Was eine ›läßliche Sünde‹ besagt.

[42] Am Sonntage nach Renés Eintreffen ging Blanche ohne ihren Eheliebsten zur Jagd. Und als sie so im Walde dahinzog, gewahrte sie einen Mönch, der sich anscheinend überaus gewalttätig über ein Mädel hermachte. Flugs sprengte sie herzu, indem sie ihrem Gefolge zurief: »Heda, verhindert doch, daß er sie tötet!« – Als sie aber dicht herankam, riß sie jach ihr Roß herum und das, was sie bei dem Mönche gesehen hatte, benahm ihr die Lust weiterzujagen. Nachdenklich ritt sie heim, denn ihr war plötzlich eine Stallaterne aufgegangen, und tausenderlei Dinge, wie ihr solche auf Gemälden,[42] in Dichtwerken oder in Gottes freier Natur aufgestoßen waren, bekamen nun erst die rechte Beleuchtung. Plötzlich hatte sie das holde Geheimnis der Liebe klar erkannt. O welche Narrheit, diese Dinge den Jungfräulein verbergen zu wollen! – Frühzeitig ging sie zu Bett, und alsbald erklärte sie dem Seneschall: »Bruyn, Ihr habt mich beschwindelt und Ihr müßt mit mir tun, was der Mönch heute mit dem Mädel tat.« Der Alte begriff gleich und merkte, was die Uhr geschlagen hatte. Aber die innere Glut belebte nur seine Augen, derweile er sänftiglich lispelte: »Ach, süßer Schatz, als ich dich zum Weibe nahm, war meine Liebe stärker als mein Leib und ich mußte auf dein Mitleid und deine Tugend bauen. Wahrlich, es ist der Gram meines Lebens, daß nur noch mein Herze jung ist. Aber das wird meinen Tod beschleunigen, also daß du balde frei sein wirst. So gedulde dich bis dahin; nur um dies eine bitte ich dich, der ich dich doch tyrannisieren könnte: entehre nicht mein weißes Haar! Wie viele Männer schon haben in diesem Falle ihre Frauen getötet ...« »Was?! Ihr wollt mich töten?!«

»Aber nein – dafür liebe ich dich viel zu sehr! Ach, du bist ja die Blume meines Alters, dein Anblick labt mich und wandelt selbst Kummer in Glück! Nein, du sollst in allem freie Hand haben, wenn du den armen Bruyn nur nicht zu sehr peinigst, der dir Reichtum und Ehren gegeben hat.« Und seine vertrockneten Lider netzten sich mit heißen Zähren, die über sein pergamentenes[43] Antlitz auf Blanches Händlein troffen, also daß selbige von der übergroßen Liebe dieses Greises gerührt ward und ihm zulächelte: »Nein, nein, weinet nur nicht, ich werde warten!«

Und so kam es, daß unser Jüngferlein den Greis völlig in die Hand bekam und unterjochte, also daß er um jenes zieren unbetretenen Venusgärtleins willen von Blanche so recht nach Weiberart drangsaliert wurde wie ein Packesel. Tagaus, tagein hieß es nur noch: Bruyn hier, Bruyn da! und nur seine eiserne Natur verhinderte, daß er nicht von dieser Jungfernschaft zu Tode gehetzt wurde. Eines Abends, nachdem Blanche wieder einmal das ganze Haus derart auf den Kopf gestellt hatte, daß wohl gar dem lieben Herrgott selber die Geduld ausgegangen wäre, sagte sie beim Schlafengehen zum Seneschall: »Mein lieber Bruyn, manchmal überkommt es mich also, daß es mich allenthalben zwickt und zwackt, mein Herze beklemmt, mein Hirn entflammt und mir die schlimmsten Gedanken eingibt; und nachts sehe ich im Traum immer jenen Mönch ...«

»Ach, mein Herzchen,« entgegnete jener, »das sind höllische Anfechtungen, wider die man im Kloster wohl Rat weiß. Bist du also auf dein Heil bedacht, so beichte unserem Nachbar, dem würdigen Abte von Marmoustiers, der wird dich wohl beraten und auf den rechten Weg führen.« »Gleich morgen gehe ich,« sagte sie. Und richtig, schon mit Tagesanbruch eilte sie hophop zum Kloster, allwo ihr holder Anblick die Mönche derart verzückte, daß sie[44] am Abend gar manche Sünde begingen. Zunächst aber geleiteten sie die Schöne feierlich zu dem ehrwürdigen Abte. Selbiger weilte just bei dem kühlen Bronne eines versteckten Gärtleins, und seine verklärte Greisengestalt erfüllte Blanche mit tiefer Ehrfurcht. »Gott grüße Euch,« hub er an. »Was führt Euch junges Blut in den Bereich des nahen Todes?«

»Weisen Rat zu holen,« entgegnete sie mit tiefer Verneigung. »Wolltet Ihr doch mich törig Beichtkind auf den rechten Weg leiten, wie wäre ich Euch von Herzen dankbar.«

»Meine Tochter,« sprach der Greis, mit dem Bruyn zuvor die ganze Komödie abgesprochen hatte, »mögen die hundert Jahre, die meine Schläfen entlaubt haben, mir zur Seite stehen, damit ich Euch den Weg zum Paradiese weisen kann.«

So begann die Seneschallin, sich zuvörderst aller kleinen Sünden zu entledigen, bis sie endlich mit ihrer Beichte bei dem berühmten post-scriptum anlangte: »Ach, mein Vater, und dann muß ich noch gestehen, daß ich Tag für Tag von dem Begehren nach einem Kinde gepeinigt werde. Ist das schlimm?«

»Nein,« sprach der Abt.

»Aber mein Mann hat, wie man so sagt, den Schlüssel verloren, und da sagte mir Frau von Jallanges, man beginge in diesem Falle keine Sünde, wenn man anderwärts dazu käme, dafern man nur weder Vergnügen noch Vorteil dabei habe.«[45]

»Vergnügen schafft das immer,« erwiderte der Abt. »Und ist es so ohne Vorteil für Euch, ein Kind zu bekommen? Vielmehr lasset Euch gesagt sein: vor Gott ist es allezeit eine Todsünde, ein Kind mit einem Manne zu erzeugen, mit dem man nicht kirchlich getraut ist!«

»Ach wehe, mein Vater, so ist es also Gottes Wille, daß ich kläglich dahinscheide, oder daß mir, die ich doch bei klarem Verstande bin, das Hirn verzehrt wird? Denn das steht mir sicher bevor, maßen es ja in mir wirbelt und loht, meine Sinne sich verwirren und ich alles darangeben würde, um nur einmal die Glut eines Mannes, wie jenes Mönches, zu kosten. Und wie – Gott, der mir solch' heiße Liebessehnsucht gab, sollte mich darob verdammen?«

Der Pfaffe kratzte sich verlegen hinterm Ohr, denn diese Klagen und Spitzfindigkeiten des Jungfräuleins brachten ihn arg in die Klemme. »Meine Tochter,« hub er an, »zum Unterschiede von den Tieren verlieh uns Gott den Verstand, der uns helfen soll, die Klippen der Leidenschaften in stürmischen Augenblicken glücklich zu umschiffen. Und wider die Qualen erregter Sinne vermag man mit Fasten, strammer Arbeit und anderen weisen Maßnahmen sehr wohl anzukämpfen: betet also lieber, schlafet auf hartem Lager, schafft eifrig im Hause und hänget nicht dem Nichtstun nach!«

»Schön, mein Vater. Und nun sagt mir zum Schluß: wenn einmal meine Einsicht in die Brüche ginge, also[46] daß ich meiner Sinne nicht mächtig, mich in den Schlingen der Liebe verfinge ...«

»Dann,« versetzte unbedacht der Abt, »dann wäre es mit Euch wie mit der Heiligen Lidoria, die sich an einem heißen Sommertage, kaum bekleidet, mit weit gespreizten Gliedern bequem hingestreckt hatte und fest eingeschlafen war. Kam da sacht ein junger Bursch und stillte unversehens sein Begehr an ihr. Und besagte Heilige ahnte von dem Vorfall so wenig, daß sie ihres Leibes Schwellen für eine schlimme Krankheit hielt und baß erstaunt war, als sie eines Kindleins genaß. Sie hatte nur für eine läßliche Sünde zu büßen, sintemalen sie von dem Streiche nichts gemerkt hatte und der Schurke auf dem Blutgerüst gestand, daß die Heilige sich nicht geregt hatte.«

»Oh, mein Vater,« rief Blanche, »Ihr könnt sicher sein, daß ich mich so wenig regen werde wie die Heilige!« Und damit schlüpfte sie frisch und froh davon und überlegte lächelnd, wie sie wohl am besten solch eine läßliche Sünde ermöglichen könnte. Als sie daheim den Schloßhof betrat, erblickte sie den jungen Jallanges, der just ein Pferd zuritt und in festem Sitz mit sicherem Schenkel alle Sprünge und Launen des Rosses bändigte, kurz, in seiner jugendfrischen Gewandheit ein Bild zum Malen war und wohl gar der Königin Lukrezia gefallen hätte, die sich bekanntlich erdolchte, weil ein Mann sie gegen ihren Willen entehrt hatte.

»Ach wäre der Schlingel nur wenigstens fünfzehn Jahr[47] alt,« seufzte Blanche, »wie gern ließe ich mich dann von ihm im Schlafe überraschen.« Doch trotz seiner großen Jugend beäugte sie bei allen Mahlzeiten sein schwarzes Haar, sein blinkes Gesichtel und zumal seine lebensprühenden Augen. – Als sie nun nach der Vesper nachdenklich am Kamin saß, fragte sie der alte Bruyn, was ihr den Kopf schwer mache.

»Ich überlege eben, daß Ihr recht früh hinter den Röcken hergewesen sein müßt, da Ihr so ausgepumpt seid.«

»Freilich!« lachte er wie alle alten Knacker, die man nach jugendlichen Liebestaten ausfragt, »kaum über dreizehn schwängerte ich schon eine Zofe.«

Mehr wollte Blanche gar nicht hören, denn nun wußte sie René hinreichend gewappnet. Und strahlender Laune hub sie an, den Alten zu zwicken und zu necken und selber vor innerer Wonne wie ein Kreisel zu tanzen.

Quelle:
Honoré de Balzac: Die drolligen Geschichten welchselbige der wohledle Herr von Balzac als Festtagsschmaus für alle Pantagruelskindlein in den Abteien der Touraine sammelte und ans Licht zog. Berlin [o.J.], S. 42-48.
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