John Gilpin

[338] (Nach William Cowper)


John Gilpin hat ein Tuchgeschäft

Nicht weit von Leicester-Square,

Auch war er Hauptmann der Miliz

In Londons Bürgerwehr.


Und Gilpin hat ein edles Weib;

Sie sprach: »Mein teurer John,

Wir sahen keinen Feiertag

Die zwanzig Jahre schon.


Drum, heut' an unsrem Hochzeitstag,

Dächt' ich, Mann meiner Wahl,

Kutschierten wir nach Islington,

Ins frische Grün einmal.[338]


Fünf unsrer Kleinen nehm' ich mit,

Sie wiegen ja nicht schwer

Und haben Platz – du steigst zu Roß

Und reitest hinterher.«


John Gilpin sprach: »Ich ehrte stets

Das weibliche Geschlecht,

Doch dreimal ehr' ich dich, o Weib,

Drum ist mir alles recht.


Auch schafft mein blühend Tuchgeschäft

Leicht meinem Wunsch Gehör,

Und seinen Braunen leiht mir gern

Mein Freund, der Appreteur.«


Sprach Mistreß Gilpin: »John, noch eins,

Wie ist es mit dem Wein?

Ich denk', wir nehmen welchen mit,

Es dürfte bill'ger sein.«


John Gilpin küßt' sein treues Weib,

Er weinte auf ein Haar,

Daß Mistreß, trotz Vergnügungssucht,

Doch noch so sparsam war.


Der Wagen kam, doch hielt er nicht

Vor Gilpins eignem Haus,

Sie war all in Sorg' und Furcht:

Hochmütig säh' das aus.


Drei Häuser abwärts stieg man ein,

Die Küchlein und das Huhn,

Und durch die City-Straßen hin

Ging es im Trabe nun.


Die Peitsche pfiff, auf schlug der Huf,

Daß alles klang und scholl,[339]

Und Rad und Steine lärmten schier,

Als wären beide toll.


John Gilpin hatte sich indes

Als Reiter schon gezeigt

Und lang geschwankt, ob rechts, ob links

Man in den Bügel steigt.


Jetzt aber sitzt er sattelfest-

Er will davon im Nu,

Da steuern seiner Kunden drei

Grad auf den Laden zu.


John Gilpin denkt: ›Verlust an Zeit,

Ich schätz' ihn nicht gering,

Doch traun, Verlust an Gut und Geld

Ist noch ein übler Ding.‹


Schnell springt er ab. – Noch steht und schwankt

Der Handel mit den Drei'n,

Da stürzt ihm Betty in den Weg:

»Hier, Herr, ist noch der Wein!«


»Gut« spricht er, »doch nun bring' mir auch

Das Lederfutteral,

Darinnen bei Paraden steckt

Mein fleckenloser Stahl.«


John Gilpin nahm die Flaschen beid',

Sie waren voll Likör,

Und hatten oben an dem Hals

Ein weites Henkelöhr.


Durch beide zog er jetzt hindurch

Die Scheide seines Schwerts –

Sie hingen, wie Pistolen schier,

Am Sattel seines Pferds.[340]


Dann schlug er um die Schultern sich

Den Mantel schwarz und rot,

Als zög' er in die Ritterschlacht

Zum Siege oder Tod. –


Die Stadt hindurch, auf hartem Stein,

Da schien der Renner faul;

John Gilpin sprach: »O schäme dich,

Bist du ein Karrengaul?«


Doch plötzlich, draußen vor dem Tor,

Verging ihm aller Spott,

Der Braune schnob und wieherte

Und setzte sich in Trott.


»Still, still, mein Tierchen«, ächzte John,

»So wirf mich doch nicht ab!«

Doch, wie er auch am Zügel riß,

Galopp ward aus dem Trab.


Und auf und nieder, her und hin,

Flog unser armer Tropf,

Bald hielt er an der Mähne sich

Und bald am Sattelknopf.


Das arme Pferd, das immer sonst

Gelenkt von sichrer Hand,

Es kam bei Gilpins Reiterei

Zuletzt um den Verstand.


Und wie vom Teufel angeschürt,

Durch ging es voller Wut;

Ab riß ein Baum von Gilpins Kopf

Perücke, Zopf und Hut.


Scharf blies der Ost; noch flaggte bunt

Des Mantels weiter Schoß –[341]

Jetzt aber ging er in die Welt,

Die Knöpfe ließen los.


Die Hunde bellten Dorf um Dorf,

Die Kinder lärmten mit,

Und alles schrie: »Das nenn' ich brav,

Das nenn' ich einen Ritt!«


Die Nachbarweiber klatschten sich

Bereits die Mäuler wund;

Die eine wußt' es ganz genau:

Es gelte tausend Pfund.


Die Zolleinnehmer hielten's auch

Für Wetteritt und Lauf

Und rissen mit geschäft'ger Hand

Die Gittertore auf.


John Gilpin schlüpfte heil hindurch,

Nicht so das Flaschenpaar,

Die eine ließ den Kork zurück,

Den Hals die andre gar.


Hin troff der rötliche Likör,

Man dacht', es wäre Blut,

Und murrend klang es hie und da:

Der spornt auch allzu gut!«


Jetzt aber in Klein-Islington

Hinein sprengt unser John;

Es harrte schon, mit Gruß und Kuß,

Die Gattin am Balkon.


Sie ruft ihm zu: »Halt, Gilpin, halt!

Wo willst du hin? so sprich!

Die Kinder haben Hunger schon

Und weinen bitterlich.«[342]


John Gilpin hört's; in tiefem Schmerz

Fleht er den Braunen: »Steh!«

Doch ach, der Braune hat kein Herz

Für eines Vaters Weh.


Zwei Meilen hinter Islington

Da liegt ein zierlich Haus,

John Gilpins Freund, der Appreteur,

Zog sommers da hinaus.


Der Braune machte oft den Weg,

Und wiehernd jetzt am Zaun

Ruft er den Herrn, der aber will

Kaum seinen Augen traun.


»He, Gilpin, he! was ist geschehn?

Was kommt Ihr überhaupt?

Und wenn Ihr kommt, warum beschmutzt,

Barhäuptig und bestaubt?«


John Gilpin drauf: »Was ich hier soll,

Das frage dieses Tier;

Wir ritten scharf, Perück' und Hut

Sind darum noch nicht hier.«


Laut lachte da der alte Freund,

Es war ein lust'ges Blut, –

Er nahm sich die Perück' vom Kopf

Und sprach in frohem Mut:


»Nimm hin! Du starrst von Staub und Schmutz,

Drum scheint sie noch zu klein,

Doch wasch' nur erst die Kruste ab,

So wird sie passend sein.«


John Gilpin nahm und dankte viel

Und sprach zum Pferde dann:[343]

»He Freund, ich hab' für dich getan,

Was man nur tuen kann.


Du wolltest her zu deinem Herrn,

Ich ehrte diesen Trieb,

Nun aber trag' auch mich zurück

Zu meinem treuen Lieb.«


Er sprach es kaum, da kreischte laut

Ein Esel hinterm Heck,

Und Roß und Reiter zitterte,

So packte sie der Schreck.


Wie wenn ein Löwe wo gebrüllt,

So griff der Renner aus –

Auf tauchte bald Klein-Islington

Samt seinem Kaffeehaus.


Die Gattin harrte immer noch

Des Gatten am Balkon,

Jetzt sah sie ihn und wandte sich

Zum Schwager Postillon:


»Sieh, diese halbe Kron' ist dein,

Mein wackerer Gesell',

Schaffst du mir meinen Ehemann

Lebendig hier zur Stell'.«


Der Postillon, der war nicht faul,

Aus zog er auf den Fang

Und hakte bald nach Mann und Roß

Mit Zügel und mit Strang.


Dem Braunen aber deucht' es schier,

Als wär's ein Peitschenhieb,

Er lief, daß selbst der Postillon

Im Hintertreffen blieb.[344]


Sechs Reiter kamen just des Wegs,

Die sahen Gilpins Flucht,

Und wie der Postillon umsonst

Ihn einzuholen sucht.


Sie jagten mit und schrien laut:

»Halt't ihn! ein Dieb! ein Dieb!«

John Gilpin aber unverkürzt

Des Tages Sieger blieb.


Und wie ein Jockey bester Art,

Mit Weste, Stulp und Kapp –

Erst wo er aufgestiegen war,

Da stieg er wieder ab.


Und nun zum Schluß: dem König Heil,

Und Heil! John Gilpin, dir,

Und setzt du wieder dich zu Roß,

So bitt' ich, sag' es mir.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 338-345.
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