[Einleitung zu meinem Buch]

  • Abbildung Seite 9
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  • Abbildung Seite 10
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[Es folgt eine Transkription der handschriftlichen Einleitung zur Buchausgabe]


Lovis Corinth

Berlin 29 Juni 1919


Einleitung zu meinem Buch.


Diese Extra-Aufgabe ist mir auch noch zu Theil geworden. Meine Artikel sollten gesammelt werden – als »Werk« heraus kommen und jetzt soll ich dem »geneigten Leser« noch erklären – erklären aber was? Daß ich geboren bin etwa? Es sei! Ich bin also geboren, wie alle, die da schreiben; und nicht wenig stolz sind auf ihre Feder. Außerdem bin ich nicht einmal berufen und auch nicht auserwählt, sondern [unleserlich] meiner Neugierde ob du das wohl auch noch können würdest? Daraufhin ist mir natürlich dieses Menetekel schon genügend unter die Nase gerieben worden: »Bilde Künstler, rede nicht!« Schreib auch nicht! Genau wie in der Schule meine Aufsätze ein Gaudium für die Schulgenossen wurden, sobald der strenge Lehrer diese mit der schlechtesten Censur belegte, zum abschreckenden Beispiel der Klasse laut vorlas und dann später meine Löffel eine verfängliche Röthe zeigten. »Junge«, sagte er mir meist »das ist wie das Deutsch[9] vom Karlchen Mießnick aus dem Kladderadatsch.« So wurde ich schon von Jugend an gegen scharfe Kritik gefeit. Und wer sich ohne Schuld fühlt, werfe auf mich den ersten Stein! Aber schreiben werde ich dennoch und malen immer und die Kritik mag auch thun, was ihres Amtes ist. Aber wenn schon was an mir getadelt werden soll, möge man mir lieber mein Schreiben vorwerfen als mein Malen. Und wenn alle Kritiker gegen mein ganzes Thun sich erhöben, so werde ich auch dieses ertragen können; dank dem Lehrer, welcher mir schon immer das prophezeit hat. Mache es kurz – geneigter Leser – ist es dir langweilig so schließe das Buch und ergreife interessantere Bücher. Wir werden uns doch verstehen. Lebe wohl und sei nicht böse!


Lovis Corinth[10]

Quelle:
Corinth, Lovis: Gesammelte Schriften. Berlin: Fritz Gurlitt, 1920., S. 9-11.
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