch erschienen war;
Entzückt im Herzen, hold erquickt, er nahm es auf.
690
Und als er nun den Sakyersproß in Händen hielt,
Der Zeichen Deuter, der die Male wohl gemerkt,
Mit hellem Geiste hub er so zu sprechen an:
»Der Größte wird er sein, Zweifüßer höchster Fürst.«
Doch daß er selber scheiden müsse dacht' er dann,
Sein Antlitz ward ihm trübe, und die Träne floß;
Die Sakyer sahn es, fragten was er weine da,
Ob nicht Verderben sei dem Knaben angedroht.
692
Und also achtend ihrer Sorge sprach der Seher:
»Nicht Unheil hab' ich an dem Knaben hier erkundet,
Und kein Verderben ist ihm künftig angedroht,
Ihm mangelt nichts, und hohen Mutes mögt ihr sein.
693
Die Bahn Erweckter wird vollenden dieser Knabe:
Er wird das rechte Reich mit rein geklärtem Auge
Begründen, vielem Volke Freund, Erbarmer sein,
Und weithin leiten wird er heilig seinen Wandel.
694
Mein Leben aber dauert nicht mehr lange nun,
Bevor die Zeit noch anbricht muß ich scheiden hin:
Die Lehre, die kein andrer lehrt, vernehm' ich nicht;
In Trauer also muß ich untergehn, untröstbar.«
695
Den Sakyern hat er reiche Freude so bereitet,
Ist aus dem Schlosse dann gezogen hin, der Büßer;
Besuchen mocht' er seiner Schwester Sohn barmherzig,
Die Lehre, die kein andrer lehrt, ihm zu verheißen.
[159] 696
»Vom Auferwachten wann dir einer wird erzählen,
Vollkommen wach geworden daß er höchstes Ziel zeigt,
Dahin dann ziehe, frei um selbst ihn auszuforschen:
Magst wandeln beim Erhabnen deinen Wandel heilig.«
Von ihm gewiesen, dem Asketen, mildgemut,
An jenen rein geklärten Seher künftighin,
Hat Nāḷako, der Schwestersohn, gar wohlbegabt,
Den Sieger noch erharrt, geduldig, sinnbezähmt.
698
Und als er hört vom Reiche, das der Sieger schuf,
Da eilt er hin, erblickt den Seherfürsten froh:
Um höchstes Denktum forscht er besten Denker aus,
Der Weisung, wie Asito einst geheißen, treu.
Nāḷako:
Geraten hat mir solches Wort
Asito, und ich rede nun,
Um frei zu fragen Gotamo,
Der alle Dinge hat erkannt.
700
Gelassen hab' ich Haus und Hof,
Als Mönch zu wandern ist mein Wunsch:
O Denker, zeig' es du mir an,
Das Denktum, dieses letzte Ziel.
[160] Der Herr:
Das Denktum will ich weisen dir,
Das schwer man findet, schwer gewinnt,
Ich will es gern dir künden an:
Du sei gefaßt und unverzagt.
In gleicher Mitte soll man gehn,
Nicht tadeln, danken nicht im Dorf,
Nicht Ärger dulden im Gemüt,
Beschwichtigt, ohne Überschwall.
Geflüster hört man, manchen Laut,
Wie Feuer, wann es knisternd flammt:
Es sehn die Frau'n dem Denker nach,
Doch keine kann ihn ausersehn.
704
Er weiß von keiner Paarung mehr,
Gemeiner, feiner Lust entwöhnt:
Unwendbar, unverlockbar fern,
Ob zart, ob grob das Wesen sei.
›Wie ich bin sind es jene dort,
Wie jene sind bin ich es da‹:
Sich selber wer als Gleichnis nimmt,
Nicht mag er morden, töten nicht.
Entknechtet, ohne Gnüge, Lust,
Woran der Erdensohn sich knüpft,
Mit scharfem Blicke soll er ziehn,
Dahin, aus dieser Hölle fort.
[161] 707
Bei leichtem Leibe, karger Kost,
Vergnüglich, ungelüstig bald:
Genügen weil er nirgend nährt,
Genugsam weilt er, ohne Wunsch.
708
Zu Mittag, nach dem Bettelmahl,
Zum Waldgelände kehrt er hin:
An Baumes Wurzeln wählt er Rast
Und Ruhesitz, der Denker, aus.
In Schauung innig eingesenkt
Am Waldgelände weilt er gern,
Mag schauen also, baumbeschirmt,
Bei sich allein beseligt sein.
Und wann der Tag dann dämmert auf,
Zum Dorfe wird hinab er gehn;
Kein Zuruf macht ihn zugeneigt,
Vom Dorfe wann er weiterzieht.
Der Denker, geht er durch das Dorf,
Von Haus zu Hause steht er still,
Auf Atzung wartend, ohne Wort,
Läßt hören keiner Bitte Laut.
›Empfangen hab' ich was mir taugt‹,
Und ›Also ist mir nicht gedient‹:
Um beides kommt er stark herum,
Gleichwie man Balken übersteigt.
Den Napf im Arme geht er fort,
Kein Narr, als Narr zu gelten doch,
Geringe Gabe sei ihm recht,
Kein Geber soll mißachtet sein.
[162] Nāḷako:
Die Fülle reicher Regelkunst
Erfind' ich beim Asketen nicht,
Nicht kommt man zwiefach an sein Ziel:
Hier ist es einfach ausgedacht.
Zerfahren wer da nimmer wird,
Als Mönch die Strömung hat gekreuzt,
Wer Tat und Untat abgestreift,
Empfinden kann er keine Pein.
Der Herr:
716
Das Denktum weiter weis' ich dir:
Wie Messerschneide werde scharf,
Die Zunge halt' am Gaumen fest,
Am Leibe sei du wohlgewahrt.
717
Unangelegen sei der Sinn,
Und nicht ersinnen soll man viel;
Unruchbar wer entrodet geht
Vollendet heilig seinen Gang.
Alleinig weilen wird er gern,
Und auch Asketen nahegehn;
Allein sein heißt ein Denker sein,
Allein nur ist ihm wieder wohl.
Der Weisen Stille wer versteht,
Wo Schauung waltet, keine Sucht,
In Demut ihnen zugekehrt
Erwachsen mag er, wer mir folgt.
[163] 720
Das lernet von der Flüsse Flut,
Vom Bergesbach, vom Stufensturz:
Geschwätzig wellt ihr Wasserschwall –
Verschwiegen wellt der Ozean.
Wo Mangel ist ist Lärm erzeugt,
Was voll ist ist in sich gefaßt;
Halbleerem Kruge gleicht der Tor,
Dem tiefen See der kluge Mann.
722
Wer vielberedt ist als Asket,
Gar wohl den Sinn zu deuten weiß:
Als Kenner legt er dar das Wort,
Als Kenner ist er vielberedt.
Und wer als Kenner in sich geht,
Als Kenner wenig Worte spricht:
Als Denker ziemt ihm Denkerpreis,
Als Denker gilt ihm Denkerziel.
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