Dritte Scene.


[390] Vorige. Die Bürger treten nach und nach ein.


KELLERMEISTER zu Gneisenau.

Dies, mein Herr Major,

Ist Rathsherr Grüneberg. Der mit ihm spricht,

Ist Kaufmann Schröder, hatte ehedem

Sechs große Schiff' in See, ein schwerer Mann;

Spürt jetzo auch den Krieg. Dann kommt der Herr

Stadtzimmermeister Geertz, der vor sechs Jahren

Den neuen Dachstuhl der Marienkirche –

Mit gütiger Erlaubniß, Herr Major!


Geht den Gästen bewillkommnend entgegen und wechselt Blicke und leise Reden mit ihnen, auf Gneisenau deutend, der sich in ein Zeitungsblatt zu vertiefen scheint. Die Bürger nehmen Platz an dem Mitteltische.


GRÜNEBERG zu Schröder, während sie sich setzen.

Ja, ja, Herr Nachbar, Ihr seid zu jung,

Wisst nichts von der grausamen Theuerung,

Die Anno dreiundvierzig die Stadt

Schlimmer als der Franzmann belagert hat.

Ich trug meine ersten Stiefel grade

Und weiß noch, wie ich erschrocken war,

Als die Mutter sagte: man wird noch gar

Das Schuhwerk lochen. Das däuchte mir Schade,

Mehr um die Stiefel als um den Magen.

Der Scheffel Roggen ward, ungeprahlt,

Mit einem Thaler acht Groschen bezahlt.

SCHRÖDER.

Und das Geld war theurer in jenen Tagen.

Jakob!


Der Kellner bringt Bier.


Frischen Tabak! Nummer Drei.

KELLERMEISTER vortretend.

Die Sorte ist leider ausgegangen.

GRÜNEBERG.

Bitte, Herr Nachbar, nur zuzulangen;

Hier ist noch ein Restchen.

SCHRÖDER.

Ich bin so frei.[391]

KELLERMEISTER.

Die Bremer Schiffer fürchten sich wol,

Sie würden vom Feinde aufgefangen.

GRÜNEBERG.

Wenn man nichts Schlimmres entbehren soll,

Als seine gewohnte Sorte, da hat's

Noch keine Noth um 'nen festen Platz.

Damals war freilich der Jammer groß,

Als ein Schiff mit Roggen dicht vor der Bucht

Zu scheitern kam und rettungslos

Die See einschluckte die liebe Frucht.

Ich fah's mit an von der Münder Vogtei,

Und meine, mir klingt noch in den Ohren

Der Weiber und Kinder Wehgeschrei,

Und die Männer hatten den Kopf verloren.

Und dennoch half uns der gnädige Gott.

GEERTZ.

Er wird auch helfen aus dieser Noth.


Rector Zipfel tritt ein, mit langer Pfeife, ein Sammtmützchen auf dem Kopf.


ZIPFEL.

Guten Abend, ihr Herrn!

GRÜNEBERG.

Guten Abend! Wie steht's,

Herr Rector?


Zipfel geht langsam an das Schachtischchen vor, setzt sich und fängt an das Spiel aufzustellen.


ZIPFEL.

Wie man's treibt, so geht's.

Aequam memento –!

GRÜNEBERG.

Da habt Ihr Recht:

Memento mori, es kommt an uns Alle,

Sagte die Katz' zur Maus in der Falle.

Die Frau doch munter?[392]

ZIPFEL.

Nicht gut, nicht schlecht.

Ist immer mit Insomnie geplagt.

GRÜNEBERG.

Das soll sehr weh thun, wie man sagt.


Halblaut zu Schröder.


Curios! In so einem Rectorshaus

Bricht immer was Lateinisches aus.


Laut.


Sieh da, der Würges!


Würges tritt ein, geht rasch auf das Tischchen zu, an welchem Gneisenau sitzt.


WÜRGES.

Da sitzt er ja!

Na, Alter,


Gneisenau auf die Schulter klopfend.


der Arndt ist wieder da.

Was bringt die Rose? – – Wetter und Blitz!

Das ist ja gar nicht –


Setzt seine Brille auf.


Bitt' um Excüse!

Das ist sonst Nettelbecken sein Sitz.

Meine Augen – kann ich mit einer Prise? –


Bietet ihm die Dose. Gneisenau lehnt ab.


Meine Augen sind nicht mehr die jüngsten.

Mit wem hab' ich –

GNEISENAU.

Ich warte hier

Auf Lieutnant Brünnow. Die Herren verzeihn,

Ich störe doch nicht?

WÜRGES.

Nicht im Geringsten.

Den Herrn Lieutnant respectiren wir.

