Sechzehntes Capitel.

Schluß.

[387] »Was ist aus dem armen Anton geworden, nachdem er in dem Oberstlieutenant seinen Beschützer verloren hatte,« brach ich nach einer Weile das Schweigen, in welches Wandel nach der Schilderung der schrecklichen Begebenheit versunken war.

»Für Anton ist gut gesorgt worden,« antwortete mein Gastfreund mit einem tiefen Seufzer, als ob er die trüben Bilder, welche der Schluß seines Berichtes vor seine Seele heraufbeschworen, mit Gewalt hätte verscheuchen wollen; »doch es ist am besten, Sie lesen den letzten Brief, welchen ich von meinem um vergeßlichen väterlichen Freunde erhielt,« fügte er Hinzu, mir das vor ihm auf dem Tisch liegende Schreiben darreichend; »derselbe giebt nicht nur Aufschluß über Alles, was zu wissen Sie noch wünschen können, sondern er charakterisirt den alten Herrn auch[387] besser, als ich es mit endlosen Schilderungen zu thun vermöchte. Es ist übrigens der längste, welchen er jemals an mich schrieb, und wie Sie sich überzeugen werden, schrieb er ihn, wie im Vorgefühl, daß es auch wohl sein letzter sei.«

Ich hatte unterdessen den Brief entfaltet; die große, steile, altmodische Schrift war schon etwas vergilbt, jedoch noch immer sehr deutlich und leserlich. Mit einem eigenthümlichen Gefühl warmer Theilnahme und inniger Verehrung betrachtete ich die mit unsicherer Hand gleichsam ausgemalten Worte und Gedanken des alten liebevollen Kriegers, dessen ehrwürdige Gestalt ich bereits so vielfach versucht hatte, mir im Geiste zu verbildlichen, und dann begann ich zu lesen.

So weit der Inhalt des Briefes sich auf diese Erzählung bezog, lautete er folgendermaßen:

– – – »Seit meine alte brave Lisette – Gott habe sie selig – zur großen Armee abmarschirt ist, hat mir doch immer etwas gefehlt. Sie ist zwar hübsch alt geworden, doch bin ich ja noch so viel älter, und wenn sie am Leben und gesund geblieben wäre, würde sie ihre beinah achtzig Jahre mit derselben Leichtigkeit, wie ich, getragen haben. Na, ich freue mich, sie wiederzusehen, und da im Himmel das Fluchen von selbst fortfällt, so wird sie wohl mit ihrem Alten zufrieden sein. – Der Anton ist mir in den letzten Jahren ein rechter Trost gewesen: erstens, ist er nicht so dumm, wie er aussieht, und dann glaube ich auch, würde er sich mit Freuden für mich in hunderttausend Stücke zerhacken lassen. Meine Pfeifen haben immer Luft, der Ofen ist stets warm, ich meine, wenn es draußen kalt ist – unter ungesägt, mein Blut hat in den letzten dreißig Jahren viel von seiner Hitze verloren – die Hunde erhalten, was ihnen zusteht, und dann, mein lieber Gustav, sind die Gräber meiner Lisette und unserer Johanna jederzeit so sauber gejätet und mit so hübschen Waldblumen und Epheu bepflanzt, daß es eine wahre Freude ist. Ja, an dem Anton ist ein Gärtner verdorben, und er hat mir versprochen, daß, wenn ich erst zwischen den beiden Lieben meine morschen Knochen ausruhe, er auch mein Grab in Ordnung halten und mit Buchsbaum die Umrisse eines eisernen Kreuzes oben darauf pflanzen will. Die Zeichnung dazu habe ich selbst entworfen und, um ihm die Arbeit zu erleichtern und zu verhüten, daß er die Ecken mit Schnörkeln versieht, ans starker Pappe ausgeschnitten.«

