Der Herr von G...

[38] Dieser Herr v.G.. war ein Greiß von achtzig Jahren, der Hartknopfs Vater gekannt hatte, und den Sohn zum Prediger berief. –

Er hatte schon lange seine Gattin und Kinder überlebt – so daß alle seine Gedanken den irrdischen Sorgen entrückt waren, und sich nun mit etwas jenseit beschäftigten, daß sie nicht fassen konnten. –

Nichts konnte sich wohl mehr entgegengesetzt scheinen, als die Meinungen Hartknopfs und des Herrn v.G...

Der Herr v.G.. war für das Leichte, Auf lodernde, Himmelanstrebende. –

Hartknopf für das Schwere, sich niedersenkende, in sich selbst ruhende. –

Der Herr v.G... liebte die Pyramidalform. –

Hartknopf den Kubus. –[39]

Und doch trafen beide immer in gewissen Punkten zusammen. –

Dann war es, als ob sie sich über einem Abgründe die Hände reichten. –

Der Hr. v.G.. hatte von seiner Jugend an mystische Schriften gelesen, und seine ganze Denkart hatte dadurch eine gleichsam zugespitzte Richtung bekommen, sie eilte immer zu früh dem Ende zu, ehe sie noch die Fülle gefaßt hatte. – Das Fassende erhielt dadurch eine gewisse Einengung, worin Bäume, Pflanzen und Thiere nicht Platz finden konnten.

Das Körperliche blieb ausgeschlossen – das Geistige schwebte oben. –

Zwischen dem, was zusammen gehört, und sich nach einander sehnt, war eine Kluft befestiget, die der Hr. v.G.. nicht sähe, weil er selber in dieser Kluft stand. –

Hartknopf zog einen Brief des Hrn. v.G.. aus der Tasche, den er ihm nach Erfurt geschrieben hatte, und las ihn noch in dem Fichtenwalde durch, da er sich, an einen Stamm gelehnt, ein paar Minuten ausruhte. –[40]

Er wollte die gewohnten Züge seiner Hand erst wieder vor seinen Augen erneuern, eh' er den Mann persönlich sahe. –

Die Buchstabenschrift des Hrn. v.G... flammete, wie sein Geist in die Höhe – wodurch aber der Nachtheil entstand, daß die untere Zeile oft in die obere eingriff, und die Züge sich untereinander verwirrten.

Hartknopfs Buchstaben standen mehr senkrecht in dichtgeschlossener Reihe aneinander – so daß auch die Wörter sich fast zu nahe aneinander drängten, und oft eine ganze Zeile wie ein einziges Wort aussähe. –

Der Brief des Hrn. v.G.. an Hartknopf lautete also:

»Da mein bisheriger Prediger in Ribbeckenau am 8ten dieses gestorben ist, so lasse ich an meinen lieben Andreas Hartknopf in Erfurt, folgende Anfrage ergehen: ob derselbe noch gewilligt ist, diese von mir ihm zugedachte, nunmehro erledigte Pfarrstelle, zu übernehmen? –

Da ich hieran nicht zweifeln kann, so sehe ich mit Verlangen dem Augenblicke entgegen, wo unsre Worte und Gedanken sich unmittelbar[41] einander begegnen können – dem, ich weiß doch, daß mein Andreas auch seine noch nie gesehenen Freunde liebt. –

Ich möchte ihm noch die Hand geben, ehe ich scheide; denn ich stehe am Rande und harre auf meine Auflösung – der aber, den ich hier zurücklasse, wird durch harte Prüfungen vollendet werden. –

Ich lade ihn ein zu der Schule des Kreuzes; denn er soll nachfolgen seinem Herrn und Meister. –«

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 38-42.
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