Die Gans von Putlitz

und die Erstürmung von Angermünde

[199] 25. März 1420


(Nach dem Alt-Pommerschen)


Ein neues Lied gesungen sei:

Nach dem Winter, da kommt der Mai,

Das haben wir wohl vernommen;

Und daß Kettr-Angermünde märkisch ward,

Das soll dem Markgrafen frommen!


Johann von Briesen ließ sich jagen

Von Kettr-Angermünde bis Greifenhagen,

All' Mut war ihm gebrochen;

Da ging er zu Hofe nach Alten-Stettin

Und hat zu dem Herzog gesprochen:


»Gnäd'ger Herre, was zu halten stand:

Kettr-Angermünd und das Stolper Land,

Ist verloren und verdorben;

Der Markgraf hält es jetzt in Hand,

Und doch hieß es: er sei gestorben.«[199]


Da ließ der Herzog entbieten und holen

All seine Mannschaft, Pommern und Polen,

Nach Vierraden ritt man zu Tische;

Da setzten sie sich und hielten Rat

Und aßen süße Fische.


Dann ritten sie weiter, und kaum heran,

Angermünde ward ihnen aufgetan,

Alle haben dem Herzog geschworen,

Und alle riefen: »Stettin, Stettin!«

Und Brandenburg war verloren.


Aber draußen hinter Wall und Graben,

Die Märkischen schon sich gesammelt haben,

Vierhundert Reiter und Knechte;

Die Gans von Putlitz führet sie,

Zischend, auf daß sie fechte.


Ja, die Gans, der wollt' es nicht behagen –

Sie streckte zornig ihren Kragen

Über die Pommern alle;

Da schwebte der märkische Adler hoch,

Und die Greifen kamen zu Falle.


Die Gans aber wuchs im Grimme noch,

Sie schlug mit den Flügeln ein Brescheloch,

Und da stand sie nun zwischen den Steinen,

Und als sie bis zum Markte kam,

Waren sie zehn gegen einen.


Da gingen die Schwerter die Klinker die Klang,

Herr Detleff Schwerin mit dem Putlitz rang

Und wollte den Preis erwerben;

Da mußte Herr Detleff von Schwerin

Für seinen Erbherrn sterben.


Das war des Herzogs schwerster Tag,

Als da Herr Detleff vor ihm lag,[200]

Zerhackt, in Blut und Wunden,

Und er rief: »O hätt' ich über den Damm

Erst wieder zurücke gefunden!«


Er sprach es und ritt im Zuge vorn,

Er gab seinem Rosse Schlag und Sporn

Und suchte die Zügel zu fassen;

So kam er bis an das »hohe Haus«,

Da ward er eingelassen.


Das war zu Vierraden. Auf Schlosses Brück'

Einmal noch sah er zurück, zurück,

Im Herzen voll Weh und Leide:

»Kettr-Angermünde, du vielgute Stadt,

Daß so ich von dir scheide!«


Der aber, der dies Lied euch sang,

Ein Schmiedeknecht ist er schon lang',

Und sie nennen ihn Köne Finken;

Und er führt ein Hämmerchen auf der Hand,

Und Gut-Bierchen mag er trinken.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 199-201.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1898)
Gedichte
Die schönsten Gedichte von Theodor Fontane
Werke, Schriften und Briefe, 20 Bde. in 4 Abt., Bd.5, Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes
Gedichte in einem Band
Herr von Ribbeck auf Ribbeck: Gedichte und Balladen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon