Elftes Kapitel

[190] Hier nun scheint es mir am Orte, abgesehen von meinem eigenen Leben und von meinen persönlichen Erfahrungen, es noch einmal gründlich auszusprechen, wie tief man den Zustand und die Lage der Frauen dadurch herabdrückt, daß man den Töchtern in den Familien des mäßigbegüterten Mittelstandes das Recht auf eine verständige gewerbliche Thätigkeit entzieht, und ihnen damit die Möglichkeit einer ehrenvollen Unabhängigkeit versagt.

Wohin man sich wendet, kann man die Klage vernehmen, daß von Jahr zu Jahr die Zahl der unverheiratheten Frauenzimmer zunimmt. Man braucht sich nur in unsern Gesellschaften umzusehen, um sich zu überzeugen, wie viel Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit sich hinter den bleichen Gesichtern jener alternden Mädchen verbergen, die mit allem ihrem guten Willen sich zu helfen und mit dem erzwungenen Lächeln, die Traurigkeit ihres armen Daseins nicht abändern und nicht verbergen können.

Kaum in eine Familie kann man eintreten, die nicht in ihrer Verwandtschaft alternde und unverheirathete Schwestern oder Töchter hätte, welche gelangweilt und müde, ohne eigene Freude und Hoffnung, ein leeres, nutzloses Dasein führen, und sich ohne Lust von einer[190] Gesellschaft und Vergnügung zu der anderen hinschleppen, nur um einen Wechsel in die Oede ihrer Tage zu bringen. Sich selbst zur Last, in vielen Fällen auch den Ihren eine schwere Last, hört man die Frage: wohin mit ihnen? was soll man mit ihnen machen? Und da man sich die rechte Antwort aus Vorurtheilen nicht geben mag, bescheidet man sich, die alten Mädchen in der Gesellschaft und in den Familien als ein unvermeidliches Uebel zu ertragen.

Ich habe mich erst nach meinem vierzigsten Jahre verheirathet, und wenn ich auch durch meine schriftstellerische Thätigkeit von meinem dreißigsten Jahre ab eine Ausnahmestellung, und deshalb von dem Uebelwollen und von der halben Lächerlichkeit nicht zu leiden gehabt habe, welche die alten Jungfern verfolgen, so hat doch auch mir die Gelegenheit nicht gefehlt, es zu beobachten, was es mit dem kläglichen Dasein eines unthätigen, unnützen Mädchens auf sich hat, dem in den meisten Fällen die Ueberzeugung nicht erspart bleiben kann, daß es zu Niemandes rechter Freude auf der Welt ist.

Gegen dies Elend, das nicht wegzuleugnen ist, giebt es nur ein Mittel – die Emancipation der Frauen zu Arbeit und Erwerb, von der ich schon einmal in diesen Aufzeichnungen gesprochen habe, und auf die immer wieder anmahnend zurückzukommen, der Verlauf meiner Lebensgeschichte mich zwingen wird.

Keine bürgerliche Familie auf der Welt hat es Hehl, daß sie bei der Erziehung eines Sohnes das Ziel im Auge hat, ihn so früh als möglich zu selbstständigem Erwerbe fähig zu machen. Man gesteht es mit Freude[191] und Genugthuung ein, wenn der Sohn es mit zwanzig Jahren einmal dahin gebracht hat, dem arbeitsbeladenen Vater nicht mehr zur Last zu fallen. Man spricht damit unumwunden aus, daß in den Familien unserer Mittelstände die Ernährung erwachsener Kinder eine Last ist, und man bedenkt es nicht, welchen Eindruck es auf die etwa anwesenden Töchter machen muß, sich in solcher Weise stillschweigend als schwere Bürde für den Vater bezeichnet zu sehen. Aber man geht darin noch weiter.

Während man es für einen jungen Mann als eine Sache der Ehre ansieht, sich sein Brod zu erwerben, betrachtet man es als eine Art von Schande, die Töchter ein Gleiches thun zu lassen, wie das auch in meinem Vaterhause so geschah. Bringt irgendwo die Nothwendigkeit es mit sich, daß ein Mädchen für ihren Unterhalt arbeitet, nimmt eine Kaufmannstochter, eine Geheimrathstochter, eine Professorentochter eine Stelle als Lehrerin, als Gesellschafterin, als Kinderwärterin oder Haushälterin an, so wird dies Ereigniß irgendwie beschönigt. Es heißt: die Tochter habe eine unwiderstehliche Neigung, die Welt kennen zu lernen, sie habe eine so große Vorliebe für den Verkehr mit Kindern, sie solle sich doch auch einmal Jahr und Tag unter fremden Menschen bewegen lernen. Man erfindet irgend eine Verwandtschaft oder Bekanntschaft mit den Familien, in welche das Mädchen eintreten soll, um der Sache einen unverfänglichen, gemüthlichen und vornehmen Anstrich zu geben; aber man entschließt sich nur in den seltensten Fällen dazu, einfach zu sagen: das Mädchen geht fort, um sein Brod zu verdienen, um doch etwas zu thun, um uns das[192] Leben zu erleichtern; und man nimmt ihm damit die Genugthuung, seinen Entschluß von Andern gebilligt und anerkannt zu sehen, man nimmt ihm die Freude, mit welcher es vielleicht seinen Beruf ergriffen hat, und die frische, gehobene Stimmung, mit welcher man einer neuen Lebenslage entgegen treten muß, um Behagen und Fortkommen darin zu finden.

Eben so geht man zu Werke, wenn die Töchter endlich hie und da Unterricht ertheilen; und doch sind Gouvernanten- und Gesellschafterinnenstellen und Unterrichtgeben noch diejenigen Broderwerbe, welche durch die oft wiederkehrende Nothwendigkeit, sich ihnen zu unterziehen, gewissermaßen als anständig, und angesehener Familien nicht unwürdig betrachtet werden. Aber es giebt zahlreiche Mädchen, denen die Kenntnisse, die Anlage für geistige Beschäftigung fehlen, die nicht lehren und erziehen können, die aber nichtsdestoweniger mittellos, also ebenfalls in der Lage sind, ihr Brod verdienen zu müssen. Auch diesen tritt das Vorurtheil entgegen, daß Broderwerb eine Schande für eine Frau oder ein Mädchen aus guter Familie sei, und nöthigt sie, es zu verheimlichen, daß sie für Magazine sticken und nähen. Jahrelang habe ich in der Berliner Gesellschaft die Wittwe und die drei Töchter eines Generals gesehen, welche von der Wittwenpension der Generalin, von fünfhundert Thalern, unmöglich leben konnten. Man wußte, daß sie sich zu Hause Entbehrungen aller Art aufzuerlegen hatten, und dazu saßen die unglücklichen alternden Mädchen in den Gesellschaften da, emsig an Tapisserie-Arbeiten nähend, und immer ihr Entzücken an diesen Nähereien aussprechend, während[193] jeder Verständige sich fragen mußte: wie können Leute in so beschränkter Lage so unvernünftig viel Geld an nutzlose Arbeiten, an eine bloße kindische Liebhaberei verschwenden?

Die Generalin fand es »gentil«, ihre Töchter mit dieser Liebhaberei für Wolle und Canevas thöricht erscheinen zu lassen. Einzugestehen, daß die braven Mädchen noch bis spät am Abende, noch in der Gesellschaft, für ihr Brod arbeiteten, wäre »nicht gentil« gewesen; dafür würde es aber vielleicht manchem Manne, mit dem die Generalin eine ihrer Töchter gern verheirathet hätte, Achtung vor den armen Personen gegeben haben, über die man sich jetzt lustig machte. Ihr beharrlicher Fleiß würde vielleicht einer oder der anderen von ihnen zu einer Ehe mit einem der verständigen Männer verholfen haben, die jetzt das ewige rastlose Tapisserienähen in der Gesellschaft einfältig und thöricht fanden.

