Der 31. Psalm

Auf ein andere Art verfertigt

[22] Von Georg. Phil. Harsd.


Im Ton: In dich hab ich gehoffet, Herr.


1.

Mein Gott und Herr! ich traue dir.

Dein Ohr in Gnaden neig zu mir,

Daß ich nicht werd zu Schanden.

Sey du mein Fels, Burg, Hort und Zier

In Noht und Todesbanden.


2.

Geleite du mich fort und fort,

Errette mich von diesem Ort,

Da mir das Netz gestellet.

Du bist mein Stärck; es macht dein Wort

Daß ich nicht werd gefället.[22]


3.

Herr, meinen Geist befehl ich dir:

Getreuer Gott, weich nicht von mir,

Du, du kanst mich erlösen!

Du bist mein Retter für und für

Und hilffst mir von den Bösen.


4.

Ich hasse den, der Falsches lehrt,

Und hoff auf den, der mich erhört,

Und freue mich deß Herren;

Dann seine Güte wird vermehrt,

Und er ist mir nicht ferren.


5.

Auf ihn nun meine Seele traut,

Weil er auch auf mein Elend schaut

Und mächtig mich wil retten.

Wann meiner Feinde Hand mir draut,

Kan ich frei einher tretten.


6.

Ach Herr! erweise du mir Gnad:

Mein Leib sich gantz verfallen hat

Für Aengsten meines Hertzen.

Mich qvälet meine Missethat

Mit vielen JammerSchmertzen.


7.

Dieweil es mir nun übel geht,

Hört niemand meine Trauers-Red,

Die mich ein Scheusal nennen:

Mein Nachbar weit von ferne steht

Und will mich nicht mehr kennen.


8.

Mein ist vergessen hier und dar

Wie deß, den auf der Leichenbar

Der Tod hat aufgefressen:

Wie ein Gefäß zerstücket gar,

So wird auch mein vergessen.


9.

Viel schelten mich mit hartem Wort

Und halten Raht an ihrem Ort,

Mich gäntzlich hinzurichten.

Ach HERR! wehr ihrem Haß und Mord,

Du kanst sie leicht vernichten.


10.

Ich aber, O HERR! hoff auf dich:

Du bist mein GOTT und rettest mich

Von meiner Feinde Handen,

Und deine Güt erweiset sich,

Daß ich nicht werd zu Schanden.


11.

Mein Gott und Herr! dich ruff ich an

Der du der Bösen bösen Wahn

Kanst leicht zu Spotte machen.

Ihr Straffe niemand wehren kan,

Weil sie mein hönisch lachen.


12.

HERR! deine Güt und deine Macht

Ist übergroß von mir geacht,

Ob du sie gleich verborgen,

Und heimlich ob uns allen wacht

Vom Abend biß an Morgen.


13.

Wol dem, deß Hertz vest auf dich traut

Und mit Gedult nur auf dich schaut:

Du schirmest seine Hütten.

Wer trotzet, hat auf Sand gebaut,

Der ihn wird überschütten.


14.

Gelobet sey der Herr allein:

Sein Wunder soll gepriesen seyn,

Deß Hülff ich wol genossen,

Als ich sprach in der grössten Pein:

Nunmehr bin ich verstossen.


15.

Der Herr soll seyn von uns geliebt,

Der uns deß Glaubens Schutze gibt

Und gegen stoltzes Plärren

Gewaltig Rach und Straffen übt.

Getrost, und harrt deß Herren!


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 22-23.
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