Zwölftes Kapitel

[79] Der Ikonenmaler Ssewastjan und ich legten den Rückweg rasch zurück und fanden, nachts bei unserer Baustelle angelangt, alles wohlbehalten vor. Nachdem wir die Unsrigen begrüßt hatten, gingen wir gleich zu Jakow Jakowlewitsch. Der verlangte voll Neugierde gleich den Ikonenmaler zu sehen; er betrachtete dann in einem fort dessen Hände und zuckte nur mit den Achseln, weil seine Hände übergroß, wie Harken waren und ganz schwarz, wie auch Ssewastjan selbst schwarz wie ein Zigeuner aussah. Jakow Jakowlewitsch sagte ihm:

»Ich wundere mich, Bruder, wie du mit diesen Riesenhänden zeichnen kannst!«

»Warum denn? Warum sollen meine Hände nicht dazu taugen?«

»Du kannst doch,« sagt er, »etwas Kleines mit ihnen gar nicht ausführen?«

Jener fragt: »Warum?«

»Ja, weil deinen Gelenken die Geschmeidigkeit fehlt.«

Aber Ssewastjan erwidert: »Das ist Unsinn! Können mir denn meine Finger etwas erlauben oder nicht erlauben? Ich bin ihr Herr, und sie sind meine Diener, die mir gehorchen.«

Der Engländer lächelt: »Also wirst du unseren versiegelten Engel nachbilden?«

»Warum denn nicht?« antwortete jener. »Ich gehöre nicht zu den Meistern, die ihr Werk fürchten, sondern mich fürchtet das Werk. So genau werde ich ihn nachbilden, daß Sie ihn vom echten nicht werden unterscheiden können.«[80]

»Gut,« sagte Jakow Jakowlewitsch, »wir werden uns unverzüglich bemühen, die echte Ikone herbeizuschaffen, in der Zwischenzeit beweise mir aber, um mich zu überzeugen, deine Kunstfertigkeit. Male meiner Frau eine Ikone nach altrussischer Art und so, daß sie ihr auch gefällt.«

»Welchem Heiligen zu Ehren soll sie sein?«

»Ja, das weiß ich nicht,« antwortete er, »ihr ist das gleich, nur daß es ihr gefällt.«

Ssewastjan dachte nach und fragte:

»Worum betet denn deine Gemahlin am meisten zu Gott?«

»Ich weiß nicht, mein Freund, ich weiß es nicht, aber ich denke, wahrscheinlich daß aus den Kindern ehrliche Menschen werden.«

Ssewastjan dachte wieder nach und antwortete:

»Gut, ich werde ihren Geschmack treffen.«

»Wie willst du ihn treffen?«

»Ich werde etwas darstellen, was die Beschaulichkeit vertieft und dem Geist des Gebetes Ihrer Gemahlin wohlgefällig ist.«

Der Engländer ließ für ihn im Dachstübchen seines eigenen Hauses alles herrichten, aber er arbeitete nicht dort, sondern setzte sich an das Fensterchen auf dem Dachboden über Luka Kirillows Stube und begann dort seine Tätigkeit.

