Vierter Auftritt


[714] Lisette. Leander.


LISETTE. Ein klein bißgen eher, so hätten Sie ihn angetroffen.

LEANDER. So? Ist Damon schon hier gewesen?

LISETTE. Ja. Und er wird auch gleich wieder da sein. Sie sollen[714] sich nur ein klein wenig gedulden. Herr Leander, wie sehen Sie mir denn aber heute einmal so verdrießlich aus? Ach! das Gesichte steht einem Freier gar nicht! Pfui! fein munter! hübsch lustig!

LEANDER. Wer so viel Ursache zum Verdrusse hat, wie ich – – – –

LISETTE. Ach! ach! Reden Sie doch. Sie mögen wohl viel auf dem Herzen haben, das Sie bekümmert. Ich merke zwar bald, was es sein kann? Hui! daß Sie die Liebe quält. Sind Sie es einmal satt, sie der Freundschaft nachzusetzen. O Sie täten nicht mehr, als billig. Frisch gewagt! Schade auf einen Freund. Halten Sie bei meiner Frau wieder aufs neue an. Ich gebe Ihnen mein Wort, Sie bekommen sie weg. Wenn Sie aber noch länger tändeln, so bin ich Ihnen für nichts gut. Wählen kann meine Frau nicht. Wenn nicht bald einer von beiden kömmt, und sie so holt, so hat sie alles schon dem blinden Zufalle überlassen. Wer von Ihnen bei dem Handel nach Ostindien am glücklichsten wird gewesen sein, dem will sie Hand, Herz und Vermögen schenken – – – Was fehlt Ihnen? – – Was fehlt Ihnen? – –

LEANDER. Lisette, um des Himmels willen, dem Glücklichsten? Nun ist mein Unglück vollkommen.

LISETTE. Vollkommen? Was will das sagen? Erklären Sie sich.

LEANDER. Wohl, ich will mich Euch vertrauen. Wisset denn, daß ich nur gestern Abends Briefe erhalten habe, daß mein Schiff in einem Sturme verunglücket sei. Grausamer Himmel! so war es nicht genug, mir mein Vermögen zu nehmen, du mußtest mir auch noch den Gegenstand meiner so zärtlichen Liebe entreißen?

LISETTE. Jener schimpfte auf meine Frau, und der schimpft auf den Himmel. Und beide sind wohl unschuldig. Herr Leander, Ihr Unglück geht mir nahe. Ich will es Ihnen schon glauben, daß es einem Verdruß genug verursachen muß, wenn man sein Vermögen verliert. Ich habe diese traurige Erfahrung noch nicht machen können; denn, Gott sei Dank, ich habe keins. Wenn aber der Verdruß, Reichtümer zu verlieren, so groß ist, als die Begierde, sie zu gewinnen, so muß er unerträglich sein. Ich gesteh es. Aber[715] auf den andern Punkt zu kommen. Den Gegenstand Ihrer so zärtlichen Liebe – – Sie meinen doch meine Frau – – nicht? hören Sie nur – – um den haben Sie sich selbst gebracht. Doch wenn Sie mir folgen wollen, Herr Leander, so verloren als er scheint, so ist er doch noch nicht ganz verloren.

LEANDER. O ich bitte Euch, redet frei. Ich will Euch in allem folgen, was mir nützlich sein kann.

LISETTE. Aber ich zweifle, daß Sie es tun werden.

LEANDER. Zweifelt nicht, ich bitte Euch.

LISETTE. Ich kenne Ihre Hartnäckigkeit allzu wohl. Sie sind von den erhabenen Begriffen der Freundschaft zu sehr eingenommen. Damon, Ihr liebster Freund auf der Welt, das kostbarste Geschenk des Himmels, ohne welches Ihnen alle Güter, alle Ehre, alles Vergnügen, nur verachtungswert, nur eitel, nur unschmackhaft vorkommen würden, Damon, Ihr andres Ich, dessen Glück Ihr Glück, dessen Unglück Ihr Unglück ist; Damon, der edle Damon, der – – – –

LEANDER. Ja, allerdings Lisette. Du wirst ihn nie genug loben können. Der ist noch der einzige, der mir mein Unglück wird tragen helfen. Ich habe allezeit die vorteilhaftesten Gedanken und die zärtlichsten Empfindungen für ihn gehabt. Ich zweifle nicht, er wird itzo zeigen, wie würdig er meiner Freundschaft sei. Hätte er sein Vermögen verloren, so würde das meinige das seinige gewesen sein. Ich würde die Hand der liebenswürdigsten Person seinetwegen ausschlagen. Damon, ja Damon – – – – o hätte er mein Herz – – – – Aber, aber – – ich weiß, das wahre Zärtliche in der Freundschaft hat er nie recht empfinden wollen – –

LISETTE. Ja, Herr Leander, wenn Sie glücklich sein wollen, so müssen Sie diesen Damon einige Zeit aus den Augen setzen. Erschrecken Sie über diesen Vorschlag nicht.