Hat in einer Familie ein Sohn keine Anlage zum Studiren, so ist man gern geneigt, ihn Kaufmann, Maschinenbauer, Techniker und in guten, verständigen Bürgerfamilien auch Handwerker werden zu lassen. Der junge Mensch steht am Werktisch, am Verkaufstisch, am Pulte seines Magazins, verkehrt mit der Außenwelt, verkehrt mit seinen Collegen, und hat er sonst eine gute Erziehung genossen, so sieht man in seinem Eintritt in das Leben keine besondere Gefahr. Für das besterzogene, innerlich tüchtigste Frauenzimmer aber würde man bei solchem Schritte gleich wieder Bedenken tragen. Das heißt, man würde den Töchtern, auch den besten, die Schmach anthun, sie durch ihre ganze Jugend – und in diesem Falle dehnen[194] die Familien die Zeit der Jugend für ihre Töchter übermäßig lange aus – für moralisch unselbstständig, für sittlich unzuverlässig zu halten. Aus der Besorgniß, daß sie sich wie Unmündige betragen könnten, erhält man sie also lebenslang in einer Unmündigkeit, in der aus ihnen unmöglich etwas Rechtes werden kann.

Aber es ist nicht überall so in der Welt, und es kann und wird auch bei uns in Deutschland nicht immer so bleiben. In Amerika, wo die weibliche Jugend der Mittelstände, bei guten Sitten und feinen Manieren, doch viel selbstständiger ist als bei uns, arbeiten zu Lowell in den Fabriken die Töchter angesehener Bürger aus dem ganzen Staate, und man hat für sie sogar eigene Logirhäuser eingerichtet, in denen sie leben, bis sie wieder in ihre Familien zurückkehren, nachdem sie sich eine mehr oder weniger große Summe für ihre Ausstattung erworben haben. In Genf werden wohlerzogene Mädchen in den Uhrenfabriken beschäftigt, in Belgien in den Comptoirs und Bureaus der Eisenbahnen, in Frankreich sind die Frauen und Töchter der Kaufleute bei der Buchführung thätig. In Bern leisten die geschickten Hände und die Sauberkeit von Frauen die vortrefflichsten Dienste bei der Bereitung von mikroskopischen Präparaten, und selbst bei uns in Deutschland findet man eine Anzahl von Putzläden, Weißzeug- und Tapisserieläden, die von Frauen geleitet werden, zum Theil auch Frauen zu Besitzern haben, und die in der Regel vortrefflich gedeihen. Denn die Frauen sind meist häuslicher als die Männer, haben weniger Bedürfnisse und einen Sinn für Ordnung und für das Detail, Eigenschaften, welche bei jeder Geschäftsführung[195] von großem Nutzen sind. Aber bei uns in Deutschland sind es bis jetzt meist nur die nicht Gebildeten, die Familien des sogenannten kleinen Bürgerstandes, welche ihre Töchter zum Broderwerb erziehen.

Es kommt also, um die nöthige Reform in den Berufsverhältnissen der Frauen zu machen, wie es mich bedünken will, hauptsächlich auf die Einsicht und Ehrlichkeit der gebildeten und nicht reichen Familien an, und auf den guten Willen ihrer Töchter, den zu bezweifeln man Unrecht thäte; denn es sind gar zu viele unter ihnen von stillem, schwerem Leid, und von noch schwererer Hoffnungslosigkeit bedrückt.

Finden sich gebildete, den sogenannten guten Ständen angehörende Familien, die es kein Hehl haben, daß sie ihre erwachsenen Töchter nicht leicht erhalten, daß sie ihnen keine Mitgift zu geben, keine ausreichende Versorgung für ihr Leben zu bieten vermögen, entschließt man sich, diese Töchter eben so gut wie die Söhne etwas Ordentliches lernen zu lassen, erwerben sie sich die Kenntnisse von Buchführern, von Gehülfen in Kaufmannsgeschäften, entschließen sie sich, Handwerke zu erlernen, welche innerhalb ihrer Fähigkeiten liegen, so werden sie mit der Zeit auch Beschäftigung, mit der Beschäftigung Erwerb, mit dem Erwerb Freude am Leben, und eine relative Freiheit und Selbstständigkeit gewinnen. Die Eltern werden dann häufiger Gelegenheit finden, ihre Töchter zu verheirathen, denn es ist leichter einen Hausstand zu begründen, wenn Mann und Weib gemeinsam für den selben arbeiten, als wenn der Mann allein die Frau ernähren soll, die Nichts gelernt hat, als ihre Zeit in müßiger Weise mit[196] Haushaltungsdetails hinzubringen, welche in der Hälfte dieser Zeit abzuthun sind, und Luxusarbeiten oder schlechte Musik zu machen, welche besser gänzlich unterblieben.

Die Hauptsache aber ist, daß die Ehe nur dann in ihr wahres Recht eingesetzt, nur dann zu der idealen Schönheit erhoben werden kann, die freierwählte, freigeschlossene Verbindung gleichberechtigter Gatten zu sein, wenn sie aufhört, für die Frauen den einzig möglichen Weg zu materieller Versorgung und zur Begründung ihrer gesellschaftlichen Geltung darzubieten.

Man behauptet, für die Frauen sei die Liebe die Hauptsache im Leben. Das ist unter uns nicht der Fall und darf in den jetzigen Zuständen kaum der Fall sein. Man würde richtiger sagen: wie die Verhältnisse liegen, ist die Ehe die Hauptsache für die Frau, ja nicht allein die Hauptsache, sie muß nur zu oft für sie eine Sache der Berechnung werden, und ist das jetzt auch fast überall für die Mädchen und für ihre Mütter. Diese Zustände haben den weiblichen Charakter in der Masse verdorben. Was man von der Selbstlosigkeit unseres Geschlechtes, was man von dem Egoismus der Männer in ihrem Verhalten gegen die Frauen behauptet, und als ein Axiom in den weiblichen Katechismus aufgenommen hat, ist nach meinen Erfahrungen und nach meiner Ueberzeugung, das Eine wie das Andere, zum größten Theile eine Unwahrheit.

Neun Zehntheile der unglücklichen Lieben und Leidenschaften, mit denen die weibliche Jugend in sich zu kämpfen hat, sind nur eine natürliche Folge ihrer mißlichen Lage und ihrer schlechten Erziehung; und die meisten jungen[197] Männer sind in gewissem Sinne bei ihrem Eintritt in die Gesellschaft weit naiver, als die Mädchen in dem gleichen Zeitpunkt. Das aber ist natürlich, denn die Männer sind freier, und ihr Verhältniß zu den Mädchen ist daher unbefangener, absichtsloser, und also schöner als das der Mädchen zu den Männern.

Ein junger Mann, der ein Mädchen hübsch, gescheut, angenehm findet, verräth ihr das in der Regel so unbefangen, so absichtslos, wie man seine Freude am schönen Wetter ausspricht, und weil sie ihm wohlgefällt, möchte er ihr auch gefallen. Er bemüht sich, ihr im besten Lichte zu erscheinen, er leistet ihr kleine Dienste, die ihr Freude machen, er sucht sich die liebliche Empfindung, welche ihre Nähe ihm bereitet, so oft als möglich zu verschaffen, er macht ihr also, wie man das nennt, in aller Form den Hof. Er kann aber dies Wohlgefallen für drei, vier Mädchen zu gleicher Zeit in sich tragen, ohne bei einer einzigen zu denken, daß eben sie seine Frau werden solle; denn seine täglichen Berufsarbeiten erinnern ihn daran, daß er vorläufig noch Anderes zu thun habe, als an das Heirathen zu denken. Er hat ernsthafte Beschäftigungen, ernste Interessen, das Wohlgefallen an dem jungen Mädchen ist ihm eine Freude, ein Genuß. Die aufwallende Neigung, die aufdämmernde Liebe bleiben ihm ein reines Empfinden, weil er weiß, daß seine Verhältnisse es ihm nicht erlauben, ein Verlangen daran zu knüpfen. Er kann, wenn er nicht zufällig sich einem reichen Mädchen gegenüber findet, keinen Vortheil davon erwarten, er baut keine Plane darauf, seine Zukunft, seine Existenz haben gar keinen Zusammenhang damit.[198] Er liebt um der Schönheit, um der Liebe willen. Und treten dann Hindernisse, tritt eine Trennung zwischen ihn und den Gegenstand seiner Neigung, so kann er vielleicht davon schwer getroffen werden, aber auch hier bleibt sein Schmerz rein; denn sein Verlust ist nur ein geistiger, und er steht in allen seinen übrigen Beziehungen, er steht in Betracht seines ganzen Lebensplanes und Lebensweges unangetastet da, mag das Mädchen ihn lieben oder sich von ihm wenden.

Bei den Mädchen ist das nicht der Fall. Von ihrer frühesten Jugend an wird ihnen die Ehe als ihr einziger Lebensberuf vorgehalten, und wenn sie mit fünfzehn, sechszehn Jahren die Schule verlassen, die Einsegnung überstanden haben, so treten sie trotz ihrer Unfertigkeit als berechtigte Mitglieder in die Gesellschaft ein. Unreif, mangelhaft unterrichtet, unausgebildet für irgend einen ernsten Zweck, werden sie dem Manne gegenüber gestellt. Ohne Lebensplan, ohne einen Ehrgeiz, ohne Aussicht auf Selbstständigkeit durch ihr eigenes Thun, bleibt ihnen keine Hoffnung für ihre Zukunft, als die Ehe. Man bewacht, man behütet sie vor jeder Neigung, vor jeder Liebe, die nicht die sichere Anwartschaft auf die Ehe, auf die bürgerliche Versorgung in ihrem Gefolge hat. Das zur Liebe vorzugsweise geschaffene Geschlecht soll gar nicht lieben, sondern vor allen Dingen sich verheirathen. Sorgfältige Mütter und Väter halten von ihrem Hause und von ihren Töchtern diejenigen Männer fern, die denselben Neigung einflößen und keine Versorgung bieten könnten, und während es keinem Manne Nachtheil bringt, wenn man von ihm aussagt, er habe für diese oder jene junge[199] Schöne eine Liebe empfunden, ist es dem Rufe eines Mädchens schon nicht vortheilhaft, wenn es heißt, sie habe Jemand geliebt, dessen Frau sie nicht geworden ist.

So ist es denn jetzt allmählig dahin gekommen, daß ein Jüngling, ein junger Mann, einem Mädchen ohne jeden Nebengedanken von Herzen huldigen, und kaum ein Mädchen die Huldigungen eines Mannes annehmen kann, ohne sehr bald darauf bestimmte Ansprüche zu gründen und an die Ehe zu denken. Die Partie ist dadurch aber gänzlich ungleich. Denn der junge Mann sucht in der Gesellschaft das Vergnügen, das Mädchen hat man dahin gebracht, dort unter der Hülle und unter der Aegide des Vergnügens ihre Versorgung durch den Mann zu suchen – und ich wiederhole es, das hat den Charakter des weiblichen Geschlechtes im Allgemeinen heruntergebracht.

Es giebt wenig unbemittelte Mädchen von starkem Selbstgefühl, wenig entschlossene muthige Naturen unter ihnen, welche die Kraft behalten, zu lieben um der Liebe willen, und einen ihnen nicht zusagenden Mann zurück zu weisen, wenn derselbe ihnen eine Versorgung und eine nur einigermaßen gute Stellung in der Gesellschaft zu bieten hat. Sie werden deshalb auch in der Mehrzahl zu Schmeichlerinnen und zu Sklavinnen des Mannes erzogen, der sich um sie bewirbt, und werden deshalb folgerichtig seine Tyrannen, wenn die Bewerbung dann ihr Ende erreicht, die Ehe Mann und Weib für immer aneinander gebunden hat, und der Frau die materielle Existenz und die gesellschaftliche Stellung begründet sind, welche sie erstrebte. Die Folge davon ist der Hochmuth und die Nichtachtung der Männer gegen[200] die Frauen. Sie haben nicht Unrecht mit der Behauptung, welche man von ungebildeten Männern überall vernehmen kann, daß sie nur zu wollen brauchen um jedes Mädchen haben zu können.