»Aber da fällt mir ein, für den Anton braucht Dir nicht bange zu sein, denn da Du jetzt in guten Verhältnissen lebst, kann es Dir auf die paar hundert Thaler, welche ich allmälig erübrigte, nicht ankommen. Ich habe daher das Geld und sonstige Kleinigkeiten dem Anton in einer Weise vermacht, daß er, so lange er lebt, die Zinsen davon bezieht. Er soll dafür im Pfarrhause wohnen und unsere Gräber beaufsichtigen. Er braucht also nicht wieder betteln zu gehen, und wenn die Zinsen nicht ganz ausreichen, wird er sich durch leichte Gartenarbeit noch etwas dazu verdienen. Er befindet sich übrigens ganz wohl und munter, und grüßt den lieben jungen Herrn, der mit ihm an demselben Tisch gesessen und seinen Jakob vom Tode errettet hat – dankbare Seele – Apropos! Jakob ist noch immer derselbe,[388] die Bestie scheint gar nicht älter zu werden; er schimpft auf die ganze Welt, und flucht wie ein Dragoner, da sage nur Einer, daß solch Vieh nicht seinen gesunden Menschenverstand habe! Diana – ich meine die jüngste Tochter der verstorbenen Diana, die Du noch gekannt hast – und Jakob sind endlich doch noch ganz gute Freunde geworden; nur zuweilen fallen noch kleine Scharmützel um einen Knochen vor, bei welchen der Hund, der bereits in's Greisenalter getreten ist, beständig den Kürzeren zieht.

Anton's Uhr hängt noch immer an ihrem allen Nagel; sie geht so richtig, wie die Uhr eines Wachtmeisters, und wird wohl bald die Stunde anzeigen, in welcher ich mich zum Rapport bei unserm lieben Herrgott melden muß. Sage dock dem Hans, dem schreibefaulen Schlingel, daß ich Quartier für ihn machen werde. Er braucht sich indessen nicht zu übereilen; ein so junges Blut – er kann noch nicht aus den Sechzigen heraus sein, oder ist er schon? – muß vorher sein Leben noch recht ordentlich genießen. Wäre ich noch so jung wie ei, dann sollte mich nichts in der Welt abhalten, Euch einen Besuch abzustatten. Möchte gar zu gern Deine Frau kennen lernen und die kleine Johanna. Der alte Gott muß doch noch leben, oder es hätte nach dem vielen Kummer nicht so gut werden können. Soll mich wundern, ob ich im Himmel mein Auge wiederfinde, welches mir der unvorsichtige Granatsplitter ausgeschlagen hat; schere mich indessen den Henker darum; habe ich auf Erden so lange ohne dies Auge zugebracht, brauche ich's auch im Himmel nicht mehr. Hauptsache bleibt die Lisette und Johanna und endlich mein Bruder, der bei Jena fiel. – Bald achtzig Jahre ist eine lange Zeit, und dennoch, wie kurz erscheint mir mein Leben. Waren meine Knochen nicht bereits so mürbe, und mußte ich mir das Pferd nicht immer ganz dicht an die Hausthürschwelle heranbringen lassen, um in den Sattel zu klettern, so würde ich gar nicht glauben, daß ich schon so alt sei. Doch ich kann immerhin zufrieden fein. Der Kummer meines Lebens ist mir allmälig so lieb geworden, als des Lebens Freuden, denn bei Beiden sprach und spricht heute noch das Herz gleich aufrichtig mit. Meine letzte Freude aber ist die über Dich und die Deinen, und dann, daß ich mit dem Gefühl eines recht herzlich Ermüdeten an die ewige Ruhe denke. Gott segne Euch Alle! Küsse in meinem Namen Deine Frau und unsere Johanna, und drücke dem Hans die Hand.«

»Der liebe alte Mann,« sagte ich unbewußt, nachdem ich den Brief zu Ende gelesen hatte und wieder zu Wandel aufschaute.

»Und doch ist dieser Brief nur ein schwacher Abglanz seines Wesens, wie es in Wirklichkeit war,« fügte mein Gastfreund in der ihm eigenthümlichen gewinnenden Weise hinzu; »zwar hat er geschrieben, wie und was er dachte, allein den Ton seiner Stimme mußte man hören, um ermessen zu können, welch unbegrenztes Wohlwollen, welch weiches Herz und welch unerschütterliche Treue und Liebe unter der rauhen Hülle des alten vernarbten Kriegers wohnten.«

