Provence [1]

[652] Provence (spr. Prowangß), ehemals Provinz Frankreichs, zwischen Piemont, dem Mittelmeere. Languedoc, Dauphiné u. Venaissin; theilte sich in die Ober-P. (nördlich) u. Nieder-P. (südlich), hiezu kamen die Stadt u. Gebiet Avignon mit Venaissin u. die Grafschaft Orange. Die P. ist jetzt in die Departements Nieder. Alpen, Var u. Rhonemündungen getheilt, ein kleiner Theil ist bei Vaucluse. – Die P. war ursprünglich von Salyern, einem ligurischen Volksstamme, bewohnt. Phokäische Ansiedler bauten an der Küste Marseille u. mehre Städte, lebten aber mit den Urbewohnern in steter Fehde, bis die Römer ihnen zu Hülfe kamen u. 125 v. Chr. die Salyer besiegten u. unter. warfen. Nach u. nach wurde der Landstrich zur römischen Provinz, in welchem Sinne es den Namen Provincia führte. Doch war die damalige Provincia weit größer als die jetzige P. u. enthielt außer der eigentlichen P. noch Languedoc, die Dauphiné u. Savoyen bis Genua hin. Nach der Zerstörung des Weströmischen Reiches durch Odoaker (476) bemächtigte sich Eurich, König der Westgothen, der P. u. besaß dieselbe bis er von Chlodwig getödtet wurde. Die Westgothen schenkten nun die P. dem Ostgothenkönig Theoderich, welcher sie seiner Tochter Amalswintha u. seinem Enkel Athalrich hinterließ. Nach deren Tode überließen die Ostgothen, von Belisar gedrängt, die P. um 545 den Frankenkönigen. Unter der Regierung der Hausmaier riß Unordnung auch hier ein, u. die P. wurde zum Theil die Beute der Sarazenen, bis Karl Martel deren Herrschaft ein Ziel setzte. Unter den Karolingern besaß Kaiser Lothar die P., u. sein Sohn Karl begann 855 seine Herrschaft mit dem Titel als König der P.; ihm folgten 863 sein Sohn Ludwig, ohne den Titel als König zu führen; diesem sein Schwiegersohn Boso, Herzog der Lombardei, als Graf von P., welcher sich unter Ludwig dem Stammler unabhängig machte u. sich nach dessen Tode 879 zum König erklärte. Nach Bosos Tode erhielt dessen Sohn Ludwig die P.; aber während seiner Abwesenheit in Italien hatte Hugo, Graf von Arles, sich der P. u. Burgunds bemächtigt, nahm beide nach Ludwigs Tode völlig in Besitz u. wurde 926 zum König von Italien gekrönt. Ludwigs Sohne, Karl. Constantin, gab er nur Vienne, einem burgundischen Großen, Boso I., welcher sich mit seiner Enkelin Bertha vermählt hatte, überließ er als Grafen von P. das ganze Transjuranische Burgund u. behielt sich nur das Land zwischen der Rhone, Durance, den Alpen u. dem Mittelmeere, welches von da an P. heißt, vor; 930 überließ er ihm noch die nördlicher gelegenen Länder zwischen Rhone, Alpen u. Rhein. Bosos I. Todesjahr ist ungewiß; 948 kommt Boso II., Sohn Rotbolds (Ratbods), als Graf von P. vor, ernannt von dem König Konrad von Arles. Diesem folgte gegen 968 sein Sohn Wilhelm I., welcher die Sarazenen aus dem letzten Hafen Faxinel vertrieb. Dessen Nachfolger waren 992 sein Bruder Rotbold (Ratbod), 1008 Wilhelm II., Sohn Wilhelms I.; diesem folgten 1018 seine beiden Söhne Gottfried I. u. Bertrand I. u. ihr Cousin Wilhelm III., Sohn Rotbolds, jene unter der Vormundschaft ihrer Mutter Gerberge u. Großmutter Adelaide. Unter ihnen wurde P. erbliche Grafschaft. Wilhelm III. st. 1037, u. da er keine Kinder hatte, so erbte die Hälfte der P. seine Schwester Emma, Gemahlin des Grafen Wilhelm Taillefer von Toulouse. Bertrand I. st. 1054, u. seine Söhne Wilhelm Bertrand II. u. Gottfried II. theilten mit ihrem Oheim Gottfried I. alle Rechte, welche sie einzeln über die eine ungetheilte Hälfte der P. hatten, u. dieser Theil gab dann den Grafen von Forcalquier den Ursprung. Seit dieser Theilung hieß Gottfried I. Graf von Arles od. Nieder-P. u. st. 1063; ihm folgte sein Sohn Bertrand II. nur in der Hälfte von P., da Douce, die Tochter seiner Schwester Gerberge u. des Vicomten Gilbert von Gevaudan, vermählt mit dem Grafen Raimund Berengar II. von Barcelona, die andere Hälfte erhielt, doch nahm er 1065 den Titel als Graf der ganzen P. an. Da er zwischen 1090 u. 1093 starb, mit Hinterlassung blos einer natürlichen Tochter Cäcilie, so übernahm seine Mutter Stephanie die Regierung, u. dieser folgte um 1100 ihre Tochter Gerberge u. deren Gemahl Gilbert von Gevaudan; Gerberge führte nach dem Tode ihres Gemahls 1108 die Regierung fort bis 1112, wo sie dieselbe ihrer Tochter Douce übergab, welche ihrem Gemahl Raimund Berengar I. alle Rechte auf die P. abtrat. Dieser hatte Streitigkeiten über die P. mit dem Grafen Alfons Jordan von Toulouse u. theilte 1125 mit diesem; Ober-P. (das Land zwischen der Isere, den Alpen, der Durance u. der Rhone) kam als Marquisat von P. an Toulouse; Nieder-P. kam an Barcelona u. hieß später Grafschaft Arles od. P. Raimund Berengar st. 1130; von seinen beiden Söhnen erhielt der jüngere, Berengar Raimund, die P., der ältere, Raimund Berengar, Graf von Barcelona, erheirathete die Krone von Aragon. Als Berengar Raimund 1144 ermordet wurde, folgte ihm sein Sohn Raimund Berengar II. in der P. u. diesem 1160 seine Erbtochter Douce II. Diese war mit dem Grafen Raimund von Toulouse verlobt, welcher nach ihres Vaters Tode sogleich die P. besetzte, aber nicht sie, sondern ihre Mutter Richilde heirathete. Ihn vertrieb 1167 Alfons II., König von Aragon, der Cousin Douces, u. handelte als Herr der P., ja er gab 1168 die P. seinem Bruder Raimund Berengar III. Douce st. 1172. Nach langem Streit zwischen dem König u. dem Grafen von Toulouse entsagte in dem Friedensvertrag auf der Insel Gernica vom 18. April 1176 Letzter seinen Rechten auf die P. Als Raimund Berengar 1181 ermordet worden war, setzte der[652] König seinen anderen Bruder Sancho in P. ein, rief ihn aber 1185 zurück u. gab die P. seinem Sohn Alfons II.; diesem folgte 1209 sein Sohn Raimund Berengar IV. u. diesem 1245 seine Tochter Beatrix, welche Karl von Anjou, Bruder des Königs von Frankreich, später König von Sicilien, heirathete. Margarethe, ihre ältere Schwester, vermählt mit Ludwig IX. von Frankreich, gab aber ihre Ansprüche auf die P. nicht auf; Beide setzten den Kaiser Rudolf von Habsburg zum Schiedsrichter ein, welcher 1279 Beatrix im Besitz der P. bestätigte, deren Erben, Karl II. bis 1309, Robert bis 1343 u. Johanne, Königin von Neapel, dieses Land bis 1382 besaßen. Johanne setzte Ludwig I., Herzog von Anjou, Sohn des Königs Johann von Frankreich, als ihren Adoptivsohn, mit Übergehung der Prinzen ihres Hauses, zum Erben ihrer sämmtlichen Besitzungen ein; dieser verlor jedoch bald Neapel u. behielt nur die P. Seine Nachfolger waren 1384 sein Sohn Ludwig II., 1417 Ludwig III. u. 1434 René der Gute. Letzter wollte statt seiner Tochter Jolanthe u. seines Enkels Karl von Anjou den Herzog Karl den Kühnen von Burgund zum Erben einsetzen, aber König Ludwig XI. von Frankreich bewirkte, daß auf René 1480 Karl als Karl III. folgte. Weil er kinderlos war, setzte er wieder Karl VIII. zum Erben ein, welcher ihm 1481 wirklich succedirte u. 1486 die P. mit der Krone Frankreich vereinigte. Seitdem bildete sie immer eine Provinz von Frankreich u. ein Gouvernement, bis sie 1789 bei der Departementaltheilung in die oben genannten Departements zerfiel. Vgl. Papon, Hist. générale de la P., Par. 1777–86, 4 Bde.; Bouche, Essai sur l'hist. de la P., Mars. 1785, 2 Bde.; Merry, Hist. de P., Par. 1830, 2 Bde.; Garcin, Diction. histor. et topographde la P., Dragu. 1833, 2 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 652-653.
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