Tägliches Bitt-Lied

[273] Eines jedweden Christlichen Hausvatters und einer jedweden Gottseligen Hausmutter, daß sie das Ihrige recht und wol mügen regieren.


1.

O Vatter aller Gnaden,

Von Kräften groß, von Hertzen treü

Du hast Mich mild beladen

Mit Ehr' und Gühtern mancherlei;

Du hast Mir ja das Leben,

Gesind' und Kinderlein

Allein darüm gegeben,

Daß Ich sol fleißig sein,

Dieselbe zu regiren,

Ja dir fein in der Still'

Und Demuht zuzuführen:

Das ist dein guhter Will'.


2.

Ich bitte dich von Hertzen,

Hilf, daß Ich wandl' auf ebner Bahn

Und ja nicht müge schertzen,

Wie mancher Spötter hat gethan.

Laß Mich für allen Dingen

Begehren, Herr, dein Reich

Und nach dem Himmel ringen,

So wirst du Mich zugleich

In deiner Furcht erhalten

Und lassen Mein Gesind'

Auch seine Pflicht verwalten

Treü, redlich und geschwind'.


3.

Gib Mir des Geistes Früchte,

Als Liebe, Sanftmuht, Gühtigkeit,

Ein Ehrliches Gerüchte,

Gedult in schwerer Leidenszeit.

Laß fleißig Mich erziehen

Auch Meine Kinderlein,

Damit sie ja nicht fliehen

Die Straff' und trotzig sein;

Doch laß Mich sie nicht reitzen,

O lieber Gott, zum Zorn,

Behühte Mich für Geitzen,

Dem schärffsten Seelendorn.


4.

Laß Mich heut' oder Morgen

(Herr, dieses bitt' Ich sonderlich)

Die Meinen so versorgen,

Daß Ich ja nicht erzürne dich.

Laß Mich den Ehstand halten

In ungefärbter Treü,

Die Liebe nicht erkalten

Durch List und Triegerei.

Hilff, daß Ich hertzlich liebe

Die Nachbahrn und zugleich

In deiner Furcht Mich übe,

So werd' Ich ewig reich.


5.

Laß Mich Mein Brod erwerben

Im Schweisse Meines Angesichts:

Dein' Hand lässt nicht verderben,

Theilt sie Mir mit, so fehlt Mir nichts.

Ich bin gahr wol zu frieden

Mit dem' in dieser Welt,

Was du Mir hast beschieden

Und gnädigst zugestellt;

Nur laß Mich nicht gerahten

In Armuht, Schand' und Spott;

Kein Geld kan Mir doch bahten,

Hilffst du Mir nicht, Mein Gott.


6.

Laß Mich aus freiem Willen

Von Meinen Gühtern ehren dich,

Der Armen Nohtdurfft stillen

Und ihnen steüren mildiglich.

Laß Mich ja nicht mißbrauchen

Die Schätze dieser Welt,

Der Laster Feür nicht rauchen;

Gib, daß noch Gold noch Geld

Von dir Mich mache wanken;

Hilff, daß Ich Sorgen-frei

Dir allzeit müge danken

Und gantz dein eigen sei.


7.

Solt' Ich gleich Mangel leiden,

Mein Gott, in dieser kurtzen Zeit,

So kan Mich doch nichts scheiden

Von deiner Lieb' und Freundligkeit.

Wir sind in dieser Hütten

Zwahr fremd, doch wird dein' Hand

Uns reichlich überschütten

In jenem Freüden-Land

Und da mit Gühtern speisen,

Welch' unvergänglich sind;

Denn wird dich hertzlich preisen

Dein außerwehltes Kind.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 273-274.
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