So wie Der sollten Alle sein,

Dem Bürgersmann auch seine Ehre geben,

Dann wär's in der Stadt ein andres Leben.

Ich, Herr, bin auch Soldat gewesen

Und jetzt ein lahmer Invalid.

Aber was man heutzutage sieht,

Das faule, kamaschenknöpfige Wesen –[393]

GRÜNEBERG halblaut.

Pst, Würges! Den Finger auf den Mund!

Ihr wißt ja nicht –

WÜRGES mit einem prüfenden Blick auf Gneisenau.

Habt Recht, Gevatter!

Zwar recht was Resolutes hat er,

Doch die Besten sind heut nicht ganz gesund.


Kommt in den Vordergrund.


Na, wie sieht's aus, Altmeister Geertz:

Machen wir ein Spielchen?

GEERTZ.

Hab' nichts dagegen.


Steht auf und setzt sich zu Würges vorn an den Kartentisch.


KELLERMEISTER.

Jakob, die Pfeifen! Wie lange währt's?

WÜRGES.

Partie einen Sechser?

GEERTZ.

Meinetwegen!

GRÜNEBERG zu Würges.

Bringt Ihr was Neues?

WÜRGES Karten mischend.

Nichts Gescheidts.

Das Ding will einschlafen beiderseits.

Auch für dem Feind seine neuen Approschen

Geb' ich keinen rothen Silbergroschen.

GRÜNEBERG.

Sie scheinen ein Plänchen auszuhecken,

Um uns im Schlaf in den Sack zu stecken.

WÜRGES.

Aber ich war in der Vorstadt eben;

Da ist ein Gewimmel, ist ein Leben!


Heinrich tritt ein, mustert rasch die Gesellschaft, spricht leise, auf Gneisenau deutend, mit dem Kellermeister und setzt sich dann, den Rector begrüßend, stumm und finster an den Schachtisch.
[394]

SCHRÖDER.

Was hat's denn gegeben?

Liegt ja schon Alles in Rauch und Asche.

WÜRGES während er eifrig spielt.

Ja, nun kommen die armen Narren,

Die der rothe Hahn aus den Betten gekräht,

Um irgend ein altes Hausgeräth,

Einen eisernen Topf, eine rußige Flasche

Aus den Trümmern herauszuscharren;

Schimpfen dabei auf den Gouverneur,

Daß dem Alten die Ohren klingen müssen.

SCHRÖDER.

Der hat für so was kein Gehör.

GEERTZ.

Sagt lieber: er hat kein Gewissen.

Konnt' er die Vorstadt nicht stehen lassen?

GRÜNEBERG.

Der Feind sollte drin nicht Posto fassen.

WÜRGES.

Ja lassen wir ihn erst so weit kommen,

Wird uns doch Luft und Athem benommen.

Dann findet er Deckung auch hinterm Schutt

Und schießt uns totalemang caput.

GRÜNEBERG.

Das ist des Alten Tactik eben,

Wie die Spinne im Netz zu kleben,

Statt frisch aus dem Thor und drauf und drein

Dem Feind immer auf dem Nacken zu sein.

Im Siebenjährigen ward kein Haus

In der Lauenburger Vorstadt niedergebrannt.

SCHRÖDER.

Da war auch der Heiden Stadtcommandant

Ja damals!

GEERTZ.

Ich steche mit Schellendaus.[395]

GRÜNEBERG.

Und wenn's durchaus gebrannt sein mußt' –

Denn, meine Herrn, nicht zu vergessen:

Die Kriegskunst hat verdammte Finessen –

Warum so halsüberkopf sie just

Anzünden, daß kaum aus ihren Betten

Die Eigenthümer sich durften retten?

Man hat sie ja freilich untergebracht

In der innern Stadt; doch ihre Habe,

Ihr bischen Wohlstand ging zu Grabe;

Sie sind Bettler!

WÜRGES.

Daran wird nicht gedacht.

Fällt so einem Großhans mal was ein,

Dann meint er, er sei wunder wie klug,

Dann muß es im Hui geschehen sein.

Ich spiele Herzkönig.

ZIPFEL zu Heinrich.

Was hast du heut,

Mein Sohn?

HEINRICH ausweichend.

O Nichts!

ZIPFEL.

Du bist so zerstreut.

HEINRICH.

Schach Ihrem König! Sie sind am Zug.

WÜRGES.

Eins möcht' ich nur wissen.

GRÜNEBERG.

Was wäre das?

WÜRGES.

Wenn der alte Fritz aus dem Grabe stiege,

Was Der wol sagte zu diesem Kriege.

GEERTZ.

Ja der verstünd' eben keinen Spaß;

Der wüßte die Feinde anders zu fassen,

Statt sich in die Klemme drängen zu lassen,[396]

Vom Thron herunter bis auf den Schemel,

Von Berlin bis hinten hin nach Memel.

GRÜNEBERG.

Ich muß sehr bitten –

SCHRÖDER.

Der Geertz hat Recht.

Ja, dann wär's anders!

GRÜNEBERG.

Nachbar, Ihr sprecht,

Wie Ihr's versteht.

GEERTZ.

Das thut ein Jeder,

Ich mit dem Maßstock, Ihr mit der Feder.

WÜRGES.

Herzdame! – Bedient, statt Euch zu zanken.

Darüber kann kein Streiten sein:

Führ' der alte Fritz mit dem Krückstock drein,

Wir würden all' unserm Herrgott danken.

Jetzt haben wir auch Generals die Menge,

Den Scharnhorst, den York und den alten Blüchern;

Die verstehn den Krieg in die Breit' und die Länge,

Aber wie man ihn lernt aus Büchern.

Ja wenn wir nur noch den Ziethen hätten,

Der fackelte nicht, das wollt' ich wetten.

Der sprach vor der Torgauer Action:

»Meine Herrn, heut haben wir Bataille.

Unter uns ist keine feige Canaille;

Es muß gehn wie mit Butter geschmiert!« –

Nun, wenn man so wird geharanguirt,

Da ist's kein Wunder, wenn Alles fliegt

Und die Victoria beim Wickel kriegt.

GEERTZ.

Ja, ja!

WÜRGES.

Und der Herr Napoleon

Der pfiffe schon längst aus anderm Ton.[397]

GEERTZ.

Wollt's meinen!

HEINRICH aufspringend.

Ich kann's nicht länger hören,

Wenn ich auch weiß: was ich sagen muß,

Wird neuen Streit heraufbeschwören.

ZIPFEL ihn festhaltend.

Mein Sohn, du machst dir nur Verdruß.

HEINRICH.

Ich weiß, daß ich hier der Jüngste bin –

WÜRGES.

Ist nicht der schlimmste von Euren Fehlern!

HEINRICH.

Auch kommt mir's wahrlich nicht in den Sinn,

Dem großen König den Ruhm zu schmälern –

WÜRGES.

War' auch ein Kunststück!

HEINRICH.

Wer aber sagt,

Daß ihn der Corse nicht überragt,

Der –

WÜRGES.

Donner und Wetter!


Wirft die Karten hin, Geertz hält ihn zurück.


Ausreden lassen!

WÜRGES.

Wer das sagt – Kreuzhimmelschwerenoth! –

Ist ein miserabliger Patriot,

Ein –


Die Bürger sind aufgestanden und haben sich nach vorn gedrängt. Nur der Rector ist sitzen geblieben und Gneisenau im Hintergrunde.


GRÜNEBERG.

Still doch!

HEINRICH zu Würges.

Mit Euch red' ich nicht.

Ihr wollt Euch nicht mit Gründen befassen,

Und wären sie klar wie das Sonnenlicht,[398]

Sondern schlechtweg nur lieben und hassen.

Ich sage nicht: es war kinderleicht,

Was unser großer König erreicht.

Aber er war auf dem Thron geboren,

Sein Vater ließ ihm ein starkes Heer,

Sein ganzes Volk hatt' ihm Treue geschworen,

Und wer da hat, gewinnt noch mehr.

Hingegen der Corse, der Bonapart',

Der nicht im Purpur erzogen ward –

Den Thron, auf dem er heute sitzt,

Hat er aus eignem Holz geschnitzt;

Vom Unterlieutnant, von Sieg zu Siegen

Ist er zum Kaiser emporgestiegen

Und wird nicht ruhen, bis er die Welt

Unter seinem mächtigen Scepter hält.

Und darum –


Würges will reden.


GRÜNEBERG.

Stille! Die Nutzanwendung!

HEINRICH.

Und darum nenn' ich es Verblendung,

Zu kleben am Ueberlebten und Alten,

Wenn rings die Welt sich will umgestalten;

Und wenn ein gottgesandter Geist –

GRÜNEBERG.

Eine Gottesgeißel! – da habt Ihr Recht.

HEINRICH fortfahrend.

– die Schranken, die einst die Völker trennten

In mächtigem Schwunge niederreißt,

Daß sich die Menschen verbrüdern könnten –

GRÜNEBERG.

Fraternité zwischen Knecht und Knecht!

HEINRICH.

– dann hinter dumpfen wankenden Mauern

Auf den Schatten des alten Fritz zu lauern,

Daß Der noch einmal durch ein Wunder[399]

Zusammenkitte den bröckligen Plunder,

Der doch in Kurzem –

WÜRGES von Geertz gehalten.

Laßt mich los!

Hinaus mit dem Vaterlandsverräther!

Sein Vater selig, der riefe Zeter,

Hört' er ihn pred'gen wie ein Franzos.

So hat man in Erfurt auch räsonnirt,

In Hameln, Magdeburg und Stettin,

Und darum hundsföttisch capitulirt.

Hinaus mit dem Burschen!

GRÜNEBERG.

Haltet ihn!


Zipfel steht auf und streckt seine lange Pfeife zwischen die Streitenden.


ZIPFEL.

Ruh', liebe Nachbarn! Silentium!

Herr Würges, Ihr seid ein alter Mann;

Ihr wißt, daß der furor juvenum

Austoben will.

WÜRGES.

Schlag' das Wetter drein!

Nun kommt noch Der mit seinem Latein.

Ihr könnt mir –

GRÜNEBERG.

Still! Hört den Rector an!

ZIPFEL.

Mitbürger und Freunde! Ihr alle wisst,

Obwol ich, wie meines Amtes ist,

Viele lateinische Bücher geschrieben,

Bin ich doch stets gut deutsch geblieben

Und treu bei meinen Bürgerpflichten.

Erlaubt mir darum, den Streit zu schlichten.

DIE BÜRGER.

Ja! Ja!

ZIPFEL.

Ich sage: die alten Weisen

Warnten, den Menschen glücklich zu preisen

Vor seinem Ende. Nur füg' ich hinzu:[400]

Man soll ihn auch nicht den Großen nennen;

Denn wer wird dafür bürgen können,

Ob er nicht noch was Schändliches thu',

Das ihn erniedrigt?


Zustimmung unter den Bürgern.


Von diesem Satz,

Den in abstracto wir zugegeben

Wenden wir uns zum concreten Leben.

WÜRGES sich unmuthig abwendend, hustet.

Hm! Nachbar Geertz, wer ist am Geben?


Setzt sich wieder zu den Karten.


ZIPFEL.

Da sehen wir auf erhabenem Platz

Den corsischen Imperator stehen.

Denkwürdiges ist durch ihn geschehen;

Aber so lang er in Fleisch und Blut,

Wer hat ihn glücklich zu preisen den Muth,

Oder wer darf ihn nennen »groß«,

Wie unsern König, der in der Stille,

Procul negotiis – beatus ille! –

Ausruht in ewigen Ruhmes Schooß

Von seinen Mühen und Heldenthaten?

Doch Jenem – trotz seinem hitzigen Rennen –

Kann leicht sein kühnes Spiel mißrathen,

Daß selbst, die heute er mit sich reißt,

Seinen Namen voll Mitleid nennen,

Da ja ein heiliger Mund uns heißt:

Ihr sollt sie an ihren Früchten erkennen!

GRÜNEBERG.

Sehr richtig!

SCHRÖDER.

Die Früchte sind allermeist

Faul oder giftig, das sieht man schon.

HEINRICH.

Ich bitte, Herr Rector –

ZIPFEL.

Gleich, mein Sohn.[401]

Also, wo bin ich stehn geblieben?

Ich hab' einmal eine Dissertation

Ueber einen andern Kaiser geschrieben,

Nämlich de Julio Caesare.

GRÜNEBERG.

Nun kommt er ins Schwögen, gebt Acht!

SCHRÖDER.

O weh!

WÜRGES heftig spielend.

Da kann ich drüber!

ZIPFEL.

Dem tieferen Blick

Zeigt sich in beider Männer Geschick

Viel Aehnlichkeit und viel Unterschied.

WÜRGES bei Seite.

Wie man's bei den meisten Menschen sieht.

ZIPFEL.

So hier wie dort der kühne Geist,

Der die Welt erobernd mit sich reißt,

Die Feldherrngaben, das Staatsgenie,

Kurz: das große acumen ingenii.

Doch kann der Forscher sich nicht verhehlen,

Trotz dieser schlagenden Parallelen –

WÜRGES aufspringend.

Wer will uns schlagen? Was Parallelen?

Herr, wollt Ihr uns hier bange machen?

Was wißt denn Ihr von Festungssachen?

Dem Feind seine Parallelen sind

Nicht der Rede werth, das begreift ein Kind.

Sie machen sie nur zum Zeitvertreib.

Die erste rückt vom Bullenwinkel aus

Kaum hundert Schritt dem Wolfsberg auf den Leib;

Die zweite. –

SCHRÖDER.

Da werd' einer klug daraus![402]

ZIPFEL.

Ihr mißversteht mich offenbar,

Und die Sache ist doch so leicht verständlich.

GRÜNEBERG.

Da kommt der Nettelbeck! Nun wird's klar!


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 390-403.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Colberg
Dramatische Dichtungen: Bändchen 5. Colberg
Colberg: Historisches Schauspiel in Fünf Akten (German Edition)

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon