Hartknopfs Besuch bey dem Hrn. von G...

[45] Die Sonne neigte sich zum Untergange, als Hartknopf aus dem Fichtenwalde trat. –

Das Dorf Nesselrode lag gerade vor ihm in einer fruchtbaren Ebene, und in einiger Entfernung zur Rechten das herrschaftliche Schloß, dessen Fenster im Glanze der Abendsonne schimmerten.

Der Pfad zum Schlosse des Hrn. von G.. führte vor Nesselrode vorbei über ein schönes Aehrenfeld. Der Fahrweg aber gieng durch das Dorf, und war mit einer Allee von Weidenbäumen bepflanzt.

Da wo nun der Fahrweg und der Fußweg dem Schloßthore gegenüber zusammentraten, stand Hartknopf noch eine Weile still, und schauete durch den Thorweg, über den Hof,[46] bis an die Stuffen vor der Thür welche braun angestrichen war, und gegen die ganz weiß abgeputzte Vorderseite des Hauses auffallend abstach. –

Die braune Thür eröfnete sich, und Hartknopf blickte beim Strahl der Abendsonne zuerst in dieß Heiligthum, das einen Geist umschloß, der in seiner sterblichen Hülle weit über die Erde emporragte, und doch in den Bezirk dieser Mauren, auf diesen einzelnen Fleck, seine bestimmte Wirksamkeit hingeheftet hatte; und gleichsam nur noch mit den Spitzen der Zehen diesen Punkt der rollenden Kugel berührte, die nun bald unter ihm weggewälzt, seinem spähenden Blicke in die ungemessene Ferne sich entziehen sollte.

Ein alter Diener des Herrn von G.., führte Hartknopf eine Treppe hinauf, in ein grün tapezirtes Zimmer, wo der Herr von G.. vor dem Spiegel stand, und sich den Bart eingeseift hatte, um sich zu halbieren, welches er, eine Stunde vor Sonnenuntergang selbst zu thun gewohnt war.

Er eilte mit dem eingeseiften Barte auf Hartknopfen zu, dieser aber bat ihn, er möchte sich[47] nicht stöhren lassen, und setzte sich so lange auf einen Stuhl, bis der Herr von G.. sich den Bart abgenommen hatte. Dabey gab er auf seine Augen und Hände Acht, wie die Schärfe des Scheermessers das Kinn des Greisen umwandelte – während daß in der ruhigen Mine ein schöner Zug nach dem andern sich enthüllte, und endlich um die Lippen das jugendliche bewillkommende Lächeln sich verbreitete, womit der Herr von G..., nachdem er sich halbiert hatte, seinen langgewünschten Freund an seinen Busen drückte.

Die Empfindungen Hartknopfs und des Hrn. von G.... trafen in einem Punkte zusammen. – Beyde suchten die Bewegung, welche in ihren Gemüthern herrschte, erst wieder einzuwiegen, ehe sie sich einander mittheilten.

Daher fand es der Herr von G... ganz natürlich, daß Hartknopf, ohne weiter etwas zu sagen, sich an ein Klavier setzte, das in der Stube stand, und folgende beiden Lieder sang und spielte, welche der Herr von G... in einer freilich[48] noch etwas unpoetischen Sprache, aus dem Französischen übersetzt hatte.

Hartknopf kannte diese Lieder schon, und fand sie gerade aufgeschlagen auf dem Klavier liegen; das erste war das Wiegenlied selbst, und das andre noch eine Kadenz dazu.

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 45-49.
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