Vierte Scene.

[30] Halle Arimans.

Ariman, von seinen Geistern umgeben, auf einer Feuerkugel thronend.


HYMNUS DER GEISTER.

König der Erd' und Luft! gewalt'ger Meister!

Der auf den Wolken und den Wassern schwebt, –

Zum Chaos selbst zerfleischen sich die Geister

Der Elemente, wann die Hand er hebt.

Er atmet, und der Sturm zerreißt die Flut;

Er spricht, und Antwort giebt des Donners Hallen;

Er blickt, und Sonnen fliehn vor seiner Glut,

Er regt sich, und des Erdballs Säulen fallen!

Sein Fuß erschließt der Krater Glutgewimmel;

Sein Schatten ist die Pest, und vor ihm her

Ziehn die Kometen durch verkohlte Himmel,

Wandelt in Asche sich das Sternenheer.

Ihm muß der Krieg sein täglich Opfer zahlen;

Ihm frohnt der Tod; sein ist des Lebens Frist

Mit ihrer Unermeßlichkeit von Qualen;

Sein ist der Geist von allem, was da ist!


Die Schicksale und Nemesis treten auf.


ERSTES SCHICKSAL.

Heil Ariman! – Auf Erden wächst sein Reich:[30]

Wie meine Schwestern sein Gebot vollführt,

So hab' auch ich nicht meine Pflicht verabsäumt.

ZWEITES SCHICKSAL.

Heil Ariman! – Wir, die das Haupt der Menschen

Zur Erde beugen, beugen uns vor ihm.

DRITTES SCHICKSAL.

Heil Ariman! – Wir harren seines Winks.

NEMESIS.

Beherscher aller Herscher! wir sind dein,

Und unser ist, was lebt, mehr oder minder,

Das Meiste ganz. Doch unsre Macht zu mehren

Durch Mehrung deiner Macht, heischt unsre Sorge,

Und wir sind wachsam. Was du aufgetragen,

Ist bis zum Aeußersten erfüllt.


Manfred kömmt.


EIN GEIST.

Wer naht?

Ein Sterblicher! – Du Dreister, Unglücksel'ger,

Knie' und verehr'!

ZWEITER GEIST.

Ich kenne diesen Mann,

Ein Zaubrer, furchtbar durch Geschick und Macht.

DRITTER GEIST.

Knie', Sklav, und bete an! Wie? kennst du nicht

Deinen und unsren Herrn? Gehorch' und zittre!

ALLE GEISTER.

Wirf dich und dein verdammtes Fleisch zu Boden,

Du Erdensohn! – die Rach' ist nah.

MANFRED.

Ich weiß es,

Und dennoch knie' ich nicht.

VIERTER GEIST.

Du wirst es lernen.

MANFRED.

Ich lernt' es längst. Wie manche Nacht auf Erden

Hab' ich auf nackten Grund mein Haupt gebeugt

Und Asche drauf gestreut! Ich kenne ganz[31]

Die Fülle der Erniedrung; denn ich sank

Vor meiner nichtigen Verzweiflung, kniete

Vor meiner eignen Herzensöde.

FÜNFTER GEIST.

Wagst du

Dem Ariman auf seinem Thron zu weigern,

Was ihm die Erde zollt, die doch nicht schaut

Die Schrecken seines Glanzes? – In den Staub!

MANFRED.

Er selber beuge vor dem Höh'ren sich,

Dem Unermeßlichen, dem Schöpfer, der

Ihn nicht erschuf zur Anbetung: – Er kniee,

Und ich will mit ihm knien.

DIE GEISTER.

Zermalmt den Wurm,

Zerreißt ihn!

ERSTES SCHICKSAL.

Hebt euch weg! Fort! Er ist mein.

Fürst unsichtbarer Mächte! dieser Mann

Ist nicht gemeiner Art, wie seine Rede

Und Gegenwart bezeugt. Sein Leiden war

Unsterblicher Natur, wie unsres ist.

Sein Wissen und sein Können und sein Wollen,

(Soweit nicht Staub den Aetherfunken hemmt,)

Ist so gewesen, wie es Staub nur selten

Geboren hat. Sein Streben und sein Forschen

Lag jenseit dessen, was auf Erden wohnt,

Und hat ihm nur gelehrt, was wir schon wissen,

Daß Wissen nicht Glück ist und Wissenschaft

Nur Austausch unserer Unwissenheit

Gegen Unwissenheit von neuer Art.

Noch mehr: die Attribut' und Leidenschaften

Von Erd' und Himmel, welche jedes Wesen,

Jedes Geschöpf vom Wurm aufwärts berühren,

Haben sein Herz durchbohrt, und ihre Wirkung

In ihm war so, daß ich, die nie bedaure,

Verzeih' ihn zu bedauern. Er ist mein,[32]

Und dein vielleicht; – doch sei er's oder nicht,

Kein andrer Geist besitzt hier eine Seele

Wie seine, noch Gewalt auf seine Seele.

NEMESIS.

Weshalb denn ist er hier?

ERSTES SCHICKSAL.

Er sag' es selbst.

MANFRED.

Ihr wißt, was ich gewußt hab'. Ohne Macht

Könnt' ich nicht hier sein. Aber tiefre Mächte,

Noch jenseits, giebt es, – die zu suchen komm' ich,

Daß sie auf meine Frag' antworten mögen.

NEMESIS.

Was möchtest du?

MANFRED.

Du kannst nicht Rede stehn;

Die Todten ruf, an sie geht meine Frage.

NEMESIS.

Erhabner Ariman! gewährt dein Wille

Den Wunsch des Sterblichen?

ARIMAN.

Es sei!