»Gern hätte ich ihn noch einmal wiedergesehen, ihn so gern noch einmal auf der Oberförsterei in seinem patriarchalischen Wirken überrascht, allein die Umstände verboten es schon ganz von selbst, auch[389] nur im Entferntesten an ein derartiges Unternehmen zu denken. Von Seiten der dortigen Behörden wären mir freilich keine Schwierigkeiten mehr in den Weg gelegt worden, indem ich mich auf die erlassene allgemeine Amnestie hätte berufen können, doch einestheils hätte mein lahmes Knie die Reise sehr erschwert, anderntheils mußte ich zu Lebzeiten meines Vormundes meine Mittel noch sehr zusammenhalten. Und dann hätte ich Frau und Kind nicht den Kummer bereiten mögen, mich auf so lange Zeit von ihnen zu trennen, abgesehen davon, daß eine längere Trennung von den Meinigen für mich ein nicht minder schweres Opfer gewesen wäre. Selbst mein alter braver Vormund würde einen solchen Entschluß nicht gebilligt haben.«

»Jetzt denke ich noch weniger daran, mein Heimathland noch einmal zu begrüßen. Auch in anderer Beziehung ist es vielleicht besser, es geschieht nicht; denn so, wie der liebe Vater Rhein mit seinen herrlichen Ufern meinem Geiste noch immer vorschwebt, würde ich ihn doch nicht wiederfinden. Die Eindrücke, welche der von romantischen Ideen gleichem übersprudelnde Jüngling damals in sich aufnahm, gestalten gar leinen Vergleich mit denjenigen, welche, der gereifte Mann unterworfen sein würde.

Jene sind glänzender und von einem gewissen blendenden Zauber umflossen, warum also die freundlichen Bilder, welche in meiner Erinnerung fortleben, zerstören? Warum noch einmal alle Wunden aufreißen, noch einmal nach Punkten hinpilgern, auf welchen durch die daselbst einstmals verübten Verbrechen, neben der tiefsten Trauer, auch die allerbittersten Gefühle gegen einen großen Theil der Menschheit wachgerufen würden?«

»Ich lebe versöhnt mit der ganzen Welt, und mit Recht und aus innigster Ueberzeugung wiederhole ich die Worte meines verstorbenen redlichen Vormundes: der Kummer meines Lebens ist mir so theuer geworden, wie meines Lebens Freuden, denn von Beiden wurde mein Herz gleich tief, gleich nachhaltig berührt. Und dann,« fuhr Wandel nach längerem Sinnen, wie zu sich selbst sprechend, fort, »in der eigenen Heimath bin ich ein Fremdling geworden, während hier, in der Heimath meiner Lieben, hier, wo meine ganze irdische Freude, mein ganzes irdisches Glück erblühte, Alles, was mich umgiebt, von der bescheidenen Feldblume, bis zur strotzenden Rebe, mir so heimisch, so lieblich entgegenlächelt, als ob ohne meine Anwesenheit die Blumen verwelken, die Weinstocke verdorren müßten.«

»O, der Boden, dem man mit Fleiß und Umsicht die ihm von der Natur verliehenen Schätze entwindet, man kann ihn sehr, sehr lieb gewinnen.«

»Wen aber würde ich dort drüben finden, der sich meiner noch erinnerte, mir mit einem zum Herzen dringenden ›Willkommen‹ die Hand entgegenreichte? Niemand, Niemand; denn Diejenigen, mit denen ich einst in Liebe verbunden gewesen, schlummern in ihren Gräbern, und die Andern, in deren Gesellschaft ich nur Stunden genoß, die vor Jugendmuth und Fröhlichkeit gewissermaßen, überschäumten, sind nach allen Himmelsrichtungen hin zerstreut worden.«

»Einzelne derselben haben gewiß bei ihrem steten[390] schweren Ringen nach den ersten und unerläßlichen Bedingungen des Lebens ihre heitere Jugendzeit sammt ihren heiteren Jugendgenossen vergessen. Andere wieder, in hohe einflußreiche Aemter eingerückt, würden sich schämen, einstmals mit dem politischen Verbrecher auf vertrautem Fuße gestanden zu haben, und sich nicht gern von dem unscheinbaren Weinbauer an die goldenen Tage des jugendlichen Leichtsinns erinnern lassen. Ja, ja, die Zeiten haben sich geändert, und die Menschen mit ihnen; auch ich bin ja nicht derselbe geblieben, und wer weiß, ob der altehrwürdige Drachenfels mir nicht kleiner, der stolze Rheinstrom mir nicht schmaler erschiene, als sie mir jetzt in der Erinnerung vorschweben.«

»Und dennoch lebt Jemand dort, den es beglücken würde, mich wiederzusehen; ich meine den armen Anton. Der treue ehrliche Mensch ist nämlich zu einfältig, um einen Jugendfreund oder empfangene Wohlthaten zu vergessen.«

»Auch Fräulein Brüsselbach, wenn sie noch unter den Lebenden weilt, würde mich vielleicht wiedererkennen; und erzählte ich ihr sogar, daß ihre Weissagung wörtlich in Erfüllung gegangen sei, wie würde das arme Geschöpf dadurch von Stolz über ihre Sehergabe beseelt werden?«

»Und ein merkwürdiges Zusammentreffen ist es in der That, daß schließlich dennoch ›die Tochter ihres Vaters,‹ die Schwester meiner armen Johanna, mir zum Altar folgte.«

»Wer hätte das geahnt? Der Zufall und die Fügungen des Geschicks sind so wunderbar ineinander verkettet, daß man geneigt sein könnte, den Vers der alten Irrsinnigen, in welchem ich einst, erfüllt von jugendlichem Uebermuth, eine Prophezeiung zu finden glaubte, wirklich für eine wohlberechnete Offenbarung des Schicksals zu halten.«

So sprechend strich Wandel mit der Hand über seine Stirne, wie um sich aus der Vergangenheit wieder in die Gegenwart zurückzuversetzen, und dann füllte er die vor uns stehenden Gläser, die so lange unberührt geblieben waren, mit dem perlenden Kataubawein.

»Hier ist meine Heimath,« begann er feierlich, hier will ich leben und, wenn meine Stunde einst schlägt, auch begraben sein. Was ich am Rhein aus vollem Herzen fang, wenn die Wanderlust sich in meiner Brust regte und die Arme jugendfrischer Commilitonen sich mit erhobenem Becher ineinander verschlangen, das wiederhole ich hier aus dankbarem Herzen:


»Und Liebe, sie folgt ihm, sie geht ihm zur Hand,

Und macht ihm zur Heimath das ferneste Land!«


Die Gläser erklangen.

»Und Liebe, sie folgt ihm, sie geht ihm zur Hand, Und macht ihm zur Heimath das ferneste Land!« wiederholte ich, und dann leerten wir die Gläser.

Wandel war plötzlich schweigsam geworden; doch entsprang sein Schweigen nicht etwa aus einer traurigen oder wehmüthigen Stimmung, denn indem seine Blicke durch den Eingang der Laube nach dem Hause hinüberschweiften, vor welchem Frau Jeannette und ihre Tochter sich eben damit beschäftigten, dem durcheinander schwirrenden Federvieh des Tages letzte Mahlzeit zu verabreichen, bemerkte ich, daß seine[391] Augen sich erweiterten und ein Ausdruck aus denselben leuchtete, wie ihn nur ein wahrhaft zufriedener und innig beglückter Mensch zur Schau tragen kann.

Ich wagte nicht, ihn in seinen Betrachtungen zu stören; dieselben betrafen offenbar seine Lieben und den Segen, der sichtbar auf seinem häuslichen Herd? ruhte. Erst als er sich mir wieder zuwendete, nahm ich die Unterhaltung von neuem auf.

»Nun ist noch Jemand da, über dessen ferneres Geschick ich gern Aufschluß erhalten hätte,« begann ich zögernd, »ich meine –«

»Sie meinen die liebe Kate mit dem lachenden Antlitz und den guten freundlichen Augen,« unterbrach Wandel mich schnell.

