Die entführten Götter

[60] O Römerinnen, Römer nicht!

Wo ist die Heldenkraft der Ahnen?

Vergeßen habt ihr Namen, Ruhm und Pflicht

Und tief erröthen jene großen Manen.


Du, ewig nun zu eigner Schmach!

Leb wohl, o Stadt der sieben Hügel!

Bald stürzt dein ödes Pantheon uns nach,

Uns aber leiht der Sieg die leichten Flügel.


Vom Himmel lockten uns herab

Die freundlich bildenden Hellenen;

Von uns empfangend was ihr Sinn uns gab,

Vermählten sie das Göttliche dem Schönen.


Als Freiheit mit der Tugend starb,

Erloschen Hellas Rosenschimmer,

Und Stärke, die ein grauses Recht erwarb,

Stieß den Altar der holden Kunst in Trümmer.


Doch sahn wir, im Vernichten groß,

Mit Lust der Wölfin Pflegesöhne;

Wir theilten gern der hohen Roma Looß,

Daß sie uns Herrscher über Herrscher kröne.
[61]

In der Triumphe Prachtgewühl

Empfieng Quirinus seine Brüder;

Das Kapitol ward ein Olymp: da fiel

Vor seinem Raub der Sieger betend nieder.


Zeus Adler flog dem Heer voran,

Er thronte, der Gesetze Wächter –

Senat und Volk ward Einem unterthan,

Und schnell entartet sanken die Geschlechter.


Wild schwärmten an der Tiber Strand

Des Nordens Riesen, sie zu strafen.

Von Knechten und Barbaren abgewandt

Schien ein Jahrtausend unsre Macht zu schlafen,


Bis mit dem jungen Morgenroth

Entwohnte Hymnen uns umwallen.

Es war die Kunst, die Huldigung uns bot,

Und neue Feste, neue Tempelhallen.


Auf! feßle jetzt uns noch, o Rom,

Durch große Thaten, schöne Werke!

Versank auf ewig in der Zeiten Strom

Der Bilder Geist so wie der Helden Stärke?


In dumpfer Trägheit Nebelduft

Prahlst du mit gähnenden Ruinen;

Du bist der Vorwelt eingesunkne Gruft,

Wo weder Rosen blühn, noch Lorbeern grünen.


Ihr aber, die ihr, siegberauscht,

Ausoniens myrtumkränzte Fluren

Gleich eurem Rhodan wogend überrauscht,

Und einem Brennus folgt auf Brennus Spuren!
[62]

Ruft uns mit reiner Opferglut,

So soll euch unsre Huld belohnen.

Allein ihr trotzet in der Freiheit Hut,

Und wollt uns zwingen, unter euch zu wohnen?


Habt ihr für uns ein Heiligthum?

Und läßt sich Hellas Reiz erfechten?

Sind Götter auch ein menschlich Eigenthum?

Ihr geizt umsonst nach des Olympus Mächten!


Wer würdig uns zu ehren weiß

Trägt uns in seiner Brust, sein eigen:

Doch trittst du ungeweiht in unsern Kreiß,

So deckt uns Nacht und die Orakel schweigen.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 60-63.
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