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[251] In dem frischen ton Hans Vogels.
13. december 1547.
1.
Ein meßner in eim dorfe was,
der einsmals bei dem weine saß,
fürt mit im heim
zwen volle bauren in sein hause,
mit in in gheim
zu leben erst recht in dem sause.
Sein frau saß vor dem ofen dort,
munket und redet gar kein wort,[251]
sach in strang an,
gab im kein antwort auf sein fregen;
da dacht der man,
der frauen wer ir sprach verlegen;
Dacht an den pfarrer, dem vor jare
die sprach auch oft verlegen ware,
wie er im wer geloffen spat
in die apotek in die stat
und het im bracht
schwarz kirssenwaßer, der nature,
das im balt macht
sein sprach und das er reden wure.
2.
Der meßner im heimlich gedacht:
»wo sol ich hin? es ist iez nacht;
es ligt ein schne;
e ich schwarz kirssenwaßer bringe,
so stirbt sie e,
oder die sprach ir gar verginge.«
Als er stunt, dacht lang her und hin,
fiel im zu letzt in seinen sin
ein kirssenbaum,
der vor dem dorf stunt auf eim anger,
dacht: »es felt kaum!
das holz ist mit der natur schwanger,
Das es auch hab des waßers kraft,
weil das hat von dem holz sein saft.«
er loff zu dem kirssbaum hinab
und haut mit seiner brexen ab
ein großen ast
und ein prügel daraus im scheitet
hantvöllig fast,
darmit loff er heim und kaum beitet;
3.
Er trat int stuben zu dem weib,
wolt reiden machen ihren leib;[252]
mit kirssenholz
tet er iren leib wol durchsalben,
vertrieb den stolz
ir um die lend und allenthalben.
Dem weib wart bald ir zungen los
mit gschrei, schelten und fluchen groß
»du tropf! du narr!
du volle sau wilt mich vexieren!«
der man sprach: »harr!
ich muß dein leib dir bas durchschmieren!«
Und tet mit freuden erst draufschlagen.
das weib durchbrach mit wein und klagen
und sprach: »hör auf, herzlieber man!«
der meßner sprach: »das wil ich tan!
munk mir nit mer!«
welch man hat ein weib munket böse,
der merk die ler:
mit kirssenholz ir zungen löse.
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