»Ja, die meine, ich,« entgegnete ich erfreut darüber, daß mein liebenswürdiger Gastfreund sich so bereitwillig zeigte, meinem Wunsche entgegenzukommen, »und es kann Sie nicht überraschen, daß ich nach Lesung Ihres Manuscriptes von herzlicher Theilnahme für die muthige Jägerin erfüllt bin.«

»Ah, ich entsinne mich, ich habe das brave Mädchen mit sehr warmen Worten geschildert,« versetzte Wandel gutmüthig lachend, »aber glauben Sie mir, ich habe sie lange noch nicht so enthusiastisch geschildert, wie sie es verdient. Ja, ja, die Kate, die liebe gute Kate ist noch immer das ewig heitere, lachende Kind von früher. Aus der Kate Dalefield ist aber bereits vor zwölf Jahren eine Kate Halbert geworden, und zwar eine Kate Halbert, deren glückliches Lachen in nicht weniger, als vier kleinen holden Gesichtern einen lieblichen Abglanz findet.«

»In unserm Verhältnis; zu einander hat sich indessen nichts geändert, es sei denn, daß es noch herzlicher geworden ist, und ihr Gatte und meine Jeannette dem Bunde, welchen wir einst am obern Missouri unter so seltsamen Umständen schlössen, beigetreten sind.«

»Sie betrachtet sich noch immer als meine Schwester, und ich hänge wieder mit wahrer brüderlicher Liebe an ihr. Wir sehen uns häufig, und wiederum möchte ich es mehr, als einen bloßen Zufall nennen, der uns fast zu Nachbarn gemacht hat. Ja, denken Sie nur, die Familie Halbert lebt nur wenige Meilen von hier auf einer umfangreichen und prachtvoll eingerichteten Besitzung. Schade, schade, daß sie sich augenblicklich im Norden an den Süßwasser-See'n befindet, Sie hätten sie sonst unbedingt kennen lernen müssen.«

»Daß wir so nahe bei einander wohnten, erfuhr ich erst, nachdem ich schon ein Jahr auf dieser Stelle zugebracht halte. Und ich würde es auch dann wohlkaum erfahren haben, wenn Kate und ihr Gatte nicht Nachforschungen nach mir angestellt hätten, die, am obern Missouri beginnend, endlich nach vielem Hin- und Herschreiben hier auf meinem Grundstück endigten.«

»Zwar hatte ich versprochen, nach meiner etwanigen Rückkehr nach St. Louis bei einer mir zu diesem Zweck bezeichneten Familie mich nach ihren, Aufenthaltsort zu erkundigen und ihnen ein Lebenszeichen von mir zu geben; da ich aber im Begriff stand, mich häuslich niederzulassen, so fürchtete ich die dringenden Anerbietungen, welche mir, um mir[392] mein Vorhaben zu erleichtern, unfehlbar gemacht worden wären.«

»Ich handelte darin vielleicht zu engherzig, allein es widerstrebte meinem Gefühl, irgend welche Gefälligkeiten entgegen zu nehmen, welche als eine Art von Belohnung für geleistete Dienste hätten betrachtet werden können.«

»Um so größer war daher eines Tages die Freude, als Halbert und feine junge Gattin hier vorführen, und ich ihnen, nach den ersten Begrüßungen, in der Mandanenwaise meine Frau vorstellte.«

»Kate war freudig erstaunt, indessen weniger über meine Verheirathung, von der sie bereits gehört hatte, als über die Veränderung, welche in dem kurzen Zeitraum von nicht ganz zwei Jahren mit Jeannette, oder vielmehr Schanhatta, unter welchem Namen sie dieselbe erst kannte, vor sich gegangen war, und kaum vermochte sie sich zu überreden, daß die gebildete, liebliche junge Frau mit dem holden, etwas befangenen Wesen, dasselbe freundliche Indianermädchen sei, welches noch immer als die kühne Retterin ihres Gatten, als die Forelle des Missouri, in ihrer Erinnerung fortlebte.«

»Selbstverständlich wurde seit jenem Tage unser Verkehr mit der Familie Halbert ein sehr reger. Widerwärtigkeiten und Gefahren hatten uns zusammengeführt, und Glück und Zufriedenheit vereinigten uns immer fester miteinander.«

»Das Verhältniß zwischen Kate und Jeannette gestaltete sich bald in ein sehr inniges, und namentlich in Dingen, in welchen der Mann keine klare Einsicht haben kann, erwies sich der Einfluß der Ersteren auf meine Frau als ein wahrhaft segensreicher.«

