Auf eine Sammlung Klopstock'scher Oden

[295] Ja, sammelt sie, die Blätter, die zerrissnen,

Zerstreuten Waisen Deutschlands! Süße Blüthe,

Soll sie denn gar der Nord verwehn?


Versammelt sie! Dem Bard' am tiefen Sunde

Soll hier auf Kattenhöhn, auf Traubenbergen

Sein Kranz der Wonnelieder blühn!


Denn seine Wonnelieder sind sie! Blumen

Der ersten Frühlingsseele! sind die Bräute

Der Morgenröthe Phantasie


Von Klopstock's Leben! Ach, der Bardejüngling

Schuf damals noch sein Schäfer-Eden, schuf es

Weltüber! denn auf dieser Welt,


Wo ist's? Rief Fanny, die er noch nicht kannte,

Und Fanny, die er nie, nie kennen sollte,

Sang seine Meta! Meta selbst


Ward ihm ja Jugendtraum nur! Und in Anbruch

Des Traums, in Ahnungs-, in Prophetenfarben

Da war's! da taucht' er seinen Kiel


Und schuf sich Rosenhimmel! Spricht mit Engeln

Als Brüdern, mit dem Gott, der Engel Vater,

Als liebezartes jüngstes Kind,
[295]

Das ihm im Schooße lacht. Lacht Himmel um sich,

Und wo der Himmel Nacht wird, o, da dämmern

Ihm Thränen neues Himmelreich.


Aufklären sie die Blick' ihm, daß er Zeiten

Weissagt, die kommen – weil sie kommen sollen!

Und laben ihn mit Ahnungstraum,


Mit Wiedersehn, mit Auferstehungsfreuden,

Mit Dortumarmen, mit der Krone Dämmrung,

Die hier ihm, ach, zur Dornkron' ward!


Eilt dann ins Freundechor hin, dichtet Freunde

Sich hin ins Leben; sie sollen's jetzt ihm werden!

Und haucht sie mit Begeisterung


Der Täuschungstund' an. Ach, der Bardejüngling

Sah Menschen noch als Bilder! holde Schatten

Des Teppichs! Liebetrunkner Blick,


Du hattest nicht getastet, und die Bilder

So wändeflach gefunden! – Menschenschöne

Ist Außenwerk, ist Hülle nur,


Ist schöne Farb' und Gliederwohllaut. Innen

In Eingeweiden der Natur, in Rädern

Des Kreiselaufs, wo ist sie da,


Die süße Täuschung? wo die Morgenrosen

Der Wangen und der schöne Puls des Busens

Und aller Reize Zaubermacht? –


Doch weg, Zergliedrerstahl! Du Menschheitmörder,

Der Mörder aller Reiz' und Lebensfreuden,

Weg in des kalten Todes Hand,


Nicht in die Hand des Jünglings! Geht, Ihr Freunde

Der Unschuldslieb' und Wonn' und ihrer Muse

Und ihres Thränenlustgesangs,


Geht, Freunde Klopstock's! und der schönste Segen

Der Menschheit segn' Euch: seid o süß getäuschet

Von Lied und Wonn' und Lebenszeit!


Ihr sollt mit Klopstock weinen! Eure Thränen,

Die Kinder schöner Herzen, solln ihn schöner schmücken

Als harter Meeresperlen Kranz!
[296]

Ihr sollt mit Klopstock weinen! und, in Blumen

Des nahen Frühlings hinzerfließend, fühlen,

Ihn fühlen, Lebens ganzen Werth!


Ein Freud'–, ein Freundschaftsbeben! zwischen Bergen

Der alten guten Katten, an den Grenzen

Des trugverarmten Galliens!


Sollt Euch da stilles Eden schaffen, Reben

Des süßen Wahnes trunkner Stirn umschlingen

Und allvergessen, was die Welt


(Die große Sklaven-, Trug- und Narren- Erde!),

Vergessen, was sie wirklich ist, und schaffen

In Euch und um Euch Eure Welt,


Und dann mit Klopstock's jauchzen! Eure Fürstin,

Von Kön'gen einst und Königinnen Mutter,

Heil Euch, daß sie mit Klopstock fühlt!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 295-297.
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