Der 6. (21.) Kühlpsalm

[61] Als sich di Baaliten, seine Reisgefährten, ärgerten, das er sich einen Christen genennet, und doch in Rom wohnen wolte, gesungen zwischen Challon und Mascon auf der Sone am Ostertage den 10. Apr. und zwischen Lyon den 11. Apr. 1678. vollendet.


1.

Mein Gott, las dichs erbarmen,

Di blendung diser gantzen Welt!

Ach fas mich in di Armen,

Das Warheit wider dargestellt!

Las deine Gnade grünen,

Di dir bei ihnen dinen,

Eh Babylon wird gantz gefällt!


2.

Sich heissen einen Christen

Ist worden heut ein Ketzerthum,

Weil keinen wil gelüsten

Zusuchen eintzig Christusruhm.

So bald si sich getheilet,

Ist Christus weggeeilet,

Das nun verdorrt di glaubensblum.


3.

Si führen neue nahmen

Mit einer neugemachten Lehr;

Verehren blind und lahmen,

Und irren stündlich mehr und mehr:

Di dich, mein Gott, recht kennen,

Di wollen si verbrennen,

Das Jesus bleibet ohn gehöhr.


4.

End, Jesus, end ihr lästern!

Und was ihr mund augblikklig rufft,

Um schuld mit schuld zuschwestern,

Und zubeflekken Stern und Lufft!

Drum las den Zorn anzünden

Di hauffen ihrer sünden!

Es helffe ihnen dufft und grufft!


5.

Zerbrich, Herr, ihre Götter,

Zu denen si stat deiner flehn![62]

Baal sei auch ihr Erretter,

Nun Ost und Nord auf si anwehn!

So bald das Goldschwerd schneidet,

Mit blei und stahl umkleidet,

Das si von todten hülfe sehn.


6.

Höhr, Vater, ihr verdammen,

Ihr falschgericht und Teufelsart!

Gib ihnen nun zusammen,

Was einzeln si mir zugepaart!

Si wollen mit mir treiben,

Wi andre si aufreiben,

Doch kennen si nicht meine fahrt.


7.

Wi wirstdu, Rom, erschrekken,

Wann gegen Rom mein Rom herzeucht?

Dann wird dich Angst umdekken,

Di schwanger Weiber ängsten gleicht!

Dein Hochmuth wird versinken:

Du wirst den Zorn austrinken,

Weil widerkommt, was nun hinfleucht.


8.

Du magst den Ofen heissen,

Und thun, was Gott schon längst verhängt!

Das Feur wird dich hinreissen:

Mein Gottesvolk ist unversengt!

Es trifft dich, Gottsverächter,

Und deine falsche Wächter,

Ob Sion schon was wird bedrängt.


9.

Eil, bleiern Schwerd von Morgen!

Du schleust des Goldes erste Krafft!

Wann du den Stahl verborgen,

So wirds zum Augenschein geschafft.

Dann ist eur Gold gebohren,

Weil blei und Stahl verlohren,

Das unser Goldschwerd eingerafft.


10.

Drauf sind di Henochstage!

Des Pabstes Pracht ist nur ein schertz![63]

Rom ist der Völker sage,

Wi es empfangen tausend schmertz!

Ich schau im Geist erfüllet,

Was noch di Zeit verhüllet!

Drum freuet sich, O Gott, mein Hertz!

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 1 (Buch 1–4), Tübingen 1971, S. 61-64.
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