15. Calpurnia an Sulpicien.

[68] Rom, im Mai 301.


Mein treuer Phädo bringt dir diesen Brief sammt dem Einschlusse, der dir freilich lieber seyn wird, als Alles, was der meinige enthält. Ich will dir's auch nicht übel nehmen; denn ich würde im umgekehrten Falle eben die Nachsicht, von dir fordern, wenn ich ihrer bedürfte. Ich bin aber so glücklich, oder so unglücklich, wenn du willst, daß die Briefe, die ich bekommen soll, ganz frei und ungehindert zu mir gelangen können, ohne des Einschlusses einer dienstfertigen Freundin zu bedürfen, die die mir unbemerkt in die Hände spielt. Vielleicht sind sie aber auch aus dieser Ursache so beschaffen, daß die ganze Welt sie unbedenklich lesen dürfte. Es ist nun einmal eine Eigenheit des männlichen Herzens, daß es nur durch das heftig gereizt wird, was ihm verwehrt ist, und einen Gegenstand nur nach dem Maaße des Kraftaufwandes schätzt, den ihm sein Besitz kostete. Sie können nicht[68] dafür, die armen Herren der Schöpfung; die Natur hat diese Triebe in ihr Herz gelegt. Wir wollen sie auch darum nicht verdammen, aber in Acht sollen und werden wir uns vor ihnen nehmen.

Wende mir nicht ein, Sulpicia, daß das überhaupt eine Eigenheit des menschlichen Herzens, und eine Anstalt des Schicksals sey, um unsre Fähigkeiten zu wecken und zu entwickeln. Ich weiß wohl, daß die Mutter manchmal auch das schwächliche Kind, das ihr viel Sorgen und Mühe gemacht hat, mehr liebt, als die übrigen; und wie manche Frau sehen wir nicht in seltsamer Verirrung mit unauslöschlicher Zärtlichkeit an einem Mann hängen, der ihr durch Leichtsinn und Untreue nichts als Kummer macht? Doch nie – gewiß nie wendet ihr Gemüth sich launisch von einem Gegenstande ab, blos darum, weil es ihr leicht war, ihn zu erhalten, oder erkaltet in der Dauer und Sicherheit des Genusses. Nein, vielmehr stärken Gewohnheit und Zeit unsre Neigungen. Was wir lange haben, wird uns darum werther, und in der Rechtmäßigkeit und Würde seiner Gefühle findet das Weib seinen Stolz und sein stärkstes Band.

Der Brief von Tiridates an dich war in einem eingeschlossen, den mir Agathokles bei seiner Rückkunft nach Nikomedien geschrieben hat – ein sehr verbindliches Danksagungsschreiben für alle Gefälligkeiten, die er in unserm Hause empfangen, eine kurze Beschreibung seiner Reise, Nachrichten von Tiridates, Grüße an dich, an seine übrigen römischen Bekannten u.s.w., ein Brief, den ich im Forum hätte können anschlagen lassen![69]

Und das schreibt Agathokles mir? Es ist also vollkommene Ruhe in seinem Herzen, und von Allem, was ihn hier so tief zu bewegen schien, jede Spur auf der glatten Oberfläche seiner Seele verschwunden? Ich muß dir gestehen, daß es mich überrascht hat, auch mitunter ein Bischen verdrossen. Aber das ist schon vorüber. Solche Stürme verwehen schnell bei mir, und es bleibt nichts davon zurück, als die weise Lehre, künftig vorsichtiger zu seyn, und vor allen Dingen kein Wesen auf der Welt in einem andern als dem klaren Tageslichte der Wirklichkeit anzusehen. Traue nur Niemand den Gestalten, die die Phantasie uns statt der Dinge an sich unterschiebt. Sie haben meistens nichts von ihren Originalien, als die äußere Form, und wir würden oft sehr erstaunen, wenn wir auf einmal statt des idealisirten Phönix den gemeinen Haushahn sehen könnten, der wirklich vor uns steht: wir würden klüger und demüthiger werden. Denn, laß es uns aufrichtig gestehen, unsere Eitelkeit hat an dergleichen Apotheosen wohl eben so viel Theil, als unser Herz und unsere Phantasie. Wir möchten gar zu gern von einem Heros geliebt seyn, mit Göttergestalten umgehen, und so nach und nach selbst zur Göttin werden. Aber es kömmt die liebe Zeit in ihrem Alltagsschritte, und die gemeine Wirklichkeit. Sie nähern sich dem schönen Phantom, das vor uns steht. Vor ihrer kräftigen Berührung verschwindet der Nimbus, der es umgab, die Göttergestalt selbt sinkt zur gewöhnlichen Erdengröße herab, und die arme Sterbliche, die sich schon eine Heroin glaubte, ist wieder auf die platte Menschheit reducirt. Das thut nun freilich weh im ersten Augenblick –[70] im zweiten verschmerzt man's um den Gewinn an Menschenkenntniß und Erfahrung, und küßt, wie ein wohlgezogenes Kind, die Ruthe, die uns für den verwegenem Versuch auf die Finger klopft.

Sieh, Liebe, aus diesem gemeinen, aber sehr wahren Lichte sehe ich die Geschichte zwischen Agathokles und mir an. Auch er ist ein gewöhnlicher Mann, jedem ersten Eindruck offen, schwach gegen die Macht der Schönheit, achtlos für weiblichen Werth, leichtsinnig und flatterhaft. Das erkenne ich nun deutlich, und bin auch seit dieser Erkenntniß wieder ganz in den Besitz der seligen Ruhe gelangt, die seine Anwesenheit, sein Scheiden gestört haben, und in der doch allein mir eigentlich wohl ist.

Könnte ich nur in deine Brust einen Tropfen dieser friedlichen Stille, dieser behaglichen Gleichgültigkeit übertragen! Könnte ich dich nur ein einzigesmal die Welt und die Menschen so betrachten machen, wie ich sie ansehe! Glaube mir, es würden noch Schönheiten genug an der ersten, und Tugenden an den letztern übrig bleiben, um ihnen recht gut zu seyn, und seines Lebens froh zu genießen; aber was unsre Leidenschaften in so stürmische Bewegung bringt was uns das kurze Daseyn so oft verbittert, würde wegfallen. Wir würden von Umständen und Menschen nicht mehr erwarten, als sie leisten können, kein Wesen mehr schätzen, als es verdient, und jedes nach seiner Art benützen, ohne über die Uebel, die wir ja zu berechnen wußten, zu klagen.

Ich meine, mit dieser Art zu denken, hätte ich auch mit deinem Serranus nichts unglücklich seyn wollen! Er[71] kömmt zuweilen zu mir, und ich glaube beinahe, er hat Lust, mich zur Vertrauten seines beklemmten Herzens zu machen! Ich kann eben nicht sagen, daß mich das sehr freuen würde, aber die Achtung, die er mir zeigt, freut mich. Er ist im Grunde ein guter Mensch, nur leichtsinnig und schwach, durch Erziehung und Beispiel verdorben, und hätte wohl vielleicht, unter vernünftiger Leitung, ein ganz annehmliches Wesen werden können. Er liebt dich aufrichtig. Der Verlust deiner Neigung – der arme Mann wiegt sich in den süßen Traum, sie vor Tiridates Ankunft besessen zu haben – thut ihm sehr weh. Im Ernst, Sulpicia! glaube mir, so ein Mann ist trotz seiner prosaischen Denkart weit brauchbarer für's alltägliche Leben, als jene idealisirten Geschöpfe. In Verbindung mir einem vernünftigen Weibe übernimmt sich so ein Mensch nicht leicht, überläßt der klügeren Frau die Leitung ihres gemeinschaftlichen Besten, stört ihre Ruhe durch keine wilden Flüge der Einbildungskraft, reißt sie nicht, ihrer besseren Vernunft zum Trotz, in überirdische Welten fort, liebt sie aufrichtig und dankbar – und bleibt ihr treu! O ich lobe mir die Prosa des Lebens!

Darum, liebe Sulpicia, um dieser neuen Erfahrungen willen, überhöre die Stimme der Freundschaft, die schon so oft vergeblich an dein Herz drang, nicht länger, suche jetzt, da Entfernung und andere Umstände diesen Entschluß begünstigen, eine Neigung zu besiegen, die dich gewiß unglücklich machen muß: nicht, weil du mit Anicius vermählt bist – Ehen können getrennt werden, – nicht, weil deiner Verbindung mit Tiridates Hindernisse im Wege stehen – Muth und Standhaftigkeit werden sie[72] besiegen – nein, darum, weil kein Mann der Liebe eines Weibes würdig ist, darum, weil sie Alle, mehr oder minder flatterhaft, sinnlich, selbstsüchtig sind. Was sie an uns lockt, ist Sinnenreiz, was sie eine Weile festhält, Phantasie, Eitelkeit, Eigensinn. Hören diese Triebfedern auf zu spielen, so erschlafft die Begierde, mit ihr die Liebe, und wir sind ihnen nichts mehr.

Nenne mich nicht grausam, wenn ich dir jetzt etwas sage, das dich hart dünken wird. Schilt den Arzt nicht, der in Ueberzeugung des Bessern dir bittere Arznei reicht. Glaubst du wohl, daß ohne deine Schönheit und die ungeheuren Hindernisse Tiridates Liebe so feurig und treu seyn würde? Laß nur den Krieg glücklich enden, deine Verbindung mit Anicius durch die Macht des Cäsars getrennt werden, den Prinzen im ruhigen Besitz seines väterlichen Throns und deiner Hand seyn, und dann sieh, wie lange die Flamme noch matt fortglimmen wird, die jetzt so ungestüm lodert!

So denken sie Alle – Alle – und diejenige, die einen Einzigen ausnehmen will, ist betrogen. Was sie aber betrügt, ist nicht der Mann – denn der Bösewichter, die aus Absichten Liebe heucheln, sind wenige – sondern ihr eigenes Herz, ihre aufgereizte Einbildungskraft, die es ihr unmöglich macht, den allgemeinen Geschlechtsbegriff auf den Einzelnen anzuwenden, die Eitelkeit, die ihr zuflistert, daß sie eine Ausnahme würde gefunden haben, weil – sie eine zu finden verdiente u.s.w.

Verzeih, Sulpicia! wenn dich mein Brief schmerzt; verzeih es der 'Freundschaft, die dich so gern vom Abgrund zurückreißen möchte; verzeih es den Erfahrungen, die ich[73] gemacht habe, und liebe mich darum nicht weniger. Leb' wohl, theure Freundin! Wir sehen uns nächstens.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 68-74.
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