38. An die edeln Unterdrückten

[300] 1794.


Getrost, ihr edeln Unterdrückten,

Wenn euch kein Strahl der Hoffnung blinkt!

Der Tugend Opferkränze schmückten

Euch, eh' ihr am Altare sinkt.

Des Ruhmes Flitterkrone werde

Hier des beglückten Frevlers Preis,

Entkeimt aus eurer Gräber Erde,

Grünt spät erst euer Eichenreis.


Ihr, die, verpflanzt in arge Zeiten,

Mit der Gewalt zu kämpfen wagt,

Ihr sollt dem Lichte Bahn bereiten

Und fühlt die Schauer, eh' es tagt;

Wenn ihr mit kräftigem Erkühnen

Euch dem Verfall entgegenstemmt,

Verklärt ihr glorreich die Ruinen,

Die keine Macht im Sturze hemmt.


Dann fühlt ihr zwar des Schicksals Schwere,

Wenn es der Läst'rung Plan gelingt,

Daß euer letztes Gut, die Ehre,

Ihr Klapperschlangenhauch verschlingt;[300]

Schaut ernst der Übermacht Triumphe,

Wenn höhnend euch ihr Troß umzischt!

Wißt, daß ihr Irrlicht aus dem Sumpfe

Nur trüglich aufglänzt und verlischt!


Die Wahrheit harrt mit sichrer Wage

Im Wolkenzelt der Folgezeit,

Verweht die Spreu gedung'ner Sage

Und huldigt der Gerechtigkeit.

Vernunft folgt ewigen Gesetzen,

Die Pöbelswut, die ein Tyrann

Ein Menschenalter durch verletzen,

Doch ewig nicht vertilgen kann.


Denkt, wenn im Kampf für Menschenrechte

Ihr des Erfolges Glanz entbehrt,

Daß durch des Mißgeschickes Nächte

Der Unschuld Haupt sich still verklärt.

Schaut fest nach euerm hohen Ziele,

Verschmäht die nahe Hindernis,

Und stürzt, gedrängt vom Pflichtgefühle,

In des entflammten Abgrunds Riß.


Wenn, vom Verhängnis losgerissen,

Der Hoffnung letzte Trümmer stürzt,

Sollt ihr den Kelch zu kosten wissen,

Der jedes Erdenweh verkürzt.

Das Recht, verbannt, verschmäht, erwürget,

Erlegen im gerechten Streit,

Fleht um Vergeltung und verbürget

Den Geistern die Unsterblichkeit!


Dem Staub entflohn, wirkt eure Seele

Begeisternd auf der Edeln Bund;

Verwandelt erst, thut Philomele

Die Unthat ihres Drängers kund!

Ihr Märtyrer für Menschenwürde,

Vertraut der Wahrheit und der Zeit:

Vergänglich ist des Druckes Bürde,

Doch ewig die Gerechtigkeit!

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 300-301.
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