Der Hünenstein

[42] Zur Zeit der Scheide zwischen Nacht und Tag,

Als wie ein siecher Greis die Heide lag

Und ihr Gestöhn des Mooses Teppich regte,

Krankhafte Funken im verwirrten Haar

Elektrisch blitzten, und, ein dunkler Mahr,

Sich über sie die Wolkenschichte legte;


Zu dieser Dämmerstunde war's, als ich

Einsam hinaus mit meinen Sorgen schlich,

Und wenig dachte, was es draußen treibe.

Nachdenklich schritt ich, und bemerkte nicht

Des Krautes Wallen und des Wurmes Licht,

Ich sah auch nicht, als stieg die Mondesscheibe.


Grad war der Weg, ganz sonder Steg und Bruch;

So träumt' ich fort und, wie ein schlechtes Buch,

Ein Pfennigsmagazin uns auf der Reise

Von Station zu Stationen plagt,

Hab' zehnmal Weggeworfnes ich benagt,

Und fortgeleiert überdrüß'ge Weise.


Entwürfe wurden aus Entwürfen reif,

Doch, wie die Schlange packt den eignen Schweif,

Fand ich mich immer auf derselben Stelle;

Da plötzlich fahr ein plumper Schröter jach

Ans Auge mir, ich schreckte auf und lag

Am Grund, um mich des Heidekrautes Welle.


Seltsames Lager, das ich mir erkor!

Zur Rechten, Linken schwoll Gestein empor,

Gewalt'ge Blöcke, rohe Porphirbrode;

Mir überm Haupte reckte sich der Bau,

Langhaar'ge Flechten rührten meine Brau,

Und mir zu Füßen schwankt' die Ginsterlode.
[42]

Ich wußte gleich, es war ein Hünengrab,

Und fester drückt' ich meine Stirn hinab,

Wollüstig saugend an des Grauens Süße,

Bis es mit eis'gen Krallen mich gepackt,

Bis wie ein Gletscherbronn des Blutes Takt

Aufquoll und hämmert' unterm Mantelvließe.


Die Decke über mir, gesunken, schief,

An der so blaß gehärmt das Mondlicht schlief,

Wie eine Witwe an des Gatten Grabe;

Vom Hirtenfeuer Kohlenscheite sahn

So leichenbrandig durch den Thimian,

Daß ich sie abwärts schnellte mit dem Stabe.


Husch fuhr ein Kiebitz schreiend aus dem Moos;

Ich lachte auf; doch trug wie bügellos

Mich Phantasie weit über Spalt und Barren.

Dem Wind hab' ich gelauscht so scharf gespannt,

Als bring' er Kunde aus dem Geisterland,

Und immer mußt' ich an die Decke starren.


Ha! welche Sehnen wälzten diesen Stein?

Wer senkte diese wüsten Blöcke ein,

Als durch das Heid die Totenklage schallte?

Wer war die Drude, die im Abendstrahl

Mit Run' und Spruch umwandelte das Tal,

Indes ihr goldnes Haar im Winde wallte?


Dort ist der Osten, dort, drei Schuh im Grund,

Dort steht die Urne und in ihrem Rund

Ein wildes Herz zerstäubt zu Aschenflocken;

Hier lagert sich der Traum vom Opferhain,

Und finster schütteln über diesen Stein

Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken.


Wie, sprach ich Zauberformel? Dort am Damm –

Es steigt, es breitet sich wie Wellenkamm,

Ein Riesenleib, gewalt'ger, höher immer;[43]

Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt –

Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt,

Durch seine Glieder zittern Mondenschimmer.


Komm her, komm nieder – um ist deine Zeit!

Ich harre dein, im heil'gen Bad geweiht;

Noch ist der Kirchenduft in meinem Kleide! –

Da fährt es auf, da ballt es sich ergrimmt,

Und langsam, eine dunkle Wolke, schwimmt

Es über meinem Haupt entlang die Heide.


Ein Ruf, ein hüpfend Licht – es schwankt herbei –

Und – »Herr, es regnet« – sagte mein Lakai,

Der ruhig übers Haupt den Schirm mir streckte.

Noch einmal sah ich zum Gestein hinab:

Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab,

Das armen ausgedorrten Staub bedeckte! –


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 42-44.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Die Ausgabe von 1844)
Gedichte
Sämtliche Gedichte (insel taschenbuch)
Geistliches Jahr: Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Gedichte (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Bjørnson, Bjørnstjerne

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Vor dem Hintergrund einer romantisch idyllischen Fabel zeichnet der Autor individuell realistische Figuren, die einerseits Bestandteil jahrhundertealter Tradition und andererseits feinfühlige Persönlichkeiten sind. Die 1857 erschienene Bauernerzählung um die schöne Synnöve und den hitzköpfigen Thorbjörn machte Bjørnson praktisch mit Erscheinen weltberühmt.

70 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon