Zweiter Tag

[361] Hermann ist an der Eiche eingeschlummert. Sein ganzes Heer, außer den aufgestellten Posten liegt im tiefsten Schlaf. Es stürmt und regnet stark.


HERMANN im Traum. Nein, Präfektus Prätorio, solche sklavische Ehrenbezeugungen mach ich ihm nicht.


Es stürmt und regnet stärker.


Nein, nein, und schreist du auch tausendmal lauter als Sturm und Regen. Er ist nur ein erwählter Kaiser, doch ich bin ein geborener Fürst. Ich grüß ihn, wenn er vorübergeht, meine Kniee beug ich nicht.


Ein Windstoß macht die ganze Eiche knarren und zittern. Hermann erwacht.


Wo war ich? In meinen Jugendtagen? im Palatium? wo ich so oft mit dem Präfektus Prätorio über die Hofgebräuche stritt? Dank dir alte Eiche, du hast mich zur rechten Zeit geweckt, denn der Tag beginnt zu dämmern und im Römerlager rauschts schon als scharten sich Gewaffnete zum Ausrücken. Deine Blätter sollen von jetzt an Deutschlands Zeichen sein. Es kräht ein Hahn. Auf, auf, die Hähne wünschen einander schon aus der Nähe und Ferne guten Morgen!

EIN CHERUSKER der neben einem anderen zu seinen Füßen schläft, erwachend. Ermuntre dich, der Feldherr ruft!

DER ANDERE CHERUSKER schlaftrunken und sich auf die andre Seite drehend. Laß mich zufrieden. Ich habe heute keine Lust, alte Vettel.

ERSTER CHERUSKER. Bei Gott, der meint, er läge bei – Er rüttelt ihn aus Leibeskräften. Du bist ja nicht zu Hause! so

ZWEITER CHERUSKER erwacht. Das spür ich. Ich bin durchgeregnet bis aufs Hemd.

ERSTER. Es wird bald im Kampf trocknen. Das ganze Heer ist schon in Bewegung, und hier kommen unsre Rottenführer.[361]

HERMANN. Horcht, die Ravensberger und die Harzer sind bereits wach, und jagen sie mit Hörnerklang aus der Ruhe. Unsre Pflicht ist, daß wir das aufgescheuchte Wildbret nicht entwischen lassen.


Die achtzehnte Legion will vorauf aus dem Lager marschieren.


HERMANN eilt ihr mit Truppen entgegen. Halt!

VARUS in der Mitte der Achtzehnten, welche stutzt. Laßt ihr euch schon von Feinden gebieten? Heut sind wir im Vorteil, bloß weil wir im Tal mit dem Feinde auf gleichem Grund und Boden stehen –

EIN LEGIONÄR für sich. Hätten wir gestern auch nur nicht mit ihm auf seinen Bergen angebunden.

VARUS. Speerträger brecht vor, ihr leichten Truppen und ihr Principes entfaltet euch zu beiden Seiten, Triarier seid die Nachhut – Wir wollen nach Süden zu hinausmarschieren.

DER LEGIONÄR für sich. Weil wir müssen.

VARUS. Wehe dem, der uns hindert! –


Die Legion bricht in der befohlenen Ordnung aus dem Lager, und die Deutschen müssen weichen. Varus zu der Legion.


So! euch fehlte nur der schickliche Platz, jetzt habt ihr euch entfaltet, ein Adlergefieder!

HERMANN. Daran soll in diesen Tälern schon gerupft werden.


Die neunzehnte und zwanzigste Legionen folgen dichtgedrängt der achtzehnten auf dem Fuß.


EIN SOLDAT DER ZWANZIGSTEN LEGION. Was fehlt der neunzehnten, sie marschiert ja mit gesenkten Köpfen vor uns her?

EINER SEINER KAMERADEN. Sie, die immer gegen uns so gern vornehm tun wollte, schämt sich heut. – Bemerkst du nicht, daß ihr der Adler fehlt?

ERSTER SOLDAT. Wo ist er denn?

ZWEITER. Du hast fest geschlafen. Die Reiter des Cheruskatyrannen sprengten ja die ganze Nacht um unser Lager und schrieen: »einen Vogel hat der Fürst gefangen, sein Pferd hat ihn in den Dreck gestampft!«

HERMANN. Helft doch unserer armen Retlage! Sie wollen den Bach überschreiten, und so klein er ist, wehrt er sich und schwillt ganz ärgerlich auf!


Kampf. Unter vielem Verlust erzwingt Varus den Übergang über die Retlage.


Ihr drei Reiter, eilt zu den Ravensbergern, daß sie mit ihren[362] Spießen besser den Feind in die Fersen stoßen! Sagt ihnen, wir wären an seinem Kopf!

VARUS. Verzaget nicht! Noch bricht die Sonne durch die Wolken, noch gibt es Sieg und Tod, und zu erwürgende Germanen!

HERMANN. Laßt ihnen keine Ruhe!

EGGIUS. Prokonsul –

VARUS. Was ist dir?

EGGIUS. Gib mir die Hand. – Ich bestelle Quartier, du wirst bald nachkommen. Denn durch all diese Schluchten und Waldungen gelangst du nicht nach Haus. Er stürzt sich in sein Schwert.

VARUS. Die Memme! Auf die Art kann man in der Tat leicht seinen Pflichten gegen Kaiser und Reich, so wie jeder Lebenslast entwischen. Reißt ihm Rüstung und Kleider ab, und werft den alten Ausreißer nackt beiseit.


Zu einem Kriegstribun.


Verfüge dich zur Neunzehnten und übernimm statt seiner den Befehl bei ihr.


Der Kriegstribun reitet zur Neunzehnten.


HERMANN. Sie helfen uns! Sie töten sich schon selbst! – Sturm und Sturm und unermüdlich!


Die Legionen kommen unter beständigem Handgemenge bis auf das Bruch bei Detmold.


VARUS. Haltet!

HERMANN. Hier ist die Stätte, wo sie über euch richteten, schalteten und sportulierten, nach Belieben! Vergelten wirs ihnen auf dem nämlichen Fleck, das Schwert in der Faust!

VARUS. Weist sie kaltblütig ab. Für sich. Bei jedem Schritt merk ich, daß der Eggius, wenn auch nicht rechtlich, doch klüger gehandelt hat als ich dachte. Ich werde wohl bald mit meinen Kriegern seinem Beispiel folgen müssen. Es ist seit gestern früh keine Brotkrume mehr im Heere und die Tapfren fechten und sagen nichts davon. Sollte das nicht die härteste Brust erschüttern?

DER SCHREIBER kommt mit einem Bündel Akten. Hoher Herr, nimm dir einen Augenblick Zeit. Hier ist der Schreibstift. Unterzeichne und legalisiere dies Dokument.

VARUS. Jetzt? Siehst du nicht die Spieße und Pfeile, welche uns umfliegen?

SCHREIBER. Nein, die Legalisation der Akte ist zu dringend.[363]

VARUS. Die feigen Schreibfüchse sind vor einer mangelnden Vidimation ihrer Akten bänger als vor ihrem Leben?

SCHREIBER. Nämlich: das Dokument begreift eine Verschreibung über verschiedene dahier gelegene Ländereien, welche du dem Quintus Acerba schenktest, und die er vor einigen Tagen dem Marcus Manius verkauft hat. Letzterer, der bereits zwanzigtausend Sestertien auf die Güter bezahlt hat, ersucht mich, bei den eingetretenen bewandten Umständen, unter welchen das Land leicht an die Cherusker verloren gehen könnte, ihm diesen Kaufkontrakt abschriftlich mitzuteilen, damit er, wenn er hier sein Eigentum verliert, in Rom aus irgend einem Rechtsgrund Regreß gegen den Gegner ergreifen kann, der auch mir in dolo zu sein scheint.

VARUS. – Die Triarier sollen zwar stets als die letzten und besten im Kampf aufgespart werden, doch kehren wir die Ordnung um, brauchen wir sie einmal als die vordersten. Cäsar kehrte auch oft eine Regel um und siegte. – Triarier der drei Legionen, vereinigt euch und stürzt dem Feind auf den Hals mit gefällten Speeren!

SCHREIBER. Meine Sache ist dringend, denn der Marcus Manius –

VARUS. Hat dich wohl gut bezahlt?

SCHREIBER. Ich bitte, unterzeichne!

VARUS. Schafft mir den gelbhaarigen Federhelden fort!

SCHREIBER indem er abgeführt wird. Ich habe das meinige getan!


Die Triarier haben Hermann zum Weichen gebracht.


VARUS. Ah, etwas Luft!


Angriffe der Harzer und anderer deutscher Völker im Rücken und zur linken Seite der Römer.


Neunzehnte, verdien dir einen neuen Adler! Stoßt Hermanns Bei-Kläffer zu Boden! – – Setzen wir uns in Detmold fest.

EIN LEGAT. Das geht nicht, Prokonsul. Der Ort ist abgebrannt, wie alle übrigen Flecken, Dörfer und Weiler umher.

VARUS. Ich bin müde. Erfrischt euch mit dem Wasser dieses Bachs, Soldaten, und schlagt das zweite Nachtlager auf. Zwar steht die Sonne noch ziemlich hoch am Himmel, doch wir haben heut genug getan und morgen einen schweren Gang vor uns.

HERMANN. Alle Himmel, sie gönnen uns nicht das Wasser[364] mehr! Wie sie sich an das Flüßchen legen! Überschüttet sie mit Pfeilen, sonst saufen sie es rein aus!

VARUS. Trinkt euch satt, Kinder, und schüttelt ihre armseligen hölzernen Pfeile von den Helmen, wie ich diese Regentropfen davon schüttle. Er blickt sich um und sieht die übrigen mit dem Aufwerfen der Lagerwälle beschäftigten Krieger. Die dürfen auch nicht dursten! Bringt ihnen Wasser –


Viele der Soldaten nehmen, ohngeachtet aller Gefahr und obgleich manche mit den unbedeckten, pfeilgetroffenen Köpfen verwundet oder tot in den Fluß stürzen, ihre Helme ab, füllen sie mit Wasser und bringen es ihren am Lager arbeitenden Kameraden.


EIN VETERAN. Dank dir für den Labetrunk! – Jetzt will ich weiter arbeiten – Er will mit dem Spaten auf den Wall noch Erdschollen werfen. Ich kann nicht mehr. Die anderen werdens auch nicht besser machen. Tagelang nur Hunger, Durst, und Kampf. Das spürt man allmählich. Nicht? Er sinkt nieder und stirbt. Viele seiner Mitarbeiter fallen ebenso.

VARUS. Hört auf, und laßt den Wall so, wie er jetzt ist. Er hat nur die halbe Höhe, doch statt daß ihr bei seinem völligem Aufbau sterbt, wollen wir wagen, auch hinter halben Wällen zu ruhen und uns nötigenfalls zu verteidigen. – Der Feind ist auch matt, und wir dürfen uns schmeicheln: er ward es nicht ohne unsre Schuld. Auf allen Ecken zieht er sich zurück.
[365]


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 361-366.
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