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[328] Das Bruch bei Detmold

Der Prätor auf erhöhtem Sitzt. Etwas tiefer neben ihm ein Schreiber. Vor ihnen prozessierende Cherusker.


PRÄTOR. Ein Kohlenbecken unter meine Füße. Das schneit und gefriert hier noch im März. Wir müssen nächstens ein Forum bauen mit Dach und Ofen.

SCHREIBER. Mich wundert nur, daß deine Milde das nicht längst geschehen ließ. Holz, Sandsteine, und sonstige Materialien finden sich dahier in Menge, Bauern, Pferde und Spanndienste in Überfluß.

PRÄTOR. Eröffne die Sitzung.

SCHREIBER lies in seinem Album und ruft dann. Erneste Klopp contra Kater major.

PRÄTOR sieht auch ins Album. Katermeier heißt der Mann.

SCHREIBER. Tut nichts, Herr. Es kommt bei dem Volk wenig auf den Namen an. Es ist doch Vieh. Scheren wir es soviel wie möglich über einen Kamm.

PRÄTOR. Was tat dir Katermeier?

DIE KLOPP. Gott, ach Gott!

PRÄTOR. Heraus mit der Sache und laß die Götter weg.

DIE KLOPP. Er machte mir das vierte Kind und gab mir keinen Heller.

PRÄTOR. Du arme Hure.

SCHREIBER. Vorsichtig. Eine Hure scheint sie noch nicht. Die großen Lehrer Capito und Labeo streiten sich zwar über manche Rechtskontroverse –

PRÄTOR. Ja, auch über des Kaisers Bart.

SCHREIBER, – jedoch sind sie darin eins, daß viel, multum, fünfundzwanzigtausend bedeute, indem Cäsar in seinen Kommentarien die Stärke seines Heeres in Gallien so bezeichnet, und dieses Heer nur aus jener Anzahl bestand. Die Klägerin sieht aber nicht aus, als ob sie schon durch[328] fünfundzwanzigtausendmaliges Unterliegen zu der Vielheit gediehen sei, welche der Begriff von einer Hure erfodert. Sie ist bloß eine Geschwächte, vulgo stu –

PRÄTOR. Halt' die Hand vor deinen übergelehrten Mund. »Kurzab und ohne Erläuterung des Wie und Warum« heißt der Kappzaum für Germanen, denn je mehr du bei ihnen erläuterst und belehrst, je störriger werden sie. Zur Klopp. Du überlieferst deine vier Kinder dem Staat. Der Verklagte erhält 5000 Sestertien für sein wohlerworbenes Vierkinderrecht –

SCHREIBER. Ius quatuor liberorum, versteht ihr?

KATERMEIER. Eher als den Rechtsspruch hätt ich den Einsturz des Himmels vermutet. – Wo empfang ich das Geld?

SCHREIBER. Bei dem Quästor, nach Vorweisung dieses Zettels.

KATERMEIER. Gut. Beiseit. Hunde, sinds doch. Sie wedelten sonst nicht so mit einem Schwanz von trügerischem Edelmut.

SCHREIBER. Warte. Die Sporteln wird man von der Summe abziehn. Sie sind in dem Schein bemerkt.

KATERMEIER für sich. – Dacht ichs nicht? – Ich gehe nach Haus und nicht zu dem rechenmeisterischen Quästor. Der spezifikatzt (wie sie sagen) mir so viel Gebühren, daß ich auf die fünftausend Sestertien noch sechstausend zugeben muß. – Stinchen, siehst du? Du hättest es entweder nicht von mir leiden oder mich doch nicht verklagen sollen!

DIE KLOPP. Du hättest es mir nicht antun sollen! Ich lege dir unsre Kinder vor deine Schwelle.

KATERMEIER. Das tu. Ich will den kleinen Plagen schon vorsichtig aus dem Wege gehn. Ab.

DIE KLOPP. Und ihr Spitzbuben, Landsverläufer, Katzenverkäufer, Links- und Rechtsverdreher, wer bezahlt meine Unschuld? Er hat sie, fort ist er, und ich muß hungern!

SCHREIBER. Gerichtsdiener stopft der Person den Rachen.

DIE KLOPP. Rachen? Mund hast du zu sagen. Doch Rachen! O hätt ich den, und dich Federfuchser unter meinen Zähnen, du solltest bald merken, wie du zu mausern anfingst!

PRÄTOR. Höre nicht auf ohnmächtige Wut. Verzeih ihr. Zu Gerichtsdienern. Führt sie fort und peitscht sie an der Gerichtsmark für ihr freches Maul zum Abschied.

VOLK. Sie durchpeitschen? Sie ist eine Freie!


Die Gerichtsdiener haben ihr die Arme auf dem Rücken[329] zusammengebunden und halten ihr den Mund zu.


SCHREIBER. Mit Erlaubnis, ihr Herren, sie ward jetzt eine Gebundene. Die Klopp wird abgeführt.

– Dietrich, Kläger, einerseits, contra Rammshagel, andrerseits. Kläger, trag deine Beschwerde vor.

DIETRICH. Ich lieh ihm zehn Goldstücke eures Geprägs –

SCHREIBER. Ein mutuum?

DIETRICH. Dumm wars.

SCHREIBER. Lernt Latein und erwägt, daß wir nur aus Nachsicht euer Idiom gebrauchen.

PRÄTOR zum Schreiber. Den leichtzüngigen Galliern brachten wir innerhalb zehn Jahren unsre Sprache bei, diese hartmäuligen Germanen zwingen uns die ihrige auf.

SCHREIBER. Mit den Wölfen heulen, solange man sie noch nicht ganz im Jagdnetz hat. Wieder zu Dietrich. Warum, wozu, auf welche Art und Weise liehest du ihm das Geld?

DIETRICH. Zu Stapelage, im Wirtshaus. Ich schoß es ihm vor zum Knöcheln.

PRÄTOR. Abgemacht. Beklagter ist frei. Spielschuld gilt nicht.

DIETRICH. Hölle und Himmel, die ist ja eine Ehrenschuld!

SCHREIBER zum Prätor. Was mögen die Buben unter Ehre verstehen?

RAMMSHAGEL. Dietrich, ich zahle dir nach einem halben Jahr. Ich kann nicht eher. Mein ältester Junge starb vorige Woche, und die Ärzte oder Quacksalber kosteten mir Geld über Geld, haben ihn auch auf ewig geheilt, in die kühle Erde. Gut. Ihn schmerzt nichts mehr. Er hats besser als sein überlebender Vater. – Hättest mich nicht bei denen verklagen sollen.

DIETRICH. Da sie weit herkommen –

RAMMSHAGEL. Meintest du es wäre viel daran? Pah, sie suchten nicht vierhundert Meilen von Haus, hätten sie etwas daheim. – Schenk mir ein paar Monde Frist; meine letzte Milchkuh erhältst du morgen auf Abschlag. Ich und die Meinen können uns gut mit Wasser behelfen.

DIETRICH. Alte Haut, behalte deine Kuh für dein Weib und deine Kinder. Ich schicke euch morgen eine zweite.

SCHREIBER. Der Ehebruch! Beteiligte, vor.

VOLK. Schrecklich! Wo die Geschworenen?

SCHREIBER. Eorum haud necessitas. Hic acta!

VOLK. Was pfeift der Gelbschnabel wieder? Wärs Gutes, wir[330] verständen es.


Dumpfe Stimmen.


Fürst, Hermann, warum bist du fern von uns und lässest uns verloren und allein? Kehre zurück: wir haben Fürsten nötig!

SCHREIBER. Silentium! – Amelung, sprich.

AMELUNG. Jenes Weib ist seit zehn Jahren meine Frau. Vorgestern erfahr ich zufällig, doch um so mehr zu meinem Entsetzen, daß es schon vor sechs Jahren die Ehe brach.

PRÄTOR. Ist das alles? – Ehebruch und dergleichen dummes Zeug verjährt in fünf Jahren. Hättest du den Mund gehalten, man wüßte nichts von deinen Hörnern.

SCHREIBER. Ja, Amelung: si tacuisses philosophus mansisses!

VOLK. Ehebruch verjährt? Was wird alt?

PRÄTOR. Eure Kehlen schwerlich, wenn sie so unverschämt schreien. Seht neben mir die Arznei für Halsübel: Liktorenbeile.

SCHREIBER. Ah – der Hermann!


Hermann kommt.


DAS VOLK stürzt ihm zu Füßen. Herrscher und Gebieter!

HERMANN. Wir Deutschen sind gelehrig. Schon Kniebeugen euch angewöhnt? Steht auf oder es setzt Fußtritte. Ich bin ein Fürst, und mag kein Häuptling kriechender Sklaven sein. Zum Prätor. Verzeihe, Lucius Curio. Dergleichen euch so plump und bis ins Übertriebene nachgeahmte Gebräuche duld ich nicht, so lang man sie ohne eure Zierlichkeit und euren angeborenen Anstand ausübt. Ihr beschenktet uns mit der Freiheit, – ach, hättet ihr uns zugleich eure Bildung im selben Maße mitteilen können.

PRÄTOR beiseit. Er ist doch ein Schwachkopf.

HERMANN. Wo ist der Prokonsul?

PRÄTOR. Er lagert, wie gewöhnlich, an deinen Hünenringen. – Was bringst du uns Neues von deiner Kundschaftsreise an die Weser und den herzynischen Wald?

HERMANN. Verdächtige Kriegsrüstungen überall. Wir müssen mit gewaffneter Faust anfragen, was sie bedeuten.

VOLK. Wie freundlich tut er mit dem Ausländer, und uns, die wir nach seinen Blicken dürsten, beachtet er kaum.

EIN ALTER CHERUSKER. Haltet das Maul. Er hat was vor, oder ich kenne keine von weißen Zähnen mit Gewalt im Gebiß gehaltene Unterlippe.[331]

PRÄTOR. Das heutige Gericht ist aus.

VOLK. Fürst, wann richtest du?

PRÄTOR. Der Pöbel fragt und tut äußerst frech.

HERMANN. Wie du siehst: gegen mich. Er will noch immer nicht recht sich romanisieren lassen und betrachtet mich als einen Überläufer. Ihr habt kräftigere Maßregeln als bisher gegen ihn zu ergreifen, oder ihr setzt euch selbst und seine euch getreuen Herrscher den größten Gefahren aus.

PRÄTOR. Noch strengere Maßregeln? Das hält schwer. Doch wir werden auch dergleichen wohl noch auffinden, Freund.

HERMANN für sich. Schön, tretet nur den Wurm, je ärger je besser, unter dem Schmerz wächst er zur Riesenschlange und umringelt und zerquetscht euch aus jeder Schlucht, von jeder Höhe, jedem Baum unserer Gebirge.

PRÄTOR. Übrigens fürchte gar nichts. Dich umschart ja Varus mit den drei trefflichsten Legionen Roms, und hundertfunfzigtausend aus euren Gauen nebenbei.

HERMANN für sich. Wir Deutschen »nebenbei!« Na – –! Paß auf! Laut. Seid vorsichtig. Der Germane ist voller Hinterhalt wie seine Wälder.

PRÄTOR. Das weiß ich. Das versteckte Wesen der Waldungen, ihr magisches Blätterrauschen gewöhnen ihn daran. Er hat indes noch nicht soviel Vorsicht und Erfahrung als das Wildbret in ihnen –

HERMANN. Bist du auch schon so was von Jäger?

PRÄTOR überhört die Frage. Pah, der Germane ist noch Barbar, niedriger fast als seine Tiere.

HERMANN. Ich auch?

PRÄTOR erst bestürzt, dann sammelt er sich. Du wardst lange in Rom unter den Prätorianern gebildet und exerziert. Du wurdest eine Ausnahme, und Ausnahmen schätzt man so mehr, je seltner sie sind.

HERMANN. Eine Ausnahme also. – Komm mit, Freund.

PRÄTOR. Ich habe noch einige Geschäfte. Leb wohl bis nächstens. – Scriba!

DER SCHREIBER. Herr?

PRÄTOR. Revidiere diese Protokolle. Mach aus Groschen Taler. Verstehst du? Dein Anteil soll dir nicht fehlen. Wir kennen uns.

SCHREIBER. Scio.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 328-332.
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