»Wenn ich jetzt meine Jeannette betrachte, wie sie so anmuthig weiblich, so verständig und dabei so bescheiden und anspruchslos, nur durch ihre bräunliche Gesichtsfarbe an die arme, verlassene indianische Waise erinnert, die ich einst von dem Verderben rettete, dann weiß ich kaum, was ich mehr bewundern soll, ob nun die lachende Kate, die es verstanden hat, in so treuer, liebevoller Weise meine Jeannette zu belehren und zu unterweisen, oder diese, die mit so wunderbarem Scharfsinn Kate's Gedanken und Absichten sogleich auffaßte, und sich nach den ihr zu Theil gewordenen Lehren so gewandt zu bilden und gleichsam zu veredeln wußte.«

»Doch Sie werden in den nächsten Tagen noch Gelegenheit genug haben, sich zu überzeugen, ob ich vielleicht, von blinder Liebe geleitet, übertrieb,« fügte Wandel mit einem unbeschreiblich herzlichen Ausdruck hinzu, indem er etwas zur Seite rückte und seine eben in die Laube tretende Gattin neben sich ans die Bank zog, die kleine Johanna dagegen auf seinen Schooß hob.

»Ich habe mich längst überzeugt,« antwortete ich, mit innigem Wohlgefallen die reizende Gruppe betrachtend, welche der künstlerisch schaffenden Hand eines Murillo würdig gewesen wäre.

»Darf ich mich an der Unterhaltung betheiligen und fragen, wovon mein Mann Sie zu überzeugen wünscht?« fragte Frau Jeannette in dem reizendsten, fremdländisch betonten Deutsch, wobei sie leicht erröthete.[393]

»Ich will Dir's sagen, mein Kind,« kam Wandel mir schnell zuvor, mir verstohlen mit den Augen zuwinkend; »der fremde Herr da drüben, oder vielmehr unser lieber Landsmann hegt die Ueberzeugung, daß mein altes Manuscript nebst Allem, was ich ihm noch dazu erzählte, sich vortrefflich zu einem Buche eignen würde und beabsichtigt daher, die ganze Geschichte niederzuschreiben und drucken zu lassen. Habe ich recht?« schloß er dann, indem er sich mir zuwendete.

»Ich kann nicht leugnen, daß mir dergleichen im Kopfe herumging,« antwortete ich ausweichend, »doch bin ich weit entfernt davon, schon einen bestimmten Plan entworfen zu hüben; vor allen Dingen würde ich Sie vorher um Ihre Erlaubniß –«

»O, entschuldigen Sie sich nicht,« fiel Wandel mir lachend in's Wort, »ich habe in der ersten Stunde unseres Zusammenseins ihre Absicht errathen, und ohne Grund war ich nicht so ausführlich in meinen Berichten!«

»Sie wollten es mir gestatten?« fragte ich erfreut, meinem Gastfreunde die Hand über den Tisch darbietend.

»Und warum denn nicht?« fragte Wandel zurück, in meine Hand einschlagend, »ich ertheile Ihnen nicht nur die Erlaubniß, sondern ich bin auch bereit, wenn Sie erst zur Ruhe gekommen sind und mit der Arbeit beginnen wollen, Ihnen mein Manuscript zur Verfügung zu stellen. Aber eine Bedingung! meine Jeannette ist die Hauptperson der Erzählung und muß als solche mit der gebührenden Wärme geschildert werden!«

»Ich?« fragte Frau Jeannette mit einer überaus reizenden Verwirrung.

»Ja, Du mein Kind,« versicherte Wandel heiter, indem er den Arm zärtlich um seiner Gattin Schultern legte.

»Aber wie kann ein armes Indianermädchen die Hauptperson in einem Buche sein?« fragte diese noch immer verlegen, »ja, wenn ich irgend etwas Besonderes geleistet und mich dadurch ausgezeichnet hätte; aber ich habe ja weiter nichts gethan, als meinen Mann über Alles geliebt und verehrt.«

»Und glücklich gemacht hast Du ihn auch,« fuhr Wandel wieder fort, »aber beruhige Dich nur, mein gutes Kind, unser Freund wird schon wissen, was er zu thun hat; er schreibt unsere Geschichte –«

»Und Sie liefern mir den Titel zu dem Buche,« unterbrach ich ihn, mich, an seine Gattin wendend.

Frau Jeannette sah mich eine Weile überrascht und sinnend an; plötzlich aber leuchtete es in ihrem schönen Antlitz auf. »Nennen Sie das Buch, ›Der brave deutsche Student,‹ sagte sie, mit einem fragenden Blick auf ihren Gatten.«

»O, so war es nicht gemeint,« versetzte Wandel wiederum herzlich lachend, »Du selbst, Deine Person. Dein Name soll den Titel liefern oder vielmehr bilden, und da rathe ich denn sehr dringend, zu sagen: ›Die Mandanenwaise, eine Erzählung aus den Rheinlands und dem Stromgebiet des Missouri.‹«

»Von ganzem Herzen einverstanden!« rief ich erfreut aus, »›Die Mandanenwaise‹ soll das Buch heißen und nicht andere.«[394]

»Ist das Dein unumstößlicher Wille?« fragte Frau Jeannette ihren Gatten leise.

»Mein unumstößlicher Wille,« antwortete dieser, seine Frau auf die Stirn küssend; »es bleibt bei der Mandanenwaise, und nun in's Haus Kinder, denn irre ich nicht, so wartet der gedeckte Tisch auf uns.«

Frau Jeannette, nunmehr über den Titel vollständig beruhigt, nickte ihrem Gatten zustimmend zu, und gleich darauf erhoben wir uns, um ihrer wiederholten Einladung Folge zu leisten.

Wandel, die kleine Johanna an der Hand, schritt vorauf, und Frau Jeannette und ich folgten ihm auf dem Fuße nach.

»Wie lange dauert es, bis Sie mit der Ausarbeitung des Buches beginnen?« fragte meine Begleiterin mit unterdrückter Stimme.

»Leider noch sehr lange,« antwortete ich ebenso leise, obwohl ich vergeblich zu errathen suchte, was sie bezweckte, »es können sogar noch Jahre darüber hingehen.«

»Welch lange Zeit; Sie werden aber nicht vergessen, meinen Mann so zu beschreiben, wie er es verdient?«

»Gewiß nicht.«

»Beabsichtigen Sie auch unsere kleine Johanna zu erwähnen?«

»Der kleine Engel soll mit als Hauptperson behandelt werden.«

Ein Lächeln des Stolzes glitt über Frau Jeannette's wunderschönes Antlitz.

»Dann beschreiben Sie auch wohl unser Haus?« fragte sie gleich darauf wieder lauter.[395]

»Ihr Haus und Ihren Garten, Ihren Wein und Ihre Blumen, vor allen Dingen aber den holden Frieden, der Ihre traute Heimath umschwebt, und das Glück und die Zufriedenheit, die unter diesem gesegneten Dache wohnen.«

Wir waren bei der Hausthür angekommen. Wandel kehrte sich nach mir um und reichte mir die Hand. Er sprach nicht, aber in seinen Augen stand geschrieben, daß er wenigstens den letzten Theil unserer Unterhaltung verstünden hatte.

Einige Minuten später saßen wir traulich um den weiß gedeckten Tisch, auf welchem einige auf Mandanenart zubereitete Fleischschnitten das Hauptgericht bildeten.


Zwei Tage blieb ich noch auf der Farm, und als ich dann endlich von dannen zog, gaben Wandel, Frau Jeannette und die kleine Johanna mir eine Strecke das Geleite.

Der Abschied wurde mir schwer; auch meine lieben Gastfreunde sahen mich, wie ich allen Grund habe zu glauben, nur ungern scheiden. –

Zwölf Jahre sind seitdem verstrichen. Wandel's Haare find zur Zeit wohl schon ganz weiß, während seine schöne Gattin zur stattlichen Matrone geworden ist, und ihre liebliche, viel versprechende Tochter ohne Zweifel den segensreich wirkenden Mittelpunkt einer neu begründeten Häuslichkeit bildet. Doch mögen die Jahre ihr Aeußeres noch so sehr verändert haben, ihre Herzen sind dieselben geblieben, ich fühle es, ich weiß es, zu viel Aufrichtigkeit, zu viel innerer Friede sprachen aus ihren Worten, aus ihren Blicken.


Ende.[396]

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 387-397.
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Die Mandanenwaise
Die Mandanen-Waise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri. Roman
Die Mandanenwaise
Die Mandanenwaise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri von Balduin Möllhausen

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