LEANDER. Wie versteht Ihr das?

LISETTE. Nun, ich sehe doch, daß Sie mit einem ziemlich unerschrocknen Gesichte meine Erklärungen verlangen. Befürchten Sie nur nichts, ich rate Ihnen keine Verräterei an Ihrem Freunde. Weder er wird Ihnen, noch Sie werden sich selbst dabei was vorzuwerfen haben. Kurz, gehen Sie zu[716] meiner Frau. Tun Sie ihr eine aufrichtige Liebeserklärung. Versichern Sie sie, daß sie Damon nicht mehr liebte. Wenn es sein muß, nehmen Sie noch ein Paar Notlügen dazu, wodurch er ihr desto gehässiger wird. Sie werden sehen, es wird alles gut gehen.

LEANDER. Wenn sie aber nun darauf beruht, erst abzuwarten, wer am glücklichsten bei dem bewußten Handel gewesen, so wird mich ja alles nichts helfen.

LISETTE. Hui! ist das der standhafte Freund? So leicht läßt er sich bereden? – – – Herr Leander, darauf wird sie wohl schwerlich bestehen. Doch gesetzt. Es schadet uns nichts. Wissen Sie was? Ich weiß, daß Sie und Herr Damon einige mal Lust hatten, mit Ihren Kapitalen zu tauschen. Sie sind von gleicher Summe. Ich dächte, Sie versuchten den Herrn Damon noch dazu zu bereden. Er weiß doch noch nichts, daß Ihr Schiff soll unglücklich gewesen sein?

LEANDER. Nein.

LISETTE. Nun, sehen Sie, so geht es vollkommen gut an. Versuchen Sie sein Kapital zu bekommen, und treten Sie ihm das Ihrige mit allem Wucher ab. Sie können es leicht tun; und werden auch leicht eine scheinbare Ursache dazu ausfündig machen können. Wie, wenn Sie zu ihm sagten? Liebster Damon, die Freundschaft hat uns genau genug verbunden. Wie wär es aber, wenn wir auch unsre Glücksgüter dazu anwendeten, daß einer dem andern noch mehr verbunden würde? Lassen Sie uns derohalben einen Tausch mit den bewußten Geldern, die wir in die ostindische Handlung gegeben haben, treffen. Haben sich die Ihrigen mehr verinteressiert, als die meinigen, so werde ich Ihnen alsdenn einen Teil meines Vermögens zu danken haben. Sollten die meinigen mehr gewuchert haben, so werde ich das Vergnügen haben, dasjenige in Ihren Händen zu sehen, was das Glück mir eigentlich beschieden hatte. Und werden wir dadurch nicht desto mehr verpflichtet werden, einer dem andern mit seinem Vermögen, bei vorfallender Notwendigkeit, beizustehen?

LEANDER. Euer Rat ist gut. Und auch der Vorwand scheinet mir scheinbar genug zu sein. Aber ich besorge, mein Freund[717] möchte einmal einen Verdacht auf mich werfen. Drum möchte ich selbst ihm diesen Vorschlag nicht gern tun. Könntet Ihr nicht etwa Eure Frau auf den Einfall bringen? Wenn diese täte, als ob sie es gern sähe, – – so – – –

LISETTE. Ich verstehe Sie. Ich verstehe Sie. Verlassen Sie sich auf mich, und machen Sie nur, daß Sie bald zu meiner Frau kommen.

LEANDER. So bald als ich mit meinem Freunde werde gesprochen haben. Gott ist mein Zeuge, daß ich bei allem dem redliche Absichten habe. Ich weiß es gewiß, mein Freund würde, wenn ich mein Vermögen verlöre, nicht großmütig genug sein können, die Pflichten, die er mir alsdenn, vermöge unsers Bundes, schuldig wäre, auszuüben. Ich will ihn derohalben von dem gewissen Schimpfe, von der Nachwelt ein ungetreuer Freund genennet zu werden, befreien. Meiner Seits aber will ich ihm zeigen, daß meine Reden vollkommen mit meinen Taten übereinstimmen. Er soll die Hälfte meines Vermögens haben. – – –

LISETTE. In Ansehung dessen, daß ihm von Rechts wegen das ganze gehöret – – Das ist ein aufrichtiger Freund!

LEANDER. Ich will alles anwenden, ihm wieder aufzuhelfen. Vielleicht ist er ein andermal glücklich. Vielleicht – – –

LISETTE. St! St! Herr Damon kömmt ohne Zweifel wieder. Ich will gehen. Er möchte denken, wer weiß was wir mit einander zu reden gehabt hätten. Ich geh zu meiner Frau. Kommen Sie bald nach. – – – – Nun, das hätte ich mir nicht vermutet.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 714-718.
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