Gottes geist versichert unsern geist

[71] In dem starken ton Nachtigal.


11. mai 1530.


1.

Paulus hat uns beschriben

an dem achten ad Romanos

und spricht: »ir herzenlieben,

so ir seit des glaubens genoß

und halt den geist, den got in euer herze goß,

durch das wort seine reine,

das ich euch tet verkünden,

Hat got sein geist uns geben,

so sint fürbas nit schuldig wir,

nach unsrem fleisch zu leben,

zu erfüllen sein bös begir,

den wo nach des fleischs wollust wolt leben ir,

würt ir verderben, sterben

von wegen euer sünden.

So wir sint auserkoren,

töten durch gottes geist des fleisch wollüste,

so entrin wir dem zoren

und werden leben in dem geist gerüste;[71]

dan welche der geist gottes treiben tute

und geit in einen gotseligen mute

und sie vor sünden helt in seiner hute,

die selbig sinde kinde

gottes geistlich geboren.


2.

Nun habt ir überale

entpfangen kein knechtlichen geist,

das ir euch abermale

müsset hert fürchten allermeist,

das euch von got ein ungenade wert beweist,

das das gesetze letze

euch mit ewigem schaden:

Sunder ir habt entpfangen

einen kintlichen geiste rein,

durch den wir mit verlangen

schreien: »Abba, o vater mein!«

und haben unser zuflucht ganz zu im allein

in unser schwere; ere

ist uns reichlich begnaden.

Der selbig geist versiegelt

unsern geist des, das wir sint gottes kinder;

sein klarheit in uns spiegelt

vergöttet unsern geist und macht uns schwinder

in glaub, hofnung und in der lieb, geistglütig,

frolich, friedreich, freuntlichen und senftmütig,

keck, trostlich, langmütig, gedultig, gütig,

und in got scheftig kreftig

in der kintschaft verriegelt.


3.

Sei wir dan gottes kinder,

so seien wir auch erben ie,

gottes erben nicht minder

und miterben Jesu Cristi,[72]

so wir anders auf erden auch mitleiden hie

und unser leben geben

in das kreuz willikleiche

Und tragen gar geduldig

des kreuzes bürde mancherlei,

ob wir leiden unschuldig

wiß wir, das unser vater sei,

der uns dis tut, der sel zu einer arzenei,

das fleisch zu dempfen, kempfen

wider der sünden reiche;

Als dan wir allesamen

der sünden reich entlich in uns ersterben,

darnach in Cristi namen

wir durch den geist das reich gottes ererben

und werden mit Cristo in der klarheite

erhaben auch zu seiner herlikeite,

mit im zu leben in ewiger zeite.

wer das begere, dere

spreche von herzen amen.


Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 71-73.
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