Der Hagestolz

[311] Ich hab kein Weib, ich hab kein Kind

In meiner öden Stube,

Hier tönts nicht: »Guten Morgen!« lind,

Hier tobt kein muntrer Bube.


Und auch kein treuer Hund mir naht,

Mit schmeichelndem Gewedel;

Der Rauch nur ist mein Kamerad,

Und dort der Totenschädel.


In Ringlein blau der Rauch verweht;

Des Hirnes leerer Tiegel

Dort auf dem Schrank am Spiegel steht,

Ein fortgesetzter Spiegel.[311]


Ich habe weislich mir gepflanzt

Den Freund auf die Kommode,

Vor allzu heißem Wunsch verschanzt

Hab ich mich mit dem Tode.


Den Rauch betrachtend, Rad an Rad,

Und dort den bleichen Knochen,

Hat noch ein dritter Kamerad

Wildkalt in mir gesprochen:


Was ist es auch, was tut es auch,

Daß Weib und Kind dir fehle,

Bald wird ja doch, wie dieser Rauch,

Verblasen deine Seele!


Die Schädelpfeif hat auch geraucht,

Als drin das Leben brannte,

Als noch der Raucher drein gehaucht,

Der große Unbekannte.


Einst Wolken blies der alte Pan

Aus diesen schlechten Scherben;

Nun hat ers Pfeiflein abgetan,

Die Menschen heißens Sterben.


Der Schädel dort, so häßlich itzt,

So kahl und hohl zur Stunde,

War einst, wer weiß, wie schön geschnitzt,

Als Pan ihn hielt am Munde.


Das Bild am Kopf ist abgewischt;

Wars dumm, wars ein gescheites,

Es wird nicht wieder aufgefrischt,

's ist einerlei nun beides.


Und ob es Glück, ob Unglück hieß,

Ob Kummer oder Segen,

Was Pan hier in die Lüfte blies,

Ist wenig dran gelegen.[312]


Vom Rauche, den der Wind vertrieb,

Vom Feuer, windverschlungen,

Nichts als ein Bild erhalten blieb

In Pans Erinnerungen. –


Das Lebensglück ist nicht geglückt,

Die Menschen mirs zertraten,

Nun will ich, in mich selbst gedrückt,

Auch einen Hund entraten.


Wenn sie mich unbeweint zuletzt,

Weib-, kinderlos, verscharren,

Ich zünde meinen Knaster jetzt,

Dem Rauche nachzustarren.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 311-313.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Faust: Ein Gedicht
Gedichte
Die schönsten Gedichte
Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon