An Selinde

[166] 1.

Als das Köpfchen an mir ruhte,

Konnt' ich nicht ein Wörtchen sagen;

Konnte glühend von Verlangen,

Keine Liebkosung doch wagen.

Sieh so glühend muß ich lieben,

Und du fühlst nicht meine Klagen!


2.

Sirene, du Sirene,

O wie süß kannst du loben!

Da ward ich ganz entzündet,

Fern die Klugheit geflohen.

Es war, als ob du liebtest,

Das hat mich so betrogen:

»Die Süße will dich lieben,«

Dacht' ich in Lust erhoben.

Sirene, o Sirene,

Welch Netz hast du gewoben![166]


3.

Laß frei die Flammen, die mich quälend drücken,

Sei einmal noch wie sonst ein liebend Weib!

Komm an das Herz, das frei von allen Tücken,

Gib hin der Lust den jugendlichen Leib,

Und laß die zarten Glieder mich umschlingen;

Wie sollt' ich sonst das volle Herz bezwingen?


4.

Zwar du littest meine Küsse,

Doch erwidertest kaum einen,

Flammen schwebten auf den Lippen,

Und berührten schon die deinen;

Doch getäuscht floh'n sie zurücke

Und verzehrten sich alleine.

Böses Kind, um diese Kälte

Könnt' ich wie ein Kind fast weinen.


5.

Den treuen Freund auf ewig dir zu weih'n,

Hast du ihm deine Freuden hingegeben.

Laß auch die Schmerzen offenbar ihm sein,

Daß nie der Täuschung Wolken uns umschweben!

Schön bist du doch; wozu der eitle Schein?

Drum sag' mir, sag' mir alles, süßes Leben,

Ich soll und muß an deine Wahrheit glauben,

Nur du kannst selber dich mir wieder rauben.


6.

Die süße Stunde werd' ich nie vergessen,

Als mich der liebe Leib so süß umschlungen,

Auch du von meinem Leben warst durchdrungen

Uns beid' umschwebt' ein seliges Vergessen!

Was darf mit freier Liebeslust sich messen,

Wenn endlich jeder Zweifel nun bezwungen,

Die Welt in einen Augenblick verschlungen,

Und Freude macht das leichte Herz vermessen?


7.

Noch einmal laß das süße Gift mich saugen,

Fester uns verbünden,

Heißer dich entzünden!

Noch einmal laß in deinen Arm mich sinken,

Daß so umschlungen,

Ganz durchdrungen,

Ein Blitz der Lust belebend beide töte.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 166-167.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Papa Hamlet

Papa Hamlet

1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon