1.

[144] In England wüten zwei Tyrannen:

Der König Jakob und die Pest,

Und jener immer rafft von dannen,

Was diese noch am Leben läßt.[144]

Im Staube liegt die heil'ge Sache

Des Volks und bettelt vor dem Thron,

Schon aber weben Haß und Rache

Dein Siegeskleid – Revolution.

Schon atmet Cromwell, schon allnachtens

Tritt Englands Zukunft vor ihn hin

Und legt die Keime künft'gen Trachtens

In seinen ruhmbegier'gen Sinn,

Schon graut der Tag, nur noch ein kurzes,

So steigt die Sonne blutigrot,

Doch für die Zeichen nahnden Sturzes

Ist jede Stuart-Seele tot.

An Jakobs Hof drückt ihren Stempel

Die Lust noch auf jedwede Stirn,

Noch ist sein Schloß ein Bacchustempel,

Die Flasche gilt, es gilt die Dirn,

Und rast die Pest, ein jedes Opfer

Scheint nur zu rufen: ›Frisch gelebt!

Wer weiß es, ob der Tod den Klopfer

Nicht bald an deiner Türe hebt.‹

Es ist, als ob das nahe Sterben

Dem Leben voll're Reize leiht,

Man jagt in Lust darum zu werben,

Genuß ist Losungswort der Zeit.


Bei Hof ist Ball. Sieh, scheint nicht eben

Die Schönheit selbst daher zu schweben?

Wer anders kann sie sein, die Schlanke,

Zu der, wenn sie vorüberrauscht,

Ein jeder Sinn sich und Gedanke

Hinneiget und gefangen lauscht.

An ihrer Schönheit stumpft der Hohn;

Mehr als ein König auf dem Thron,

Wenn seine Blicke zornig irren,

Vermag ihr Auge zu verwirren,[145]

Das bloße Flattern ihrer Locken

Macht schon des Höflings Zunge stocken,

Und selbst der Neid, auf den sie späht,

Bewundert ihre Majestät.


Was ist's, das bis ins tiefste Herze

Die Welt bei Hofe selbst durchbebt,

Wenn anmutvoll, in leichtem Scherze,

Die Lady Essex näherschwebt?

Ist's jener Tugend hoher Geist,

Der selbst die Spötter schweigen heißt

Und Ehrfurcht auch von dem ertrotzt,

Der schier von allen Lastern strotzt?

Wie, oder ist es nur ein Grauen,

Das sich in alle Herzen bahnt,

Weil man die finstren Mächte ahnt,

Die hier im Busen Hütten bauen?

Das ist's. Ein Ahnen flüstert leis:

All dieser Stolz ist Ätna-Eis,

Ist Lüge, die zu leugnen strebt

Die Lavaglut, die drunter lebt.

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 144-146.
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