Andacht-Lied

Von Gottes Weißheit und Allmacht

[67] Nach der Singweise: Ach wie nichtig, ach wie flüchtig, usw.


1.

Ach wie nichtig

Und untüchtig

Ist der Menschen Denken!

Unsre Sinnen

Sich nit können

Nach dem Guten lenken.

Blind sind wir uns vorzusehen,

Der Verstand nit kan verstehen,

Welchen Weg er müsse gehen.


2.

Ob wir sehen

Und verstehen,

Was uns nützen könde:

Unvermögen

Steht entgegen,

Fässelt uns die Hände.

Nichts kan unser Machen machen:

Fleiß und Schweiß und Sorg und Wachen

Trifft gar nicht das Ziel der Sachen.


3.

Schöpfer, höre!

Ich verehre

Dein allweises Wissen.

Deine Augen

Bässer taugen,

Heil auf mich zu giessen.

Wollest meine Blindheit leiten:

Laß dein Auge mich begleiten,

Mir die rechte Bahn bedeuten.


4.

Deine Kräffte

Dem Geschäffte

Können geben Ende.

Laß mich Schwachen

Stärcker machen

Deine Allmacht-Hände.

Raht und Taht bey dir ich finde.

Hilff und rahte deinem Kinde,

Daß in Ohnmacht wirfft die Sünde.
[67]

5.

Meine Witze,

Was mir nütze,

Gar nit kan errahten:

Ob ich's treffe,

Mich mit äffe:

Es sind deine Tahten.

Oft hat wider alles Hoffen,

Weil mir deine Gnad stund offen,

Eine Wolfahrt mich betroffen.


6.

Dein Geschicke

Ist mein Glücke;

Dir ich meine Sachen

Nur befehle,

Mich nit quäle:

Du, du wirst's wol machen.

Deiner Weißheit will ich trauen

Und auff deine Allmacht bauen:

Also werd ich wunder schauen.


7.

Gib, versage,

Tröste, plage,

Wie, wann, wo – nach Willen!

Dein Gemüte

Voller Güte

Soll mein Hertz abstillen.

Wollst nur alles dir zu Ehren,

Meine Seeligkeit zu mehren,

Zu deß Nächsten Aufnahm kehren.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 67-68.
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