Vierte Scene.


[367] Vorige. Nettelbeck tritt hastig ein, der Volksmenge zuwinkend, die ihm das Geleit gegeben hat.


Schon gut, schon gut! Still, sag' ich. Geht nach Haus!

Ihr seid nicht klug, daß ihr mich leben laßt.

Uebt lieber das Vive l'empereur! euch ein,

Doch besser noch: legt euch aufs Ohr und schlaft!

Das ist das Rathsamste in faulen Zeiten.


Lachen und Zuruf draußen, Nettelbeck schließt die Thür und tritt rasch ins Zimmer.


Na, das war wieder mal ein saubres Stück![367]

Ich muß wahrhaftig fest gezimmert sein,

Daß all der Aerger mich nicht mürbe macht.

Guten Tag auch, Mutter Blank! – O Zeiten, Zeiten!


Wirft sich in den Lehnstuhl vor dem Schreibsecretär.


ROSE eilig zu ihm tretend.

O Pathe, ist es wahr? Sie reden wirklich

Von Capitulation?

MUTTER.

Laß doch den Pathen

Erst zu sich kommen. Kann ich Euch vielleicht

Was Stärkendes, ein Gläschen Danziger –

NETTELBECK.

Dank, Mutter! Lieber einen Aderlaß.

Denn seht, für meine neunundsechzig Jahre

Hab' ich noch zu viel Blut, Gott sei's geklagt!

Ja, unser Commandant, der weiß es besser,

Daß alte Knaben ihre Ruhe brauchen.

Ich aber, wie 'n blutjunger Sausewind,

Gleich Feu'r im Dach und mir das Maul verbrannt,

Pfui doch!

ROSE.

Es ist nicht möglich, nimmermehr!

Die Stadt ausliefern ohne Sturm? – O sagt,

Ihr wart beim Commandanten?

NETTELBECK.

Ja, mein Kind,

Und eines alten Seemanns Mundbattrie

Hat ihre gröbsten Stücke spielen lassen.

MUTTER.

Ihr redet Euch noch um den Hals!

NETTELBECK.

Gevattrin,

Ihr seid 'ne wackre Frau, doch manches Mal

Verdammt schwachmüthig. Euer sel'ger Mann,

Mein guter Martin Blank, der dachte anders,

Und meine Rose ist ihm nachgeschlachtet.[368]

Sag' Mädchen, sollt' ich dazu stille schweigen,

Wenn über Colberg's Stadt und Bürgerschaft

Verhandelt wird wie über einen Schafstall

Und eine Lämmerheerde?

ROSE.

Also doch?

Sagt: ein Parlamentär –

NETTELBECK.

Und was für einer!

Es schien, er hatte Colberg schon im Sack.

Denn mit vier Pferden kam er angefahren,

Zum Mühlenthor herein, im schönsten Staat,

Ein schmucker Herr Trompeter auf dem Bock,

Zwei Nobelgarden, herrlich aufgeputzt

Wie zur Parade, rechts und links am Wagen,

Der langsam, daß man Zeit zum Staunen hätte,

Mit schmetterndem Trarah den Einzug hielt.

Ich kam gerade von den Schleusen her,

In Wasserstiefeln, trefflich abgemattet,

Da seh' und hör' ich diese Fastnachtsposse,

Die just am Commandantenhause hält,

Und unser alter Herr in großer Gala

Steht richtig schon mit ganz scharmanter Miene

Vorn auf der Rampe und complimentirt

Den werthen Herrn Franzosen in sein Haus.

Holla! dacht' ich bei mir, da müssen wir

Doch auch dabei sein! – Also stracks hinauf.

Da sah das Ding denn ganz besonders aus.

Der Vorplatz voll von Offiziers, die alle

Die Köpfe hängen ließen; von dem Alten

Und seiner Staatsvisite nichts zu sehn.

Die Beiden hatten sich wie Liebesleute

In einem Zimmer traulich eingeriegelt,

Und kaum ein Wispern drang zu uns heraus.

ROSE.

Verrathen und verkauft![369]

NETTELBECK.

Ja, danach schmeckt' es.

Seit Magdeburg und Neiße liegt so was

Hier in der Luft. Ich aber faßte mir

Ein Herz. Was? sagt' ich zu den Offiziers,

Sie stehn hier, meine Herrn, als ging' Sie das

Den Teufel an, was drin verhandelt wird?

Da zuckten sie die Achseln: ihrem Chef

Belieb' es so. – Was schiert uns sein Belieben,

Wenn seine Pflicht zu thun ihm nicht beliebt?

Herr Hauptmann, sagt' ich, sprengen Sie die Thür;

Sie sind dazu der Nächste nach dem Rang

Und wissen, denk' ich, ganz so gut wie ich,

Was auf dem Spiel steht. Wie ich noch so rede,

Kommt meine alte Freundin, die schon zehnmal

Die Augen gern mir hätte ausgekratzt,

Die Mamsell Flips, Haus- und Zuhälterin

Des Alten, wie 'ne Furie, sag' ich euch,

Kommt mir das Weibsbild auf den Flur gestürzt:

Wir sollten leiser sprechen, nämlich ich;

Denn alle Andern pfiffen kaum wie Mäuse.

Was? sagt' ich, leiser sprechen? Nein, Mamsell,

Noch lauter sprechen, noch bedeutend lauter,

Daß Ihrem alten Herrn die Ohren gellen.

Und damit klopf' ich an, erst sacht, dann stärker,

Bis endlich, sehr ungnädig, der Herr Oberst

Die Thür aufriegelt und mit rothem Kopf

Herausruft, wer sich unterstünde? – Ich, Herr,

Sagt' ich und schob den Fuß gleich in die Thür,

Daß, ungern oder nicht, er hören mußte, –

Ich, Nettelbeck, Bürgerrepräsentant,

Und wollt' nur eben sagen, daß die Stadt

Nicht daran denkt, die Schlüssel auszuliefern.

Und wenn die Herrn Soldaten so für sich

Ein Capitulatiönchen schließen wollen,

So wird die Bürgerschaft den Wall beziehn,

Da jeder Colberger geschworen hat[370]

In seinem Bürgereide, Gut und Blut

An die Vereidigung der Stadt zu setzen.

Und dieser Eid, Herr Commandant – das sagen

Sie auf Französisch Ihrem guten Freund –

Wer dazu räth, daß wir ihn brechen sollen,

Der ist ein – nun, da braucht' ich denn ein Wort,

Das wol ein bischen stark gepfeffert war.

Deutsch aber war's; der Franzmann selbst verstand's.

Nur hätte mir der Alte, wie er's hörte,

Ums Haar den Degen durch den Leib gerannt,

Wär'n nicht die Offiziers dazugesprungen;

Die schoben mich hinaus. Indessen schien's

Gewirkt zu haben. Zehn Minuten drauf

Fuhr die Karosse richtig wieder ab,

Diesmal im Trab, und ward auch nicht geblasen.

Ich aber hatte meinen Aerger weg!

Und jetzt, Gevattrin, gebt mir einen Danz'ger,

Daß ich den Gift mir von der Zunge spüle.


Die Mutter geht nach dem Wandschrank.


ROSE Nettelbeck um den Hals fallend.

Ich muß Euch küssen, Pathe.

NETTELBECK.

Immerzu!

Auch das ist eine Herzstärkung, mein Kind.

Holla! was macht der Junge da für Augen?

Am Ende gar – ich will nicht hoffen, Junge,

Daß es dir leid ist um die Staatsvisite!

MUTTER.

Ach redet ihm nur einmal ernstlich zu;

Denn eben da Ihr kamt –

NETTELBECK aus ihn zugehend.

Was soll's, Herr Querkopf?

HEINRICH.

Ich bitt' Euch, laßt mich schweigen. Wozu führt's,

Zu streiten? Jeder bleibt bei seinem Sinn.[371]

NETTELBECK sieht ihn ernsthaft an.

Hör, Junge – –! Doch ich will mich nicht ereifern.

Du warst ja in Paris. Seitdem, versteht sich,

Ist unser Colberg nur ein Bettlernest,

Und ob die große Nation den Brocken

Auch noch in ihre große Schüssel wirft,

Was liegt daran? Gesegnete Mahlzeit! Wir –

Wir sind Weltbürger; ob wir nebenher

Colberger, Preußen, deutsche Männer sind,

Ein Narr, wen das bekümmert!

HEINRICH.

Ihr verkennt mich,

Bei Gott! Wenn noch ein Schein von Hoffnung wäre,

Dem Feind die Stirn zu bieten –

NETTELBECK.

Halt, mein Sohn!

Pfeifft du aus dieser Tonart? Laß dir sagen:

Dergleichen weise Reden kennen wir.

Auf jedem Schiff hat's so ein paar Kamraden,

Die, wenn der Teufel los ist und die See

Schon Mast und Steuer hungrig eingeschluckt,

Dann, grade so wie du, von Weisheit triefen.

Wozu sich noch abrackern, sagen sie,

Da 's doch nichts hilft? Und werfen sich in Winkel

Und schieben noch ein Priemchen in die Backe,

Geh's drunter nun und drüber. Schande! sag' ich.

Das heiß' ich Männer, die die Arme rühren,

So lang ein Lappen Tuch zusammenhält;

Denn Wind und Wetter stehn in Gottes Hand,

Und eh man's denkt, kommt wieder stille See

Und guter Wind. Dann flickt man seine Schäden,

Wenn nur hier drinnen Alles dicht geblieben.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 367-372.
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