NEMESIS.

Wen willst du

Entsargen?

MANFRED.

Eine ohne Grab. Beschwör

Astarte!

NEMESIS.

Höre, Schatten oder Geist,

Der du alles, was du warest,

Ob du auch gestorben seist,

Wie ein Erbtheil noch bewahrest;

Das Gehäuse deines Fleisches,

Das Gefüge deines Staubes,

Wieder von der Erde heisch' es,

Und der Nacht des Todes raub' es.[33]

Was du trugest, Herz und Hirn,

Trag es, Hirn und Herz und Glieder,

Und erlöse deine Stirn

Von dem Zahn des Wurmes wieder.

Erschein, erschein, erschein vor mir!

Der dich dorthin geschickt hat, sucht dich hier.


Der Schatten Astarte's steigt empor.


MANFRED.

Dies wäre Tod? – es blüht auf ihren Wangen...

Doch nein, ich seh', es ist kein Lebenshauch,

Nur seltsam Fiebern, – wie das kranke Rot,

Das auf erstorbne Blätter pflanzt der Herbst.

Sie ist es! – Gott! daß ich mich fürchten muß

Sie anzublicken! – O Astarte! – Nein,

Ich kann nicht zu ihr sprechen – heißt sie sprechen,

Mir fluchen oder mir verzeihn.

NEMESIS.

Bei dem Zauber, der den tiefen

Schlummer deiner Gruft gebrochen,

Sprich zu jenem, der gesprochen,

Oder denen, die dich riefen!

MANFRED.

Sie schweigt, –

Und in dem Schweigen find' ich mehr als Antwort.

NEMESIS.

Mein Zauber reicht nicht weiter. – Fürst der Luft!

Du hast allein die Macht: heisch' ihre Stimme.

ARIMAN.

Gehorche diesem Scepter, Geist!

NEMESIS.

Noch stumm.

Sie ist nicht unsrer Gattung. Sie gehört

Der andren Macht. Dein Suchen, Mensch, ist fruchtlos,

Und unsre Müh' vergeblich.

MANFRED.

Hör' mich – hör' mich!

Astarte! meine Geliebte! – sprich zu mir![34]

Ich litt so viel – ich leide noch so viel –

O sieh mich an! dich hat das Grab nicht mehr

Als mich der Gram entstellt. Du liebtest mich

Zu sehr, wie ich dich liebte, – doch wir sollten

Uns nicht einander foltern, war es auch

Tödtlichste Schuld zu lieben, wie wir liebten.

Sag', daß du mich nicht hassest, – daß für beide

Ich diese Strafe dulde, – daß du eine

Der Sel'gen sein wirst, – daß ich sterben werde!

Denn alles Hassenswerthe scheint verschworen

Ans Dasein mich zu fesseln, an ein Leben,

Das mich mit Graun füllt vor der Ewigkeit,

Vor einer Zukunft, ähnlich dem Vergangnen.

Ich kann nicht ruhn, – ich weiß nicht, was ich suche, –

Ich fühle nur, was du bist und was ich bin;

Nur einmal, eh' ich sterbe, hört' ich gern

Den Ton, der mir Musik war, – sprich zu mir!

Ich habe dich in stiller Nacht gerufen,

Der Vögel Schlaf im dichten Busch gestört,

Des Berges Wölf' erweckt, erfüllt die Schluchten

Mit deinem, ach, umsonst gehallten Namen;

Sie gaben Antwort, – vieles gab mir Antwort,

Geister und Menschen, – du nur warest stumm.

O sprich! – Die Sterne hab' ich überwacht

Und durch die Himmel fruchtlos dich gesucht.

Sprich zu mir! – Durch die Welt bin ich geirrt

Und fand nicht deines Gleichen. Sprich zu mir!

Sieh rings die Teufel, wie sie für mich fühlen, –

Ich fürchte nichts und fühle nur für dich.

Sprich zu mir! sei es auch im Zorn, – nur sage...

Was es auch sei, – nur daß ich einmal höre,

Einmal, einmal noch!

DER SCHATTEN.

Manfred!

MANFRED.

Weiter – weiter –

Ich leb' in diesem Ton nur, – deine Stimme![35]

DER SCHATTEN.

Manfred! dein irdisch Weh wird morgen enden.

Lebwohl!

MANFRED.

Ein Wort noch! Sprich, ist mir verziehn?

DER SCHATTEN.

Lebwohl!

MANFRED.

Sehn wir uns wieder? sprich!

DER SCHATTEN.

Lebwohl!

MANFRED.

Ein Wort! erbarm' dich! Sag', du liebst mich!

DER SCHATTEN.

Manfred!


Der Schatten Astarte's verschwindet.


NEMESIS.

Sie geht und läßt sich nicht zurückbescheiden.

Ihr Wort wird sich erfüllen. Kehr' zur Erde.

EIN GEIST.

Er ist betäubt. Das heißt es, sterblich sein

Und Dinge suchen, die nicht sterblich sind.

ZWEITER GEIST.

Nein, sehet, er bezwingt sich selbst und macht

Die Foltern seinem Willen unterthan.

Wär' er gleich uns, ein fürchterlicher Geist

Wär' er geworden.

NEMESIS.

Hast du fernre Fragen

An unsren Herscher oder seine Diener?

MANFRED.

Nein.

NEMESIS.

Dann für ein'ge Zeitlang lebewohl.

MANFRED.

Wir sehn uns also wieder? Wo? auf Erden?

Wie du es willst. Für die gewährte Huld

Scheid' ich als euer Schuldner. Lebetwohl.

Manfred geht.

Die Scene schließt.


Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 4, S. 30-36.
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