Dazu kommt noch, um die Achtung der Männer und die würdige Haltung der Mädchen zu verringern, daß die Frauen in ihrer Arbeitslosigkeit so sehr dazu geneigt sind, sich müßigen Einbildungen hinzugeben. Was der huldigende Mann dem Mädchen an Freundlichkeit erweist, wird meist ernsthafter genommen, als es von ihm gesagt ward. Während er am nächsten Tage des heiter gesprochenen Wortes in seinem Comptoir, auf der Anatomie, bei seinen Akten kaum gedenkt, sitzt das Mädchen und grübelt darüber nach, wendet und deutet es, und legt es zurecht nach ihren Wünschen. Woran sie am Morgen noch zweifelt, das glaubt sie am Mittag, weil sie es glauben zu können wünscht. Sie tritt ihrem jungen Verehrer also bei dem nächsten Zusammentreffen zuversichtlicher entgegen. Das steigert sein Vergnügen, macht ihn freundlicher, und von Tag zu Tag in gleicher Weise vorwärts gezogen, finden die jungen Herzen sich bald auf einem Wege, den zu betreten sie vielleicht Beide nicht Willens waren.

Das Mädchen, das ein weit positiveres Interesse daran hat, geliebt zu werden, als der Mann, ist sich daher ihrer Empfindung auch viel schneller bewußt, und nur zu geneigt, die gleiche Empfindung in dem Geliebten vorauszusetzen. Durch keine Thätigkeit von sich selber abgezogen, wird ihr schnell zur Hauptsache, zum Mittelpunkte ihres Lebens, was dem Manne noch ein Nebensächliches[201] ist. Seine Ruhe steigert ihre Ungeduld, sie sieht und berechnet deshalb die Schranken nicht, welche den Mann, selbst wenn seine Liebe der des Mädchens gleich ist, von der Erreichung seiner Wünsche abhalten. Kommt nun durch zwingende Verhältnisse die Nothwendigkeit des Scheidens heran, so findet sie gewöhnlich den Mann, der täglich den Bedingnissen des praktischen Lebens gegenübersteht, noch der Ueberlegung fähig, und damit der Fassung fähig und Herr über sich selbst, wo das Mädchen ohne die erhebende Kraft einer selbstbestimmenden Wahl, ohne Thätigkeit, ohne Hinblick auf irgend ein zu erreichendes Ziel, plötzlich vor der Zerstörung aller ihrer Hoffnungen, einem ohnmächtigen Verzagen zur Beute wird.

Der Mann geht mit seinem Schmerze an die Arbeit und in das Leben hinein, das Mädchen bleibt mit ihrem Schmerze sitzen, und dumpfes Verzagen macht schnell alt. Man hat nicht viel Mitleid mit einem Manne, der seine Geliebte nicht zur Frau bekommt, aber man bedauert ein Mädchen in der gleichen Lage, und Bedauern drückt vollends herab. Jenem sagt man: arbeite, zerstreue Dich, und Du wirst vergessen! Dieser bedeutet man: tröste Dich!

Aber woran? womit? – Etwa mit dem Hinblick auf die Familie, die in der Regel ebenso betrübt ist, die Tochter nicht versorgt zu wissen, als diese, nicht genug Liebe gefunden zu haben![202]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 2, Berlin 1871, S. 190-203.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Meine Lebensgeschichte
Meine Lebensgeschichte (1; V. 3); Von Fanny Lewald
Meine Lebensgeschichte (2-3); Von Fanny Lewald
Meine Lebensgeschichte (1)

Buchempfehlung

Haller, Albrecht von

Versuch Schweizerischer Gedichte

Versuch Schweizerischer Gedichte

»Zwar der Weise wählt nicht sein Geschicke; Doch er wendet Elend selbst zum Glücke. Fällt der Himmel, er kann Weise decken, Aber nicht schrecken.« Aus »Die Tugend« von Albrecht von Haller

130 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon