Herr, was hast du im Sinn?

[270] Gedichtet auf die Erscheinung des Kometen von 1664 (nicht 1652, vgl. P. Anm. 378)


1.

Herr, was hast du im Sinn?

Wo denkt dein Eifer hin?

Von was für neuen Plagen

Soll uns der Himmel sagen?

Was soll uns armen Leuten

Der neue Stern bedeuten?


2.

Die Zeichen in der Höh

Erwecken Ach und Weh,

Es hats in nächsten Jahren

Die ganze Welt erfahren:

Die brennenden Kometen

Sind traurige Propheten.


3.

Sie brennen in der Luft,

Und unsers Herzens Kluft

Ist blind und kalt zum Guten,

Erkennet nicht die Ruten,

Die uns zu unsern Wunden

Des höchsten Hand gebunden.


4.

Kein Mensche hört fast mehr,

Was Gottes Geist uns lehr

In seinen heilgen Worten;

Drum muß an so viel Orten

Von großem Zorn und Dräuen

Das Sternenland selbst schreien.


5.

Die Welt hält keine Zucht,

Der Glaub ist in der Flucht,

Die Treu ist hart gebunden,[271]

Die Wahrheit ist verschwunden

Barmherzig sein und lieben,

Das sieht man selten üben.


6.

Daher wächst Gottes Grimm

Und dringt mit Ungestüm

Aus seines Eifers Kammer

Und will mit großem Jammer,

Wo wir uns nicht bekehren,

Uns allesamt verheeren.


7.

Und das will der Prophet,

Der in der Luft da steht,

Uns, die wir sicher leben,

Klar zu verstehen geben

Mit seinem hellen Lichte

Und klarem Angesichte.


8.

Sein Lauf ist gar geschwind.

Ach, Gott, laß unsre Sünd

Uns nicht geschwind hinrücken

Und eilends unterdrücken;

Laß uns der Strafen Haufen

Nicht plötzlich überlaufen!


9.

Sein Strahl ist breit und lang,

Macht uns fast angst und bang,

Ach, Jesu, hilf uns allen,

Auf das nicht auf uns fallen

Die hochbetrübten Zahlen

Der letzten Zornesschalen.


10.

Erhalt uns unsern Herrn,

Den schönen edlen Stern,

Laß uns sein Licht beleuchten,[272]

Laß seinen Tau uns feuchten,

Daß wir uns seiner freuen

Und unter ihm gedeihen.


11.

Laß auch noch immerfort

Dein liebes wertes Wort

In unserm Land und Grenzen

Schön rein und helle glänzen;

Wenn dein Wort uns nur blicket,

So sind wir gnug erquicket.


12.

Gedenk an deine Güt

Und laß doch dein Gemüt

Erweichen von uns Armen!

Regier uns mit Erbarmen,

Damit die bösen Zeichen

Ein gutes End erreichen!

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 270-273.
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