Aber was er da gemacht hat, meine werten Herren, das hatten wir uns gar nicht vorgestellt. Als das Gespräch auf die Kinder kam, da dachten wir, er werde Roman den Wundertäter darstellen, zu dem man wegen Unfruchtbarkeit betet, oder den Kindermord in Jerusalem, was den Müttern, die ihre Fruchtbarkeit verloren haben, immer[81] gefällt, weil Rahel dort mit ihnen über die Kinder weint und sich nicht trösten kann. Aber dieser kluge Ikonenmaler hatte erwogen, daß die Engländerin schon Kinder habe und nicht darum bete, daß der Himmel ihr welche schenke, sondern daß er den Charakter der Kinder festige, und malte etwas ganz anderes, was ihrem Streben noch mehr entsprechen mußte. Er wählte dazu ein altes Holztäfelchen, so groß wie eine Handfläche, und begann darauf seine Kunst zu zeigen. Vor allen Dingen trug er, natürlich, den Grund mit starkem Kasanschen Alabaster auf, daß er glatt und hart wie Elfenbein wurde; darauf teilte er das Täfelchen in vier gleiche Flächen und zeichnete auf jede eine besondere kleine Ikone, die er nochmals mit einer goldgemalten Fassung umrahmte. Das erste Quadrat stellte dar: die Geburt Johannes des Täufers mit acht Figuren, dem neugeborenen Kind und dem Gemach; – das zweite die Geburt der hochheiligen Gottesmutter mit sieben Figuren, dem Kind und dem Gemach; – das dritte die unbefleckte Geburt des Erlösers, den Stall und die Krippe, und davor stehend die Himmelskönigin, Joseph, die gottesfürchtigen Hirten, Salome und allerlei Vieh: Ochsen, Schafe, Ziegen und Esel, und die Möwe, die den Juden verboten ist, zum Zeichen, daß das Ganze nicht vom Judentum kommt, sondern von der Gottheit, die alles geschaffen hat. Auf dem vierten Bildchen ist die Geburt Nikolai des Wundertäters zu sehen; der Heilige wieder als neugeborenes Kind, das Gemach und viele Umherstehende. Soviel Sinn war darin enthalten, daß man vor sich die Erzieher so vieler guter Kinder sah, und soviel Kunst in all den stecknadelgroßen Figuren in ihrer Beseeltheit und Bewegung! So liegt bei der Geburt der[82] Muttergottes die heilige Anna, wie es im griechischen Original dargestellt ist, auf dem Lager, und vor ihr stehen zymbelschlagende Mädchen und andere, die Gaben halten, und solche mit Sonnenschirmen in den Händen und wieder andere, die Lichter tragen. Die eine Frau hält die heilige Anna unter den Schultern, Joachim späht in die vorderen Gemächer; eine zweite Frau wäscht die heilige Gottesgebärerin bis zu den Lenden, ein danebenstehendes Mädchen gießt aus einem Gefäß Wasser in das Becken. Die Räume sind alle mit dem Zirkel voneinander getrennt, und in dem äußersten Gemach sitzen Joachim und Anna auf dem Thron, und Anna hält die hochheilige Gottesgebärerin; aber um das Gemach herum erheben sich steinerne Pfeiler mit roten Vorhängen, und draußen ist eine weiße und gelbe Mauer. Wunderbar, wunderbar hatte Ssewastjan das alles dargestellt, und in jedem kleinsten Gesichtchen hatte er das ganze Schauen Gottes ausgedrückt! Er nannte das Bild »Fruchtbarkeit« und brachte es den Engländern. Die betrachteten es und schlugen die Hände zusammen: Niemals, sagten sie, hätten sie solche Phantasie erwartet und solche Feinheit der Kleinmalerei geahnt. Sie betrachteten es dann sogar noch mit dem Vergrößerungsglas und fanden auch damit keinen Fehler. Sie gaben Ssewastjan für die Ikone zweihundert Rubel und sagten:

»Kannst du noch kleiner darstellen?«

Ssewastjan antwortet: »Ja«.

»Dann kopiere mir auf meinen Fingerring das Porträt meiner Frau.«

Aber Ssewastjan antwortet: »Nein, das kann ich nicht.«

»Warum denn nicht?«[83]

»Weil ich mich in dieser Kunst noch nie versucht habe, und dann auch weil ich meine Kunst nicht er niedrigen will, um nicht den Unwillen der Väter auf mich zu ziehen.«

»Was ist das für ein Unsinn!«

»Das ist durchaus kein Unsinn,« antwortet er. »Wir haben aus gottesfürchtiger Zeit eine Bestimmung, die auch in einem Patriarchenbrief bestätigt wird: Wenn einer zu einem so heiligen Werk wie die Ikonenmalerei berufen ist, so ist es einem geziemend lebenden Ikonenmaler geboten, nichts denn heilige Darstellungen zu malen.«

Jakow Jakowlewitsch sagt darauf:

»Und wenn ich dir fünfhundert Rubel dafür gebe?«

»Und wenn Sie mir fünfhunderttausend bieten würden, es wäre ganz gleich, Sie würden sie behalten.«

Das Gesicht des Engländers strahlte, aber er sagte im Scherz zu seiner Frau: »Wie gefällt dir das, daß er es für eine Erniedrigung hält, dein Gesicht zu malen?«

Aber auf englisch fügte er hinzu: »Oh, ein guter Charakter«. Und dann sagte er:

»Nun seht zu, Brüder, jetzt bringen wir die Sache zum Abschluß. Wie ich sehe, habt ihr für alles Regeln: also nehmt euch jetzt in acht, um nichts zu versäumen oder zu vergessen, was irgendwie stören könnte.«

Wir antworteten, daß wir nichts derartiges voraussähen.

»Nun, dann gebt acht,« sagt er, »ich beginne.« Und dann fährt er zum Erzbischof mit der Bitte, er möge ihm erlauben, um seinen Eifer zu beweisen, die Beschläge des versiegelten Engels vergolden und den Rahmen neu malen zu lassen. Der Erzbischof will weder zusagen, noch[84] ihn abweisen, aber Jakow Jakowlewitsch gibt nicht nach und erreicht es endlich. Wir warteten indes schon, wie Pulver aufs Feuer.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Der versiegelte Engel und andere Geschichten. München 1922, S. 79-85.
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