Achter Auftritt

[46] Eine Oberste tritt auf, die Vorigen.


DIE OBERSTE.

Flieh! Rette die Gefangnen, Priesterin!

Das ganze Heer der Griechen stürzt heran.

DIE OBERPRIESTERIN.

Ihr Götter des Olymps! Was ist geschehn?

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Wo ist die Königin?

DIE OBERSTE.

Im Kampf gefallen,

Das ganze Amazonenheer zerstreut.

DIE OBERPRIESTERIN.

Du Rasende! Was für ein Wort sprachst du?

DIE ERSTE PRIESTERIN zu den bewaffneten Amazonen.

Bringt die Gefangenen fort!


Die Gefangenen werden abgeführt.


DIE OBERPRIESTERIN.

Sag an: wo? wann?

DIE OBERSTE.

Laß kurz das Ungeheuerste dir melden!

Achill und sie, mit vorgelegten Lanzen,

Begegnen beide sich, zween Donnerkeile,

Die aus Gewölken ineinander fahren;

Die Lanzen, schwächer als die Brüste, splittern:

Er, der Pelide, steht, Penthesilea,

Sie sinkt, die Todumschattete, vom Pferd.

Und da sie jetzt, der Rache preisgegeben,

Im Staub sich vor ihm wälzt, denkt jeglicher,

Zum Orkus völlig stürzen wird er sie;

Doch bleich selbst steht der Unbegreifliche,

Ein Todesschatten da, ihr Götter! ruft er,

Was für ein Blick der Sterbenden traf mich!

Vom Pferde schwingt er eilig sich herab;

Und während, von Entsetzen noch gefesselt,

Die Jungfraun stehn, des Wortes eingedenk

Der Königin, kein Schwert zu rühren wagen,

Dreist der Erblaßten naht er sich, er beugt[46]

Sich über sie, Penthesilea! ruft er,

In seinen Armen hebt er sie empor,

Und laut die Tat, die er vollbracht, verfluchend,

Lockt er ins Leben jammernd sie zurück!

DIE OBERPRIESTERIN.

Er – was? Er selbst?

DIE OBERSTE.

Hinweg, Verhaßter! donnert

Das ganze Heer ihm zu; dankt mit dem Tod ihm,

Ruft Prothoe, wenn er vom Platz nicht weicht:

Den treffendsten der Pfeile über ihn!

Und mit des Pferdes Huftritt ihn verdrängend,

Reißt sie die Königin ihm aus dem Arm.

Indes erwacht die Unglückselige,

Man führt sie röchelnd, mit zerrißner Brust,

Das Haar verstört vom Scheitel niederflatternd,

Den hintern Reihn zu, wo sie sich erholt;

Doch er, der unbegriffne Doloper –

Ein Gott hat, in der erzgekeilten Brust,

Das Herz in Liebe plötzlich ihm geschmelzt –

Er ruft: verweilet, meine Freundinnen!

Achilles grüßt mit ew'gem Frieden euch!

Und wirft das Schwert hinweg, das Schild hinweg,

Die Rüstung reißt er von der Brust sich nieder,

Und folgt – mit Keulen könnte man, mit Händen ihn,

Wenn man ihn treffen dürfte, niederreißen –

Der Kön'gin unerschrocknen Schrittes nach:

Als wüßt er schon, der Rasende, Verwegne,

Daß unserm Pfeil sein Leben heilig ist.

DIE OBERPRIESTERIN.

Und wer gab den wahnsinnigen Befehl?

DIE OBERSTE.

Die Königin! Wer sonst?

DIE OBERPRIESTERIN.

Es ist entsetzlich!

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Seht, seht! Da wankt, geführt von Prothoe,

Sie selbst, das Bild des Jammers, schon heran!

DIE ZWEITE.

Ihr ew'gen Himmelsgötter! Welch ein Anblick![47]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 46-48.
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