Neuntes Kapitel


Rosamundens Tod

[117] Im Woodstock-Forst, nach Sturmesnacht,

Herrscht wieder tiefes Schweigen,

Nur einz'le Tropfen fallen sacht

Von Blättern jetzt und Zweigen;

Und leis nur durch die Wipfel zieht

Von Zeit zu Zeit ein Klagelied

Um die geliebten Toten.


Am Waldrand, in des Gartens Näh',

Ist eine off'ne Stelle:

Es glitzert dort, halb Teich, halb See,

Im Mondlicht jetzt die Welle;

Viel Erlen stehn am Uferrand[117]

Und wo die Welle küßt den Sand,

Da sprießen blaue Blumen.


Und hier im duft'gen Wiesengrund,

Wo Wald und See sich grüßen,

Da sitzt die schöne Rosamund'

Den Erlen jetzt zu Füßen;

Es ruht ihr Haupt auf feuchtem Moos,

Und ach, ihr Aug' ist tränenlos

Von vielem, vielem Weinen.


Wohin sie blickt, da wächst ihr Weh

Vor ihres Glückes Zeugen:

Nur tiefer müssen Wald und See

Die Tiefgebeugte beugen;

Und hier, wo Schwur um Schwur erscholl,

Durchzuckt sie's nun verzweiflungsvoll:

»Belogen und betrogen!«


Gen Himmel starrt ihr blaß Gesicht;

Dann, mit erhobnen Armen,

Ruft laut sie: »Gott, ich trag' es nicht –

Ach, üb' ein mild Erbarmen!«

Und alsobald, an tiefster Stell',

Auf Sees mondbestrahlter Well',

Treibt still die Lebensmüde.


Wie blond Gelock der Wasserfee

Durchfurcht ihr Haar die Fluten,

Und wie sie treibt, da scheint ihr Weh

Sich schmerzlos zu verbluten;

Im Tod versöhnt mit ihrem Leid,

Spricht still sie: »Dein in Ewigkeit!«

Und sinkt dann in die Tiefe.[118]


Am dritten Tag, auf Malv' und Mohn,

Da liegt in Sarges Grunde,

Mit Wangen, deren Rot entflohn,

Die schöne Rosamunde;

Um ihre Lippen spielt es mild,

Und wie ein lächelnd Kindesbild

Schläft ihren Schlaf die Tote.


Zu Seiten ihr, ohn' Unterlaß

Und auf und ab im Saale,

Schwingt Knabenhand das Weihrauchfaß,

Gemäß dem Rituale;

Zu Häupten liest – gebückt und alt,

Von härenem Gewand umwallt –

Der Priester seine Messen.


Zu Füßen aber, schattengroß

Im Abendsonnenscheine,

Steht König Heinrich, regungslos,

Gleich einem Bild von Steine;

Sein Aug' ist starr, doch durch sein Herz

Zieht dieses Lebens höchster Schmerz:

Der Schmerz um alles Leben.

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 117-119.
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