An den Lebensnachen

[66] Wenn schleierlos Aurora der Fluth entsteigt,

Im Blüthenschmuck des Lenzes die Schöpfung lacht,

Wenn kühle Morgenlüfte säuseln,

Und mit den Locken der Haine spielen:
[66]

Dann, Lebensnachen, gleite gehaltnern Laufs,

Wie Schwäne sanft auf spiegelnder Woge fort,

Daß ich der Uferblumen viele,

Mir um die Schläfe zu duften, breche!


Wenn aber Zeus im Donnergewölke zürnt,

Poseidon stolze Flotten wie dürres Laub

Verstreut, der Erde Säulen zittern,

Finsterniß über den Wassern brütet:


Dann eil', o Nachen, schnell wie der goldne Pfeil

Von Smintheus Bogen! Daß bei der Nachtigall

Und Hirtin Melodein ich früher

Donner und Nacht und Orkan vergesse!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 66-67.
Lizenz:
Kategorien: